Interview

Stand: 05.01.15 06:00 Uhr

"Das Silicon Valley hat ein Arschlochproblem"

von Jonas Rest

Andererseits schaffen diese Plattformen eine neue Flexibilität, die von vielen als befreiend empfunden wird. Anstatt an feste Arbeitszeiten gebunden zu sein, kann man sich einfach aus der App ausloggen. Es gibt Personen, die sagen: Ich habe 30 von 48 Stunden gearbeitet, aber das ist nicht schlimm.

Dass Flexibilität für einen Arbeitnehmer auch etwas Gutes sein kann, habe ich 2006 in meinem Buch "Wir nennen es Arbeit" darzustellen versucht. Aber - und das ist der große Punkt - damit es etwas Gutes sein kann, muss die Flexibilität mit einer Freiwilligkeit einhergehen. Das bedeutet: ich als Arbeitnehmer, als jemand, der beruflich Arbeit leistet, muss mir diese Flexibilität aussuchen können. 30 Stunden innerhalb von 48 Stunden zu arbeiten, kann mal eine interessante Erfahrung sein. Es hört sich für mich aber eher nach dem 19. Jahrhundert an, dem späten Manchester-Kapitalismus. Das ist nicht die Art und Weise, wie man regelmäßig sein Leben leben möchte, und zwar, so würde ich meinen, unabhängig davon, welche Arbeit man hat. Insofern ist eine Flexibilisierung zunächst etwas Gutes, birgt aber das große Gefahrenpotenzial, die Arbeitnehmer als Verschiebemasse missbrauchen. Insofern wäre mein Ansatz zu sagen: Flexibilität gut und schön, aber eben nur dann, wenn sie nicht als peitschendes Effizienzinstrument in den Händen von Leuten wie Uber-Chef Travis Kalanick stattfindet.

In den USA haben die Uber-Fahrer bereits gestreikt, obwohl sie eigentlich gar nicht von Uber angestellt sind, sondern Selbstständige sind.

Ein Anzeichen dafür, dass es so nicht weiter geht. So oft haben Angestellte von Start-ups in den vergangen Jahren noch nicht gestreikt.

Wie könnte die Politik eingreifen?

Vorstellbar ist ein Mindestlohn für Selbstständige. Ich kann mir auch ein bestimmtes Basis-Set an sozialer Absicherung für Selbstständige vorstellen, die dann zum Teil durch die Auftraggeber abgebildet werden müsste. Das sind alles Mechaniken, über die man reden muss, um eine hochflexible Arbeitswelt trotzdem noch menschenwürdig zu gestallten. So wie in Deutschland und in Europa die Politik gerade agiert, bin ich sehr zuversichtlich, dass sie exakt die richtigen und fantastischen Instrumente schaffen werden in der nächsten Zeit, so dass in kaum mehr als 25 bis 30 Jahren die ideale Lösung für 2015 gefunden sein wird.

Die Langsamkeit des politischen Prozesses im Vergleich zur rasanten technologischen Entwicklung ist einer der zentralen Kritikpunkte von Konzernen wie Uber und Airbnb. Tatsächlich stammen die Gesetze etwa für die Personenbeförderung fast ausnahmslos aus einer Zeit, in der es kein Internet gab. Sind sie veraltet?

Es ist wahr, dass eine bestimmte Anzahl von Gesetzen zur Regulierung der Wirtschaft veraltet ist. Natürlich braucht man in bestimmten Bereichen eine Modernisierung. Ich glaube aber, dass viele von diesen Unternehmen, gerade Uber, einen großen Fehler machen, wenn sie glauben, dass die Gesetze sich gefälligst ihrem Geschäftsmodell zu beugen haben und sie sich nicht an diese zu halten haben, wenn sie ihnen nicht passen. Gesetze sind nicht zum Schutz von Uber da. Gesetze sind zum Schutz der Gesellschaft da. Die aggressive Haltung, die hinter Uber steht wird maßgeblich geprägt von dem Gründer Travis Kalanick. Das ist ein Mann, der Schwierigkeiten hätte einen Sympathiewettbewerb gegen eine Landmine zu gewinnen. Ein ganz klassisches Arschloch. Das kann man so sagen. Der Begriff ist auch durch die ehrwürdige Zeitschrift Economist ins Spiel gebracht worden, die dem Silicon Valley ein Arschlochproblem attestierte. Viel von der disruptiven Kraft, die die Gesellschaft voran bringen könnte, wird von solchen Unternehmen ins bösartige und ins destruktive verkehrt. Da gibt es eine Unerbittlichkeit und Arroganz, die sehr, sehr schädlich ist.

Uber und Airbnb kommen überall mit dem Gesetz in Konflikt. Im Silicon Valley gibt es Stimmen, die sagen, Demokratie sei eine überholte Technologie. Hat das Silicon Valley ein Demokratieproblem?

Ich denke, wenn man genauer hinsieht, sieht man einen großen Unterschied zwischen den europäischen und deutschen Start-ups einerseits und den kalifornischen Start-ups andererseits. Die kalifornische Ideologie hat sehr direkte Auswirkungen auf das Geschäftsgebaren der Start-ups. Es ist eigentlich eine extreme Technikgläubigkeit gepaart mit einer hippieesken, libertären Einstellung. So sehr ich auch persönlich mit dem Hippietum sympathisiere, denke ich, dass sich da ein Bastard herausgebildet hat. Das hat Richard Barbrook in den 90er Jahren sehr gut skizziert, dass da quasi das "worst of both worlds"“ zusammenkommt; also das Schlechte am Hippietum mit dem Schlechten an der digitalen Radikalität. Im Ergebnis hat sich so eine rücksichtslose Technikkaste gebildet, die vorgibt, die Welt verbessern zu wollen, aber extrem gefährlich ist.

Der bekannte Start-up-Investor Peter Thiel sagt, eine bessere Welt werde viel mehr durch die Technologie geschaffen, als durch die Politik.

Wenn Peter Thiel davon spricht, dass er die Welt verbessern möchte, meint er, dass er seine Welt verbessern möchte. Er ist nicht bereit, die Perspektiven anderer Leute einzunehmen. Ich mache mir große Sorgen, wenn ein Multimilliardär seine Welt verbessern möchte, nach seinen Prinzipien, und dann auch noch sagt, Demokratie hindere ihn daran, seine Geschäftsmodelle richtig durchzuziehen - denn das ist der Klartext, der hinter der Rede von Demokratie als überholter Technologie steht. Wenn Leute ankommen und sagen, wir können das algorithmisch von außen viel besser regulieren als die doofe Demokratie, dann ist das eine Hybris, die am Ende insbesondere denen schaden wird, die schon lange den Schaden davon tragen: Das sind all diejenigen, die sich nicht wehren können; die, die ärmer sind als Herr Thiel - was im Zweifel fast alle sind. Das sind diejenigen, die bisher schon Schwierigkeiten hatten in der Gesellschaft zu bestehen. Und wenn ein Peter Thiel mir erzählt, dass es völlig normal und cool ist, 30 Stunden innerhalb von 48 Stunden zu arbeiten, dann ist das aus seiner Perspektive vielleicht etwas, was seinen Börsenkurs beflügelt. Aus der Perspektive von jemandem, der am anderen Ende sitzt, ist es destruktiv und zerstörerisch.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 08.01.2015 | 22:00 Uhr