Corona-Krise: Wann kommt der Klinikkollaps?

von Christian Baars, Andrea Hansen, Katharina Schiele, Caroline Walter

"Gegen Viren ist man ja eigentlich machtlos", sagt Waltraud Rehms. Die 66-Jährige ist Asthma-Patientin und gehört damit zu jenen Menschen, für die das neue Coronavirus besonders gefährlich ist. Rehms ist jedoch zuversichtlich, dass ihr die Ärzte helfen könnten, sollte es dazu kommen. "Ich glaube, dass wir medizinisch sehr aufgestellt sind hier in Deutschland", sagt sie, und dass die Kliniken genügend Betten und Beatmungsgeräte hätten.

Corona-Krise: Kommt ein Klinikkollaps?
Hunderte Corona-Patienten müssen in Deutschland intensivmedizinisch behandelt werden. Drohen auch hier Situationen wie in Italien, wo nicht alle Schwerstkranke beatmet werden können?

Tatsächlich versuchen derzeit viele Krankenhäuser die Kapazitäten deutlich auszubauen. Sie verschieben planbare Operationen und räumen ganze Bereiche in den Kliniken für Covid-19-Patienten frei. Doch reicht das? Oder drohen in Deutschland Situationen wie aktuell bereits in Italien, Frankreich oder Spanien? Dort sterben schwerkranke Menschen, weil für sie kein Beatmungsgerät zur Verfügung steht.

27.000 Intensivbetten mit Beatmungsgerät

Prof. Reinhard Busse, Gesundheitsökonom TU Berlin © picture alliance/Fotostand Foto: Fotostand / Suhr

Man sei sehr gut ausgestattet in Deutschland, so Prof. Reinhard Busse, Gesundheitsökonom an der TU Berlin.

Klar ist, Deutschland hat bessere Voraussetzungen, um einen starken Anstieg von schwerkranken Patienten zu bewältigen. "Wir sind sehr gut ausgestattet", sagt Prof. Reinhard Busse, Gesundheitsökonom an der TU Berlin. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind aktuell etwa 27.000 Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit vorhanden. Die Zahl könne zeitnah auf etwa 30.000 aufgestockt werden, teilte sie auf Anfrage mit. Allerdings werden natürlich einige davon für andere Patienten benötigt. Die durchschnittliche Auslastung liegt bei knapp 80%. Selbst, wenn jetzt viele planbare Operationen abgesagt werden, wird wohl etwa die Hälfte der 30.000 Intensivbetten für andere, akute Fälle benötigt, schätzt Busse.

Bis zu 15.000 schwerkranke Covid-19-Patienten könnten wohl also im besten Fall gleichzeitig in Deutschland behandelt werden. Aktuell (Stand: 25.3.) sind es laut einer Erhebung der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) etwa 800. Eine genaue Zahl ist aber nicht bekannt, da die Teilnahme an dem Register freiwillig ist - und bislang nur gut die Hälfte aller Kliniken mit Intensivbetten Daten beisteuert haben. Auf jeden Fall sind noch Reserven vorhanden. Doch die große Frage ist: Wie schnell breitet sich das Virus weiter aus?

Rechnung mit großer Unbekannter

Epidemiologen auf der ganzen Welt versuchen, diese Frage zu beantworten. Sie berechnen mithilfe verschiedener Modelle die voraussichtliche Zahl der Erkrankten. Doch nach wie vor gibt es in diesen Rechnungen sehr viele Unbekannte - vor allem die große Frage: Wie viele sind tatsächlich infiziert? Denn nur wenn sie diese Zahl kennen, wissen die Forscher auch, wie hoch der Anteil der Erkrankten ist, die im Krankenhaus oder gar intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Für das Gesundheitssystem macht es einen gigantischen Unterschied, ob 1 Prozent, 5 Prozent oder gar noch mehr Erkrankte beatmet werden müssen.

Dr. Lang: "Ein Beatmungsgerät alleine hilft nicht"
Dr. Manfred Lang, ärztlicher Direktor am KEH Berlin, spricht im Panorama-Interview über die derzeitige Situation hinsichtlich der Beatmungsgeräte.

Reichen die Geräte nicht, sterben mehr Menschen

Der Engpass dürften die Intensivstationen sein, sagt Prof. Rafael Mikolajczyk. Er arbeitet an der Uniklinik in Halle und hat gerade an einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) zur Covid-19-Pandemie mitgearbeitet. "Wenn dieser Engpass eintritt, dann gibt es Menschen, die die nötige Behandlung nicht bekommen", sagt Mikolajczyk. "Und das heißt, dass dann mehr Menschen sterben." Wenn zu wenige Beatmungsgeräte vorhanden sind, stehen Ärzte vor brutalen Entscheidungen. Denn wer nicht schnell beatmet wird, stirbt in der Regel.

In ihrer Stellungnahme hat die DGEpi verschiedene Szenarien durchgerechnet - mit unterschiedlichen Annahmen zur Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus und der Frage wie viele Patienten intensivmedizinisch behandelt werden müssen und wie lange im Durchschnitt. Im schlimmsten Fall könnte die vorhandene Kapazität schon bald überstiegen werden - möglicherweise bereits im April oder Mai. Auch eine "mäßige Verlangsamung" reicht laut den Berechnungen nicht aus, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Kontakte reduzieren, um Ausbruch einzudämmen

Nach Ansicht der Forscher muss das Ziel also sein, den Ausbruch so gut wie möglich einzudämmen. "Wir hoffen, dass dies grundsätzlich möglich ist", sagt Mikolajczyk. Die entscheidende Maßnahme sei es, "in der gesamten Bevölkerung eine Einschränkung der sozialen Kontakte auf das Notwendigste zu erreichen", heißt es in der Stellungnahme.

Bernhard Schaaf, Leiter Abteilung für Lungenerkrankungen im städtischen Dortmunder Krankenhaus © NDR Foto: Screenshot

Man wisse nicht genau, wann die Welle komme, meint Bernhard Schaaf, Leiter der Abteilung für Lungenerkrankungen im Dortmunder Krankenhaus.

Darauf hofft auch Bernhard Schaaf. Er leitet die Abteilung für Lungenerkrankungen im größten Klinikum in Nordrhein-Westfalen, dem städtischen Dortmunder Krankenhaus. Es sei "ein bisschen so wie beim Tsunami", sagte Schaaf Mitte März. Man weiß, es kommt eine große Welle, aber nicht genau wann und wie groß sie sein wird. Sein Klinikum rechnet jedenfalls mit einem deutlichen Anstieg der Patientenzahlen. Deshalb wollte es noch zusätzliche Beatmungsgeräte anschaffen. Doch mittlerweile hat der Krisenstab in Berlin übernommen. Dort werden nun Geräte zentral beschafft und verteilt. Das Ziel ist es, die Kapazitäten in Deutschland zu verdoppeln.

Regierung bestellte Tausende Beatmungsgeräte

Die Regierung hat laut Medienberichten bereits mindestens 16.000 neue Beatmungsgeräte bestellt. Doch es ist unklar, wann sie geliefert werden können. "Darüber haben wir keine Informationen", sagt etwa Manfred Lang, ärztlicher Direktor des Königin Elisabeth Herzberge Krankenhauses in Berlin. Es sei auch nicht transparent, wie die Geräte verteilt werden sollen. Panorama hat das zuständige Bundesgesundheitsministerium unter anderem dazu gefragt. Es hat jedoch die Fragen nicht beantwortet.

Markus Stirner-Schilling, Direktor bei der schwedischen Firma Getinge © NDR Foto: Screenshot

Es sei schwer, mit dem Bedarf mitzuhalten, so Markus Stirner-Schilling. Seine Firma stellt Beatmungsgeräte her.

Dabei gibt es ein offensichtliches Problem: Nicht nur Deutschland, sondern fast die ganze Welt braucht dringend mehr Geräte. "Es ist sehr, sehr schwer, entsprechend dem weltweit gestiegenen Bedarf mitzuhalten", sagt Markus Stirner-Schilling. Er ist Direktor bei der schwedischen Firma Getinge, einem der größten Unternehmen in diesem Bereich. Weltweit gibt es etwa eine Handvoll große und einige kleine Hersteller von Beatmungsgeräten. Es sei "ganz wichtig", dass jetzt alle eng zusammenarbeiten, sagt Stirner-Schilling. Aber "es wird schwierig".

Geräte allein reichen nicht

Kathrin Hüster, Krankenpflegerin © NDR Foto: Screenshot

Mehr Geräte retten keine Leben - man brauche auch ausgebildetes Personal, so die Krankenpflegerin Kathrin Hüster.

Und selbst wenn die schiere Zahl an Geräten verdoppelt werden kann, löst dies das Kapazitätsproblem nicht, sagt Kathrin Hüster. Sie ist Krankenpflegerin, hat sieben Jahre Erfahrung auf einer Intensivstation und weiß, wie schwierig die Beatmung von Patienten ist. "Schlecht zu beatmen ist genauso ineffektiv wie gar nicht zu beatmen", sagt Hüster. Unerfahrene Pflegekräfte könnten das nicht einfach so übernehmen. Wenn man das nicht richtig mache, würden die Patienten sterben oder schweren Hirnschädigungen davontragen, so Hüster. "Das braucht halt dementsprechend geschultes Personal." Und das ist nicht in wenigen Wochen zu bekommen.

Entscheidend ist also, dass nicht zu viele Patienten gleichzeitig behandelt werden müssen. Prof. Dirk Brockmann arbeitet an der Humboldt-Universität in Berlin und für das RKI und berechnet Prognosen für den weiteren Verlauf. Jeder einzelne müsse bei dieser Epidemie seine sozialen Kontakte im Durchschnitt um 70 Prozent verringern, sagt er. "Wir sind in einer Art Ausnahmezustand." Und dieser werde wohl noch eine ganze Weile aufrecht erhalten bleiben müssen. "Dann kriegen wir das als Gemeinschaft auch in den Griff", sagt Brockmann.

Auch Prof. Mikolajczyk von der Uniklinik Halle ist zuversichtlich, dass die jetzt verhängten Maßnahmen schon eine Wirkung haben. Er hoffe, "dass wir die Geschwindigkeit zumindest soweit verlangsamt haben, dass wir Zeit gewinnen", sagt Mikolajczyk. Das Problem werde aber nicht in wenigen Wochen gelöst sein. "Wir müssen die Zeit nutzen, um zu überlegen, wie wir unser Leben strukturieren." Die Gesellschaft müsse sich anders organisieren, um zu verhindern, dass die Epidemie dann wieder aufflammt - und zwar solange bis möglicherweise irgendwann eine Therapie oder eine Impfung zur Verfügung stehe, so Mikolajczyk. "Und in dieser Zwischenzeit muss man Wege finden, wie man das gesellschaftliche Leben trotzdem weiterführt - in einem Zustand der Kontaktreduktion."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.03.2020 | 20:30 Uhr