Kommentar

Stand: 29.08.19 15:34 Uhr

Die Angst des Westens vor dem Islam - Niedergang eines Feindbildes

von Stefan Buchen

Islamische Staatenwelt in Auflösung

Die gravierenden neuen Probleme bestehen nicht in immer neuen islamistischen Bewegungen, die sich den Invasoren und ihren Helfern entgegenwürfen und mit stetig wachsender Brutalität in den Ländern des Westens zuschlügen. Sie bestehen in der Zerrüttung ganzer Gesellschaften, in der Auflösung regionaler Strukturen und im Zusammenbruch einst einigermaßen souveräner Staaten.

In dem Chaos können diejenigen stark auftreten, die sich bis hierher irgendwie durchgeschlagen haben. Dazu gehört - neben Israel - die Islamische Republik Iran.

Die Mullahs bewegen sich innenpolitisch zwar auf dünnem Eis, aber außen- und regionalpolitisch gelingt es ihnen, die Schwächen ihres Hauptgegners USA und der von diesen geführten Bündnisse auszunutzen. Iran hat großflächig schiitische Verbündete mobilisiert. Das Gegeneinander von Schiiten und Sunniten prägt den Nahen und Mittleren Osten heute stark. Aber auch hier täuschte man sich, schriebe man die regionalen Erfolge der Islamischen Republik der Kraft des schiitischen Fundamentalismus, also einer weiteren Erscheinungsform des "politischen Islam", zu. In dem Chaos erscheint Iran - trotz oder wegen seiner anti-amerikanischen Machthaber - manchen als Ordnungsmacht, deren regionalen Führungsanspruch man als das geringere Übel akzeptiert.

Der Islam zerlegt sich selbst und taugt nicht mehr als Feindbild. Donald Trump hat das schneller kapiert als das Führungspersonal der CDU und diejenigen, die sich gegen die "Islamisierung des Abendlandes" stemmen. Zu Beginn seiner Präsidentschaft standen noch die Einreisebeschränkungen für Bürger bestimmter islamischer Länder im Vordergrund seiner Identitätspolitik. Inzwischen trifft sein Furor eher Schwarze, die in "rattenverseuchten Dreckslöchern" wohnen, und "Hispanics", die die Grenze von Mexiko her überschreiten wollen oder "illegal" in den USA leben und ausgewiesen werden sollen.

Auflösung im Rassismus

Die Islamfeindlichkeit löst sich im guten alten Rassismus auf. Andersfarbige, Anderssprachige oder sonstwie als minderwertig beurteilte Ortsfremde geben das neue Feindbild der westlichen Identitätspolitik ab. Rassismus hat den Vorteil, dass er umfassender ist. Natürlich werden auch Muslime von ihm erfasst.

Der Trend ist längst nach Europa herübergeschwappt. Die Kriminalität von Araberclans, die beängstigende und von der Zivilisation nicht gehemmte Zeugungskraft der Afrikaner oder ihre genetische Veranlagung, ein Kind vor einen fahrenden ICE zu stoßen: eine Verlagerung des Diskurses über die Identitätsfrage ist unübersehbar.

Der Friseur Alaa S. aus Chemnitz wurde nicht zu neuneinhalb Jahren Haft wegen einer angeblichen aber nicht bewiesenen Messerattacke verurteilt, weil er Muslim, sondern weil er Asylbewerber und Flüchtling ist. Ohne vorangegangene rassistische Entmenschlichung wäre es nicht möglich, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder Gerettete tage- und wochenlang vor Europas Küsten abzuweisen. Die Duplizität der Ereignisse an Amerikas und Europas Südgrenze ist bereits bemerkt worden, zurecht.

Natürlich ruft der neue Rassismus Gegenwehr hervor. Betroffene erheben ihre Stimme. Viele Bürger lehnen diese Identitätspolitik ab, auch auf Grund der historischen Erfahrungen in Amerika und Europa. Sie sind sich der Tatsache bewusst, dass der Wohlstand unserer Mittelschichten auch mit dem Elend in anderen Teilen der Welt erkauft wird. Der Klimawandel droht, diese Wahrheit noch deutlicher hervortreten zu lassen.

Rechtzeitig, könnte man zynisch sagen, kommt da eine weitere Verschärfung des Diskurses. Vom "Rassenkrieg der Linken" fabuliert der amerikanische Publizist James Kirchick. Er sieht die "weißen Männer" als Opfer eines neuen Rassismus progressiver Kräfte. Kirchick kehrt Täter zu Opfern um und Opfer zu Tätern. Damit liegt er genau auf der Linie von Donald Trump, der angetreten ist, "das Gemetzel" (carnage), unter dem seine weißen Anhänger angeblich leiden, zu beenden und diese wieder in ihre Rechte einzusetzen.

Kirchicks Essay über den "Rassenkrieg der Linken" wurde am 15. August unter genau dieser Überschrift auf der Webseite der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ)veröffentlicht. Das ist kein gutes Zeichen. "Rassenkrieg" war ein wichtiger Begriff im Wortschatz von Adolf Hitler. Damit umschrieb er schon früh das politische Programm der Nationalsozialisten. Welche Absichten unterstellen Kirchick und die "FAZ" "den Linken"? Der Autor habe die "auch mit rassistischen Argumenten ausgetragene politische Debatte in den Vereinigten Staaten" thematisiert, teilt die "FAZ" auf Anfrage mit. Die Zeitung halte "den Text für einen wichtigen Debattenbeitrag."

Der Sieg des globalen Kapitalismus und der liberalen Demokratie stehen bekanntlich am Ende der Geschichte. Damit dieses Ende, sozusagen als ewige Krönungsfeier, möglichst ungestört unter "weißer Vorherrschaft" weitergeht, scheint manchen jedes Mittel recht.

Dieser Text erschien zuerst auf dem Webportal "qantara.de".

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Das Erste | Panorama | 13.06.2019 | 21:45 Uhr