Stand: 15.05.24 19:00 Uhr

Warum junge Männer rechts wählen

von Manuel Biallas und Isabel Schneider

Eine Auswertung in der "Financial Times" sprach vor einigen Monaten von einer "global gender divide" - einer wachsenden Lücke bei jungen Frauen und Männern, was ihre politische Einstellung betrifft. Junge Männer driften nach rechts, junge Frauen nach links. Diese Entwicklung gebe es vor allem in westlichen Demokratien, auch in Deutschland. Schaut man auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen, bestätigt sich dieser Befund. Beispiel Hessen: Unter den 18-24-Jährigen wählen Männer deutlich häufiger die AfD, Frauen deutlich häufiger die Grünen.

Warum junge Männer rechts wählen
Driften junge Männer und Frauen politisch auseinander? Das legen aktuelle Auswertungen und Wahlergebnisse nahe. Gerade junge Männer scheinen anfällig für rechtes Gedankengut.

Spaltung auch in Deutschland erkennbar

Ansgar Hudde © Screenshot

Der Soziologe Ansgar Hudde hat das Wahlverhalten nach Geschlecht in der Bundesrepublik seit den 50er-Jahren untersucht.

Der Soziologe Ansgar Hudde von der Universität Köln hat das Wahlverhalten nach Geschlecht in der Bundesrepublik seit den 50er-Jahren untersucht. Er sagt: Die wachsende politische Kluft zwischen jungen Männern und Frauen gibt es tatsächlich, allerdings erst seit ein paar Jahren. "Seit 2017 sehen wir, dass Frauen im Schnitt linkere Parteien wählen als Männer. Und 2021 hat sich das noch mal verschärft, vor allem bei den Jungen. In der jüngsten Gruppe sehen wir, dass Frauen häufiger, deutlich häufiger die Grünen wählen, aber auch häufiger die SPD und die Linke. Bei der Union ist es halbwegs ausgeglichen. Männer wählen deutlich häufiger die AfD und die FDP", sagt Hudde. Und dieser Trend scheint sich, so Hudde, weiter zu verstärken.

An einer Berufsschule in Buxtehude sprechen wir mit jungen Männern über den "Political Gender Gap". Woran liegt es ihrer Ansicht nach, dass junge Männer und junge Frauen in ihren politischen Einstellungen weiter auseinanderdriften? Die jungen Männer berichten von unterschiedlichen Lebensrealitäten: Umwelt- und Klimaschutz hätten eher Priorität für Frauen, die heute häufiger in großen Städten studieren würden. Ihnen selbst, also den Männern, ginge es eher um Themen wie bezahlbare Spritpreise. Auch beim Dating hat einer von ihnen diese Polarisierung schon erlebt: "Da habe ich eine Dame kennengelernt, die nur auf meinem Social Media Account gesehen hat, dass ich der AfD folge, und das war ein Ausschlusskriterium für sie." Der Berufsschüler David Becker meint: Parteien würden generell zu wenig für die Belange junger Männer tun, die Sorgen und Ängste jüngerer Männer spielten kaum noch eine Rolle im politischen Diskurs. Aus ihrem Umfeld kennen die Berufsschüler außerdem einige junge Männer, die nach wie vor an alten Rollenbildern und traditionellen Familienbildern festhalten und möglicherweise deshalb eher rechtskonservativ wählen.

Bildungs- und Datingmarkt: Junge Männer bleiben häufiger zurück

Was die jungen Männer berichten, zeigt sich auch in soziodemografischen Daten: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich etwas verschoben zwischen jungen Männern und Frauen, auch auf dem Bildungsmarkt. Mädchen machen seit den 80er-Jahren öfter als Jungs das Abitur - mit wachsendem Abstand. Seit 2021 studieren erstmals mehr weibliche als männliche Studierende an deutschen Hochschulen, Tendenz steigend. Für den Soziologen Ansgar Hudde gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg von Frauen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt und dem politischen Gender Gap. Ein Trend, den er in einer Datenauswertung feststellen konnte, sei zum Beispiel, dass Männer mit einer niedrigen formalen Bildung immer häufiger Single bleiben. „Das heißt, da ist eine Gruppe von jungen Männern, die dadurch natürlich empfänglicher sind für eine Politik, die die generelle Unzufriedenheit versucht abzugreifen und die vielleicht auch ein Zurück, eine Nostalgie zurück in die Vergangenheit propagiert.“

Politisches Angebot von rechts

Johannes Hillje © Screenshot

Der Politikberater Johannes Hillje beobachtet, wie rechtspopulistische Parteien versuchen, junge Männer gezielt anzusprechen.

Eine generelle Unzufriedenheit junger Männer abzugreifen, versuchte zuletzt der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, mit einem Video auf Tiktok. Die Botschaft: "Echte Männer sind rechts" - "dann klappt’s auch mit der Freundin". Der Politikberater Johannes Hillje beobachtet, wie rechtspopulistische Parteien mit solchen Botschaften versuchen, junge Männer gezielt anzusprechen. Für ihn dabei auch entscheidend: die Frage nach der Gleichstellung von Mann und Frau, die von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD wieder mehr in den Fokus der politischen Auseinandersetzung gerückt werde. "Seitdem die Emanzipationsfrage wieder eine größere Rolle spielt in der Politik, haben junge Männer ein politisches Angebot, insbesondere von rechts, bekommen, dass ihnen eine Aufwertung verspricht."

Politikberater: Politische Kluft wird vermutlich weiter wachsen

Er glaubt: Wenn junge Männer jetzt häufiger rechtspopulistisch wählen, dann geht es auch darum, Kontrolle zurückzugewinnen, Macht und Privilegien zurückzuerhalten. "Wir müssen uns als Gesellschaft wieder darauf verständigen, dass die Gleichstellung von Frauen, die Förderung von Frauen allen zugutekommen, auch den Männern. Und wenn dieser Konsens da ist, dann wird diese Emanzipationsfrage wieder ein Stück weit weniger relevant werden, auch bei Wahlentscheidungen." Doch solange, glaubt Hillje, wird die politische Kluft zwischen jungen Männern und Frauen bestehen bleiben - und vermutlich sogar noch weiter wachsen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.05.2024 | 21:45 Uhr