Stand: 18.04.24 06:00 Uhr

Wirtschaftskrise: Zurück zum russischen Gas?

von Johannes Edelhoff, Milan Panek und Lennart Richter

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges machen sich dessen Auswirkungen in Deutschland deutlich bemerkbar: Es kommt kein Gas aus Russland, was nicht nur die Industrie belastet, sondern auch die Geldbeutel der Bürger strapaziert. Wie stark sind die finanziellen Verluste wirklich?

Wirtschaftskrise: Zurück zum russischen Gas?
Berechnungen zeigen, dass die Ukraine-Invasion und der Energiepreisschock für Deutschland besonders teuer sind. Sollte das Land deshalb zurück zu russischem Gas?

Sebastian Dullien © NDR

Deutschland war besonders anfällig für die Auswirkungen der Ukraine-Invasion, sagt Sebastian Dullien.

Professor Sebastian Dullien, Wirtschaftswissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung, hat für das ARD-Magazin Panorama versucht, die Antwort auf diese Frage zu berechnen. Seine Kalkulationen zeigen, dass Deutschlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) infolge des Kriegs deutlich stärker schrumpfte als das anderer Länder. Deutschland verzeichnete einen BIP-Rückgang von fünf Prozent, was pro Kopf einen Verlust von durchschnittlich etwa 2.600 Euro pro Jahr bedeutet. Deutlich mehr als etwa in Schweden mit 1.700 Euro oder in Italien mit nur 230 Euro. Der EU-Durchschnitt liegt bei rund 880 Euro - somit sind die Einbußen für deutsche Bürger im Schnitt fast dreimal so hoch wie für Bürger anderer Länder.

Wie gerechnet wurde

Um diese Zahlen zu ermitteln, verwendete Dullien die letzten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine aus dem Herbst 2021. Darin schätzte der IWF das erwartete Wachstum des BIP bis zum Jahr 2024. Diese Zahlen verglich Dullien dann mit den aktuellen Schätzungen aus dem Januar 2024 - die Differenz wird als grobe Auswirkungen der Ukraine-Invasion und des Anstiegs der Energiepreise betrachtet.

Die Daten im Vergleich

Dullien: Abhängigkeit von russischem Gas war Teil des Problems

"Deutschland hat einige strukturelle Merkmale, die es besonders anfällig gemacht haben", erklärt Dullien. "Wir haben einen sehr großen Industriesektor, der viel Energie verbraucht. Zudem stammte ein beträchtlicher Teil dieser Energie in Form von Gas aus Russland. Und schließlich hat die deutsche Bundesregierung relativ spät in die Gasmärkte eingegriffen." Diese Kombination habe zu einer besonders starken Belastung für Deutschland geführt.

Die Auswirkungen auf Deutschland sind besonders schwerwiegend, da energieintensive Unternehmen stark betroffen sind, darunter auch die Stahlwerke Bochum. Geschäftsführer Stefan Mayer erinnert sich an den drastischen Anstieg der Energiepreise im Sommer 2022, der das Unternehmen in Bedrängnis brachte. Die Stahlwerke mussten ihre Belegschaft für fünf Monate in Kurzarbeit schicken - die längste Zeit seit 1988. Zahlreiche Unternehmen, wie etwa Thyssenkrupp Steel in Duisburg, planen wegen der Energiepreise Produktionskürzungen, was zum Abbau von Jobs führt.

Ökonomen: Rückkehr zu russischem Gas würde Industrie schwächen

Arbeiter im Stahlwerk Bochum © NDR

Vor allem energieintensive Branchen wie die Stahlproduktion waren vom Energiepreisschock schwer betroffen.

Einige Politiker der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), aber auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bringen eine Wiederaufnahme der Gasimporte aus Russland ins Spiel, um die deutsche Industrie zu stabilisieren. Doch Ökonomen und Gasmarkthändler warnen: Eine Rückkehr zu russischem Gas würde Deutschlands Industrie eher schwächen.

Sie betonen, dass Deutschlands Wirtschaft gerade wegen seiner Abhängigkeit vom russischen Gas so stark eingebrochen sei. Ein solcher Standortnachteil könne nicht kurzfristig abgefedert werden. So begann auch der Anstieg der Energiepreise nicht erst im Zuge des Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022, sondern bereits davor, im Winter 2021, als Russland weniger Gas lieferte. Mittlerweile hat Deutschland stabile neue Gaslieferanten gefunden und die Gaspreise sinken wieder.

Österreich bezieht Gas aus Russland - und hat höhere Preise

Die Diskussion über eine Rückkehr zu russischem Gas geht jedoch weiter. Während einige Politiker wie Steffen Kotré (AfD) die Zuverlässigkeit Russlands betonen und eine Rückkehr zu russischem Gas fordern, argumentieren andere, wie Wagenknecht, dass Russland als Gaslieferant geografisch für Deutschland alternativlos sei. Kretschmer beantwortet unsere Fragen nicht, ob und zu welchen Bedingungen er russisches Gas möchte.

In Österreich, das weiter und weit überwiegend Gas aus Russland importiert, sind die Gaspreise trotzdem hoch - und höher als in Deutschland. Dies zeigt, dass eine Rückkehr zu russischem Gas nicht zwangsläufig zu günstigeren Preisen führt. Viele Ökonomen sind der Ansicht, dass Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern und stattdessen verstärkt auf erneuerbare Energien setzen sollte, um langfristig unabhängiger und wettbewerbsfähiger zu werden.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.04.2024 | 21:45 Uhr