Stand: 26.03.20 07:00 Uhr

Existenzen vernichtet: Die sozialen Opfer

von Johannes Edelhoff, Andrej Reisin, Martin Schneider und Tina Soliman

Tanja Kubena steht in ihrem leeren Kosmetikstudio. Sieben Jahre lang hat sie es mühsam aufgebaut: "Hier habe ich jede freie Minute investiert. Ich bin ich auf Messen gefahren und habe, weil ich das hier erschaffen wollte, auf Urlaub verzichtet, jeden Cent gespart." Doch seit Montag darf kein Kunde mehr zu ihr. Die Einnahmen sind von einem auf den anderen Tag auf null gesunken. Wie lange der Laden geschlossen bleiben muss, daran will sie gar nicht erst denken: "Schon alleine das Gefühl daran übermannt mich. Da weicht die Traurigkeit gerade der Wut."

Existenzen vernichtet: Die sozialen Opfer
Die Corona-Krise betrifft besonders Selbstständige, etwa Restaurantbesitzer, Einzelhändler und Kosmetiker. Deutschland droht eine große Pleitewelle.

Der Laden - zu. Die Frage für viele ist: Wird er je wieder geöffnet werden? Denn Wirtschaftswissenschaftler haben kein passendes Rezept für die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Es gibt keinen ökonomischen Masterplan für dieses Problem. Besonders für die Branche von Tanja Kubena sieht es schwierig aus. Man spricht vom so genanntem "sozialen Konsum". Also dem Konsum, bei dem andere Menschen involviert sind. Restaurantbesuche, Sportveranstaltungen, Reisen; und Dienstleistungen - wie etwa Kosmetikstudios. Die einmal verlorenen Einnahmen können nicht nachgeholt werden, der Restauranttisch, der heute leer bleibt, kann morgen nicht doppelt vergeben werden. "Es ist ein permanenter Verlust, den können Sie nie wieder reinholen oder nacharbeiten", sagt der Wirtschafts- und Sozialwissenschafter Stefan Sell. Und auch mit gelockerten Ausgangsbeschränkungen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Menschen im Sommer massenhaft in die Biergärten strömen. Die Angst, sich anzustecken, bleibt erstmal bestehen.

Konjunkturkurve: Warum das "L" schlimmer als das "U" ist

Tanja Kubena betreibt ein Kosmetikstudio

Tanja Kubena betreibt ein Kosmetikstudio. Maximal zwei Monate könne sie durchhalten, sagt sie.

Für Industriebetriebe besteht noch die Hoffnung, irgendwie durch die Krise zu kommen. Man hofft auf einen U-förmigen Verlauf der Konjunktur: Nach einem heftigen Einbruch geht die Konjunktur-Kurve wie bei einem U nach unten und nach einem längeren Tal wird sich die Produktion erholen. Bei sozialem Konsum droht für viele Selbstständige und kleine Betriebe eher der Verlauf einer L-Kurve. Ein wirtschaftlicher Einbruch, ohne Erholung, auf den eine lange Phase der Stagnation folgt. Dann würden reihenweise Geschäfte Pleite gehen.

Der britische Think-Tank Center for Economic and Policy Research (CEPR) hat kürzlich in einer aktuell viel zitierten Veröffentlichung des renommierten Wissenschaftlers Richard Baldwin, der seit Jahren zu Pandemien und deren wirtschaftlichen Folgen forscht, zur Auswirkung von Covid-19 auf die Wirtschaft genau das prognostiziert. Darin kommen die Autoren - auch aus der Erfahrung von SARS und MERS in Asien - zur Überzeugung, dass der Konsum langfristig einbricht, besonders in Branchen, in denen Menschen persönlich aufeinandertreffen.

Tanja Kubena hat Fixkosten von etwa 16.000 Euro pro Monat. Miete etwa; oder Kredite für Arbeitsgeräte. Einen, maximal zwei Monate könnte sie durchhalten, wenn sie ihr Erspartes opfert. Das einmalige Überbrückungsgeld, das die Politik gibt, würde ihr wohl nur kurz helfen. Denn je länger der Shutdown dauert, desto wahrscheinlich ist die Insolvenz. Auch einen Kredit, wie ihn der Staat Selbstständigen anbietet, sieht sie kritisch: "Es kann keiner voraussagen, wie es ist, wenn die erste Runde dieser Krise überstanden ist, ob die Kunden, die man jetzt hat, überhaupt noch kommen können, ob die das Geld noch haben." Wie solle sie da einen Kredit abschließen.

"Für Kleinunternehmen gibt es kein Rezept"

Der Rezension, dem "Szenario L-Kurve", muss mit massiven entschieden Eingriffen und Hilfen begegnetet werden, empfiehlt auch das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW). Nur wie? Da sind selbst Ökonomen ratlos. Könnte der Staat übergangsweise diese Fixkosten übernehmen, um Kleinbetriebe zu retten? Bisher ist das nicht vorgesehen. Aber selbst, wenn die Politik sich dazu entscheiden würde: Auf die Frage, wie so eine Lösung aussehen könnte, hat kein Ökonom eine Antwort. "Wahrscheinlich gibt es zwischen 400.000 bis eine Million kleine Unternehmen mit solchen Problemen, exakte Zahlen kennen wir noch nicht", beschreibt Stefan Sell das Problem. "Jeder einzelne ein komplexer Einzelfall. Was genau sind Fixkosten? Welche sind anzurechnen? Sollte es eine Pauschallösung geben? Lauter ungeklärte Fragen." Oft haften die Einzelunternehmer persönlich mit ihrem gesamten Besitz. Das heißt: Nach der Ladenschließung droht die Privatinsolvenz. "Unser Sozialstaat ist darauf vorbereitet, Menschen mit Hartz IV abzusichern, aber für Kleinunternehmen gibt es kein Rezept", so Sell.

"Es wird prekär - für mich und meine Familie"
Mascha Romberg ist Körpertherapeutin und hat ihre Praxis in Hamburg. Sie hat viel Leidenschaft, Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt. Jetzt darf sie nicht mehr arbeiten.

Durch die Finanzkrise 2008/2009 ist Deutschland relativ unbeschadet gekommen. Damals hat das Kurzarbeitergeld geholfen. Doch die Krise jetzt kann man damit nicht vergleichen. "Damals betraf es die Exportindustrie, vor allem durch die Nachfrage aus China wurde unsere Wirtschaft damals gerettet", sagt Stefan Sell. Jetzt bricht vor allem die Nachfrage in Deutschland ein. Die Methoden von damals reichen heute wohl nicht mehr aus.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.03.2020 | 20:30 Uhr