Stand: 04.12.18 10:58 Uhr

"Wir müssen uns gemein machen - mit unserer Verfassung"

von Anja Reschke

Ich fühle mich geehrt. Das ist ja schon was. Obwohl ich zugeben muss, dass ich auch ein wenig irritiert war, dass ausgerechnet ich diesen Preis bekomme. "Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten." Das ist ja das Motto des Friedrichs-Preises, es prangt in großen Lettern auf der Einladung für diesen Abend. Und doch haben Sie mich heute ausgezeichnet - unter anderem - für meine Haltung.

Im Gegensatz zu vielen von Ihnen hier kannte ich Hanns Joachim Friedrichs nicht persönlich. Als er starb, war ich 23. Als ich anfing in meinem Beruf war sein Satz zwar ein Credo, das allen Journalistenschülern ins Heftchen geschrieben, über das aber nie diskutiert wurde. Was bedeutet das eigentlich, sich nicht gemein machen? Ich fing an bei Panorama, da war Haltung ja sozusagen Einstellungskriterium.

"Wir Journalisten sind keine neutralen Wesen"
"Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten" - Anja Reschke setzt sich mit dem Satz von Hanns Joachim Friedrichs auseinander.

"Seit drei Jahren um die Ohren geklatscht"

Im Grunde genommen beschäftige ich mich erst seit drei Jahren mit diesem Satz. Seit wir Journalisten offen und öffentlich so stark kritisiert, ja auch angegriffen werden. Seit wir uns selbst ständig hinterfragen, was wir richtig und was wir falsch machen. Wenn Hajo Friedrichs wüsste, wie oft er Thema ist, in meinen Auseinandersetzungen mit verärgerten Zuschauern. Die mir Manipulation, Parteilichkeit, Propaganda vorwerfen. Und gerne mit den Worten enden: Frau Reschke, halten Sie es wie Ihre Vorgänger, berichten Sie neutral, ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mir Hajo Friedrichs seit drei Jahren fast täglich um die Ohren geklatscht wird. Er ist also in meinem Leben heute präsent wie nie.

Satz aus dem Zusammenhang gerissen

Die meisten von Ihnen wissen, dass Hajo Friedrichs seit Jahren falsch zitiert, beziehungsweise, dass sein Satz aus dem Zusammenhang gerissen wird. Seine Worte, dass man sich mit keiner Sache gemein macht, stammen aus dem letzten Interview, das er kurz vor seinem Tod dem Spiegel gegeben hat. Auf die Frage, ob es ihn gestört habe, als Nachrichtenmoderator ständig den Tod präsentieren zu müssen, antwortete Hanns Joachim Friedrichs:

"Nein, er habe es stets mit dem Grundsatz gehalten, den er bei der BBC gelernt habe: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken."

Es ging in diesem Kontext also darum, wie man es schafft, auch die schlimmsten Katastrophen-Meldungen vorzutragen, ohne mit der Wimper zu zucken. Es ging in dieser Frage und in der Antwort nicht darum, ob man sich als Journalist neutral verhalten müsse.

Friedrichs war ein engagierter Mann

Diejenigen, die ihn kannten, werden bestätigen, dass Hajo Friedrichs durchaus ein engagierter Mann war. Ich empfehle, an dieser Stelle einmal das Lied von Udo Jürgens "Gehet hin und vermehret euch" anzuhören. Ein Lied, das 1988 einen Proteststurm auslöste, weil es sich angesichts der Zunahme der Weltbevölkerung kritisch mit der Sexualmoral der katholischen Kirche auseinandersetzte. In vielen Rundfunkanstalten durfte das Lied deshalb nicht gespielt werden. Es beginnt mit dramatischer Musik und einem gesprochenen Prolog: "Es ist Zeit, Alarm zu schlagen." Dann folgen knapp eine Minute eindringliche Warnungen vor den Folgen der Überbevölkerung für die Erde. Gesprochen von niemand anderem als Hanns Joachim Friedrichs.

Satz wird instrumentalisiert

Ich denke, man tut ihm also unrecht, wenn man ihn als Journalisten ohne Haltung darstellt.

Und trotzdem ist dieser eine Satz geblieben von ihm. Man macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten. Ich nehme an, Hanns Joachim Friedrichs wäre nicht einverstanden damit, dass er benutzt wird von bestimmten Gruppierungen, die damit ihre persönliche Sicht durchsetzen wollen, was Journalismus darf und was nicht.

Wissen Sie, ich habe lange nachgedacht, in diesen vielen Auseinandersetzungen, ob ich das kann, mich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Ob wir Journalisten das können. Ob wir das überhaupt sollen. Wir müssen nicht darüber reden, dass auch wir als Journalisten keine neutralen Wesen sind, dass wir unsere Haltung in uns tragen, dass wir trotzdem unser Handwerkszeug von Recherche und Ausgewogenheit beachten können.

Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde

Aber ich denke, wir müssen uns gemein machen mit einer Sache. Und zwar mit einer guten. Unserer Verfassung. Wir, die Presse, die öffentlich-rechtlichen Sender im Besonderen, haben einen Auftrag bekommen von den Alliierten nach dem Krieg. Teilhabe an der freien demokratischen Meinungsbildung zu gewährleisten. Mündige Bürger, Deutschland zu einem demokratischen Land zu machen und diese Demokratie zu bewahren.

Wo politische Gruppierungen mit Kampagnen, verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen versuchen, unser Grundgesetz anzugreifen. Wo auch Vertreter etablierter Parteien mal einfach so Artikel des Grundgesetzes in Frage stellen oder so tun, als würden sie sie in Frage stellen, weil sie glauben, damit verlorene Wähler zurückgewinnen zu können - da müssen wir uns mit dem Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde gemein machen. Nie wurden unsere Demokratie, unsere Errungenschaften, vorneweg die Pressefreiheit, so offen in Frage gestellt wie jetzt.

Ich glaube, dass sich auch Hanns Joachim Friedrichs eingebracht hätte in diesen Kampf.

Wenn Sie, verehrte Jury, meine Arbeit in diesem Sinne anerkennen, dann nehme ich die Auszeichnung mit Stolz an.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.08.2015 | 21:45 Uhr