Stand: 18.04.24 21:45 Uhr

Wirtschaftskrise: Zurück zum russischen Gas? (Manuskript)

von Johannes Edelhoff, Milan Panek und Lennart Richter

Panorama v. 18.04.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Wenn auf politischer Ebene über den Krieg in der Ukraine gesprochen wird, geht es meistens um das große Ganze. Um die Sicherheit in Europa, Um den Bruch von Völkerrecht. Es geht auch um Moral und Prinzipien. Aber es wird wenig darüber gesprochen, was uns das alle kostet. Denn Putins Krieg führt zu Inflation, zu wirtschaftlichen Schäden, steigenden Energiepreisen. Wir alle haben dadurch Geld verloren. Und das merken die Leute. 

[Kurzer O-Ton]

Auch wenn das mit dem Spitzenreiter so nicht stimmt, ist da trotzdem das Gefühl oder das Bedürfnis, dass es jetzt mal gut ist, dass man wieder zu Verhältnissen wie vor dem Krieg kommen will. Als das russische Gas noch floss und die deutsche Wirtschaft stark war. Okay, schieben wir mal alles Völkerrecht, die Sicherheit und alle moralischen Bedenken beiseite: Ginge es uns besser, wenn wir wieder russisches Gas hätten? So wie es auch einige Politiker fordern? Johannes Edelhoff, Milan Panek und Lennart Richter haben einfach mal nur auf die Zahlen geguckt."

Der Chef der Stahlwerke Bochum braucht viel Gas für seine Schmelz-Öfen. Jahrelang kam das aus Russland. 

O-Ton Stephan Mayer, Stahlwerke Bochum: "Direkt hinter der elektrischen Verschmelzung geht eigentlich bei Stahlwerke Bochum hier schon der Erdgasbedarf oder der Gasbedarf, den wir haben 50 % ungefähr los". 

Mit dem Gas produzieren sie hier etwa solche Schredderhämmer für den Weltmarkt. Doch im Spätsommer 2022 ändert sich für Mayer plötzlich etwas Entscheidendes. Es kommt kein Gas mehr aus Russland. Die Preise verfünffachen sich.

O-Ton Stephan Mayer, Stahlwerke Bochum: "Für diese gestiegenen Gaspreise haben wir dann sehr tief in die Tasche gegriffen. Und auf der anderen Seite hat das im Moment natürlich die Auswirkung, dass wir jetzt, wo wir können, reagieren können, diese Preise weitergeben und im internationalen Wettbewerb eben mit deutlich erhöhten Energiepreisen in unsere Angebotsabgabe gehen und damit an Wettbewerbsfähigkeit global einbüßen, was für uns sehr wichtig ist, weil wir in über 52 Länder dieser Welt liefern."

Nicht nur das Stahlwerk - ganz Deutschland leidet unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges. Das russische Gas fehlt. Aber was bedeutet das für jeden Einzelnen? Professor Dullien von der Hans-Böcker-Stiftung hat das für uns berechnet. Das Ergebnis: 

O-Ton Prof. Sebastian Dullien, Volkswirt, Hans-Böckler-Stiftung: "Jeder Deutsche, jede Deutsche heute hat etwa 2500 Euro im Jahr weniger als das ohne den Krieg der Fall gewesen wäre "

Deutschlands Brutto-Inlandsprodukt schrumpft durch die Kriegsfolgen stärker als das, anderer Länder - wie etwa Österreich, Frankreich oder Italien. 2500 Euro pro Jahr verliert jeder und jede Deutsche im Schnitt durch die Kriegsfolgen

O-Ton Prof. Sebastian Dullien, Volkswirt, Hans-Böckler-Stiftung: "Der Grund, warum Deutschland zunächst so stark betroffen ist, ist, weil Industrie so wichtig ist bei uns. Und weil gerade energieintensive Industrie so viel wichtiger ist als in anderen Ländern. Wir sind ein Industriestandort, viel stärker als andere Länder. Und wenn dann ein Schock kommt, der die Industrie besonders trifft, dann ist das Land besonders stark betroffen."

Wir verlieren Wohlstand - wie ließe sich gegensteuern? Einige Politiker - wie etwa Sahra Wagenknecht - fordern das Naheliegende: Deutschland solle wieder Gas aus Russland beziehen. 

O-Ton Sahra Wagenknecht, Vorsitzende BSW: "Was ich für falsch halte, ist aus ideologischen Gründen einzelne Länder, und zwar große Rohstofflieferanten wie Russland, denen zu sagen, wir kaufen bei euch nicht mehr, obwohl wir eigentlich überhaupt keine realistische Alternative haben, die auf einem ähnlichen Preislevel sich bewegt". 

Wagenknecht ist nicht allein - auch aus der AfD kommen ähnliche Forderungen.

O-Ton Steffen Kotré, AfD-Bundestagsabgeordneter: "Wir brauchen schnell eine Reparatur von Nord Stream 2. Wir schicken dann USA die Rechnung und dann fließt auch wieder russisches Gas. So einfach ist das. Einfaches Problem. Einfache Lösung."

Aber stimmt das? Gashahn in Russland auf und uns geht es wieder besser? Wir recherchieren - das Ergebnis überraschend. Unsere Ausgangsfrage: Gibt es vergleichbare Länder, die russisches Gas beziehen? Tatsächlich weit oben auf der Liste: Österreich - fast alles Gas hier stammt nach wie vor aus Russland. Aber die Gaspreise in Österreich sind nicht niedriger, sondern sogar höher als in Deutschland. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt hier etwa 2400 Euro im Jahr, zum Vergleich: in Deutschland sind es etwa 1800 Euro. 

Straßenumfrage in Österreich:

Panorama:
"Es geht um Russisches Gas. Was halten Sie von den Gaspreisen hier in Österreich?"
Passantin: "Die sind zu hoch. Aber das ist selbstverschuldet, weil Österreich zu lange auf russische Freundschaft gesetzt ist. Das ist ein Fehler. Ja. Man muss sich seine Freunde gut aussuchen."
Passantin: "Eine Frechheit. Frechheit."

Panorama: "Und wie finden Sie das, dass 98 % des Gases in Österreich aus Russland kommen?"
Passantin: "Das ist überhaupt das Ärgste. Das ist überhaupt das Ärgste. Ja, aber was will man machen?"

Panorama: "Würden Sie den Deutschen wieder russisches Gas empfehlen?"
Passant: "Ich würde niemandem empfehlen, russisches Gas zu nehmen, weder den deutschen noch sonst keinem."

Die Statistik zeigt außerdem: die Gaspreise sind stärker gestiegen als bei uns. In Deutschland ist Gas zwar auch teurer geworden. Aber in Österreich noch viel mehr. Und auch mehr als in den meisten andern EU-Ländern. Warum ist das Gas dort so teuer? Der Gaspreis richtet sich nicht allein nach dem Herkunftsland. Es gibt viele andere Faktoren.

O-Ton Joel Tölgyes, Energieexperte Arbeiterkammer Wien: "Österreich ist tatsächlich sehr abhängig von russischem Gas. Und gleichzeitig waren die Preise oder sind die Preise sehr hoch. Das liegt daran, dass eben nicht der Preis nicht nur daran liegt, woher man sein Gas bezieht. Russisches Gas muss auch nicht unbedingt das günstigere Gas sein. Und dann hängt es davon ab, wie werden diese Preise im Großhandel tatsächlich auch an die Endkunden weiter verrechnet. Und da war es in Österreich so, dass es oft an Transparenz gemangelt hat". 

Das Beispiel Österreich - für Wagenknecht und Co kein Argument. Für Deutschland sei Russland immer ein verlässlicher und günstiger Gaslieferant gewesen. 

O-Ton Sahra Wagenknecht, Vorsitzende BSW: "Wenn wir durch langfristige Verträge über ein preiswertes Gas hier den Preis stabilisieren würden, wäre natürlich den Menschen geholfen. Es wäre auch für die Wirtschaft natürlich eine Perspektive und vor allem eine Versorgungssicherheit."

O-Ton Steffen Kotré, AfD-Bundestagsabgeordneter: "Und das hat ja über Jahrzehnte auch sehr gut funktioniert. Sehr gut eben mit russischen Lieferungen. Die haben uns nie im Stich gelassen. Es gab keinerlei Beeinflussung auf die Politik."

Russland ein verlässlicher Partner, der uns nie im Stich gelassen hat? Wohl kaum. Lange vor dem Angriff auf die Ukraine hatte der russische Staatskonzern Gazprom den größten deutschen Gasspeicher aufgekauft - und vor dem Kriegsbeginn weitestgehend leer laufen lassen. Als Russland die Ukraine überfällt sind die deutschen Gasreserven auf einem historischen Tiefststand. Der perfekte Preisschock.

O-Ton Prof. Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin, DIW Berlin: "Es gab Wartungsarbeiten, die Speicher wurden im Herbst schon nicht mehr gefüllt, bevor der Krieg begann. Also man sah einige Indikatoren, dass da was passiert und in die Richtung gehen wird. Russland, hat uns in die Abhängigkeit gedrückt, getrieben, gelockt und wir sind da munter in die Falle gegangen und müssen am Ende des Tages einen riesen hohen Preis dafür bezahlen." 

Selbst ehemalige Interessensvertreter Gazproms sind auch deshalb gegen eine Rückkehr zum russischen Gas. Deutschlands oberster Gaslobbyist lässt daran keinen Zweifel. Zitat Tim Kehler: "Wir sehen keine Gashändler, die längerfristige und verlässliche Beziehungen mit russischen Gaslieferanten erwarten. Von daher halten wir die Vorschläge von Sahra Wagenknecht und anderen für populistisch, irreführend und vollkommen utopisch." (Quelle: Tim Kehler, Februrar 2024, Berliner Zeitung)

O-Ton Prof. Sebastian Dullien, Volkswirt, Hans-Böckler-Stiftung: "Also wenn wir jetzt annehmen würden, dass die Pipelines wieder voll funktionsfähig wären und Russland ganz viel Gas liefern würde und auch bereit wäre, das uns sehr, sehr günstig abzugeben, dann könnte kurzfristig der Gaspreis durchaus weiter fallen. Die Frage ist nur, wie viel uns das wirklich als Deutschland bringt. Denn für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen und auch für die Entscheidung, ob bestimmte Standorte hier weiterbetrieben werden, ist nicht nur der aktuelle Preis wichtig, sondern die Frage Wie sicher und wie verlässlich ist sowohl die Lieferung als auch der Preispfad in der Zukunft? Und das ist alles ziemlich unsicher geworden. Russland ist kein verlässlicher Partner für Gaslieferungen. Das ist ziemlich deutlich klar geworden. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Pipelines repariert sind."

Geringe Verlässlichkeit heißt: hoher Preis. Selbst Wagenknecht bestreitet das Risiko nicht auf Nachfrage.

O-Ton Sahra Wagenknecht, Vorsitzende BSW: "Das ist natürlich immer ein Risiko. Gibt bei jedem Produzenten. Ich würde ja auch nicht sagen, dass wir jetzt 90 % aus Russland beziehen sollten. Wir sollten schon gucken, dass wir nicht ganz abhängig sind."

Die Industrie stellt Ihre Investitionen ohnehin schon um. Stephan Mayer will seine Stahlwerke Bochum komplett vom Gas unabhängig machen.

O-Ton Stephan Mayer, Stahlwerke Bochum: "Wir versuchen als Folge von unseren 50 % Gasverbrauch komplett wegzugehen in Richtung 100 % Elektrizität, um dann nachher erneuerbare Energien zu nutzen. Also wir möchten uns von dem ganzen Thema, das ist unser Ziel, verabschieden".

Das Fehlen von russischem Gas hat Deutschland schwer getroffen. Aber es wieder zu nutzen, würde uns wohl nur wenig bis gar nicht helfen. Die einfache Lösung ist, wie so oft, bequem, aber nutzlos.

Beitrag: Johannes Edelhoff, Milan Panek, Lennart Richter 
Kamera: Niels Gebhardt, Julia Senkler, Dian Zwetkow 
Schnitt: Sebastian Dierich 

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Das Erste | Panorama | 18.04.2024 | 21:45 Uhr