Warum junge Männer rechts wählen (Manuskript)

von Manuel Biallas und Isabel Schneider

Panorama v. 16.05.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Nun Frauen sind mehrheitlich für ein Tempolimit – Männer dagegen. Frauen sind auch eher für ein Verbot von Silvesterfeuerwerk – Männer eher nicht. Auch das AUS des Verbrennermotors scheint Männer sehr viel mehr aufzuregen als Frauen, jedenfalls ist das der Eindruck aus Kommentarspalten und Social Media. Und beim Thema Gleichstellung von Mann und Frau, findet jeder zweite Mann sogar, dass Männer mittlerweile sogar diskriminiert würden. Gut, das sind nur wahllos herausgegriffene Themen, aber tatsächlich driften vor allem junge Männer und Frauen in ihren Einstellungen immer weiter auseinander. Und das zeigt sich auch im Wahlverhalten. Noch nie haben junge Menschen so unterschiedlich gewählt wie aktuell. Woran das liegt und welche Auswirkungen das hat, damit haben sich Isabel Schneider und Manuel Biallas beschäftigt."

Junge Männer driften nach rechts, junge Frauen nach links, die Nachricht überrascht auf diesem Campus in München nur wenige.

O-Töne StudentInnen: "Sagen wir mal, aus meinem näheren Umfeld könnte ich das auch bestätigen, dass es vielleicht eher die Männer sind, wo ein zwei, mehr in die Mitte oder nach rechts schwanken und die Frauen alle doch sehr, sehr links sind." "Ich komme aus einem Dorf in Bayern und da würde ich eindeutig zustimmen, dass es deutlich mehr vor allen Dingen Männer gibt, die rechts tendiert sind." "Diesen Trend habe ich auch beobachtet, auch in München hier."

Den Trend gibt es tatsächlich – aber erst seit kurzem, sagt der Soziologe Ansgar Hudde, der das Wahlverhalten von Männern und Frauen in der Bundesrepublik seit den 50er Jahren untersucht hat.

O-Ton Ansgar Hudde, Soziologe, Universität zu Köln: "Seit 2017 sehen wir, dass Frauen im Schnitt linkere Parteien wählen als Männer. Und 2021 hat sich das noch mal verschärft, vor allem bei den Jungen. In der jüngsten Gruppe sehen wir, dass Frauen häufiger, deutlich häufiger die Grünen wählen, aber auch häufiger die SPD und die Linke. Bei der Union ist es halbwegs ausgeglichen. Männer wählen deutlich häufiger die AfD und die FDP. Und dadurch entsteht dieser Gap, dieser Unterschied."

Das zeigt auch ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in Hessen: Junge Männer wählen vor allem CDU und AfD. Im Gegensatz zu jungen Frauen: Die AfD schneidet bei ihnen viel schlechter ab, am stärksten hier: die Grünen. Dass Frauen eher links und Männer eher rechts wählen, war nicht immer so: in den 50er und 60er Jahren zum Beispiel machten Frauen ihr Kreuz eher bei der christlich konservativen CDU. Männer wählten eher Arbeiterparteien wie die SPD. Was hat sich geändert? Eine Berufsschule in Buxtehude, Lehrgang KfZ-Mechatronik. Auf 47 Männer kommen hier vier Frauen. Die jungen Männer berichten von unterschiedlichen Lebensrealitäten: Umwelt- und Klimaschutz hätten mehr Priorität für Frauen. Der Grund:

O-Ton Emanuel Werner, Berufsschüler: "Dass heutzutage die meisten Frauen halt auch ins Studium gehen. Meistens sind die Studiums dann in Städten. Da das für uns halt jetzt immer teurer wird mit den Autos, was die in den Städten quasi nicht haben, weil die Öffis da viel besser funktionieren, denke ich mal auch, dass die zu den Parteien eher eine Verbindung haben, die mehr in die Umweltrichtung investieren."

O-Ton Lennardt Flocke, Berufsschüler: "Das sind alles Themen, die weiter in der politischen linken Hälfte zu finden sind als beispielsweise für mich da sind eher so wirtschaftliche Aspekte wichtig, okay, wie ist das halt mit dem Sprit. Wie ist das beispielsweise mit den Steuern? Das sind eher Dinge, die sich eher politisch in der Mitte oder eher rechts finden lassen. Und ich glaube, daher kommt auch so eine leichte Polarisierung. Okay, womit muss sich eine Frau befassen in ihrem Privatleben politisch und womit muss ich mich eben befassen."

Auch beim Dating haben einige diese Polarisierung schon erlebt.

O-Ton David Becker, Berufsschüler: "Da habe ich eine Dame kennengelernt, die nur auf meinem Social Media Account gesehen hat, dass ich der AfD folge und dafür war es schon ein Ausschlusskriterium für sie."

O-Ton Jeremy Schrader, Berufsschüler: "Wenn man da mit Frauen einfach im Allgemeinen redet, kann das mal ganz schnell in die Richtung gehen, dass man halt mundtot in seiner Meinung gemacht wird, einfach weil es halt denen nicht passt."

Schüler David Becker findet einzelne Positionen der AfD interessant - sieht sich selbst politisch aber in der Mitte. Er sagt: Parteien tun generell zu wenig für die Belange junger Männer.

O-Ton David Becker, Berufsschüler: "Ich find mittlerweile, viele Parteien sprechen generell Minderheiten an, im Sinne von Frauen. Ist ja keine Minderheit, aber sprechen häufig Frauen an. Darauf wird sehr, sehr viel Wert gelegt und nicht mehr wirklich darauf, auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel junge Männer, junge, heranwachsende Männer auf die Ängste einzugehen, auf die Sorgen. Es sind noch viele erzogen worden mit dem alten Gedankengut. Der Mann verdient das Geld, der Mann geht arbeiten, die Frau kümmert sich um die Kinder. Und dieses Familienbild würde gefährdet dadurch, dass die Frau selber arbeiten geht, selber Geld verdient. Die Frau ist deutlich weniger abhängig von dem Mann dadurch und ich kann die Ängste einiger verstehen, aber unterstützen tu ich’s gar nicht."

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich tatsächlich etwas verschoben zwischen jungen Männern und Frauen: Mädchen machen seit den 80er Jahren öfter als Jungs das Abitur. Seit 2021 studieren erstmals mehr weibliche als männliche Studierende an deutschen Hochschulen. Frauen machen Karriere, sind finanziell unabhängig, das verändert auch den Partnermarkt.

O-Ton Ansgar Hudde, Soziologe, Universität zu Köln: "Das betrifft dann die Männer, die im Bildungssystem nicht so erfolgreich sind. Die spüren das dann vielleicht nicht nur im Bildungssystem selbst, sondern auch in ihrem Privatleben, dass sie vielleicht merken, auf dem Partnermarkt haben sie schlechtere Chancen und das ist wirklich was, das wir auch in den Daten sehen."

Die Daten zeigen: Männer mit niedrigem Bildungsstand bleiben öfter Single. War es etwa 1980 nur jeder sechste, so ist inzwischen fast jeder zweite von ihnen ohne Partnerin.

O-Ton Ansgar Hudde, Soziologe, Universität zu Köln: "Das ist sicher ein Faktor, der dann indirekt sich auch im Wahlverhalten zeigt. Denn das heißt, da ist eine Gruppe von jungen Männern, die dadurch natürlich empfänglicher sind für eine Politik, die generell eine Unzufriedenheit versucht abzugreifen und die vielleicht auch ein Zurück, eine Nostalgie zurück in die Vergangenheit propagiert."

Eine generelle Unzufriedenheit junger Männer abzugreifen, das versuchte zuletzt der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, mit diesem Video auf TikTok: "Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos, wähl nicht die Grünen, geh raus an die frische Luft, steh zu dir, Echte Männer sind rechts, echt Männer haben Ideale, echte Männer sind Patriote" – "dann klappt’s auch mit der Freundin."

O-Töne: David Becker: "Bullshit." Panorama: "Warum?" David Becker: "Das ist ein sehr altes Gedankengut, finde ich. Sehr, sehr alt, sehr veraltet mittlerweile." Panorama: "Aber kannst du dir vorstellen, dass das junge Männer anspricht, die das gut finden?" David Becker: "Ja, das kann ich mir durchaus vorstellen." Panorama: "Warum?" David Becker: "Es ist eine sehr präsente Person gewesen, die auch sehr präsent rüberkam und es halt eindeutig klare Aussagen, so verhältst du dich, dann kriegst du eine Frau. Das ist ein Thema, das leicht anzusprechen ist. Männer wollen eine Freundin haben. Ich sag dir jetzt, wie geht das. Und fertig isses."

In Buxtehude ist die AfD damit offenbar noch nicht so erfolgreich. Für den Politikberater Johannes Hillje ergibt die Strategie der Partei aber durchaus Sinn.

O-Ton Johannes Hillje, Politikberater: "Im Zuge von Modernisierungsprozessen haben junge Männer zum Teil eine Abwertung erfahren. Und das ist etwas, was auch die AfD ganz stark ausnutzt. Sie spricht junge Männer mit höchst intimen Botschaften an. Und das macht, glaube ich, gerade auch die AfD attraktiv für viele junge Männer in Deutschland."

Warum tendieren Frauen dann eher zu linken Parteien? Carolina Claus ist der Prototyp der jungen progressiven Frau: gut ausgebildet, ungebunden, unabhängig. Für sie ist es alternativlos, sich politisch links zu positionieren.

O-Ton Carolina Claus: "Ich glaube, dieser Blick zurück. Wenn ich irgendwie schaue, wie hat meine Mutter gelebt, wie hat meine Großmutter gelebt. Sowohl familiär als auch beruflich. So, das möchte ich nicht. Ich glaube, junge Frauen möchten auf alle Fälle verhindern, dass sie wieder weniger Rechte haben, dass sie weniger die Dinge tun können, die sie machen."

Hillje glaubt: Wenn junge Männer jetzt häufiger weit rechts wählen, dann geht es ihnen auch darum, Kontrolle zurückzugewinnen. Und andersherum:

O-Ton Johannes Hillje, Politikberater: "Wenn junge Frauen sich heute eher zu Parteien der Mitte links orientieren, dann ist das auch eine Reaktion darauf, dass die Emanzipationsfrage wieder auf der politischen Agenda steht, dadurch, dass sie rechte und rechtspopulistische Parteien dorthin gebracht haben. Junge Frauen sehen sich in ihren Rechten bedroht, die über die letzten Jahre und Jahrzehnte errungen wurden. Und deshalb positionieren sie sich zu den Parteien, bei denen sie am ehesten glauben, dass die für ihre Rechte streiten."

Der politische Gendergap, im Kern auch eine Machtfrage – denn die neue Unabhängigkeit von Frauen gefällt nicht allen. Deshalb könnte die politische Kluft zwischen jungen Männern und Frauen wohl noch weiterwachsen.

Abmoderation Anja Reschke: "Tja, wenn man es kurz auf den Punkt bringen will, kann man auch sagen: gesellschaftlicher Fortschritt ist für Frauen eher eine Verheißung, für Männer, jedenfalls so lange sie in gewohnten Rollenmustern verharren, wohl eher eine Bedrohung. Und das sieht man gerade ja sehr deutlich in Wahlumfragen."

Beitrag: Manuel Biallas, Isabel Schneider
Kamera: Anton Felixberger, Martin Kobold, Samir Saad, Sebastian Tögel
Schnitt: Jasmin Kammer, Hauke Kleinschmidt, Jule Zeymer
Grafik: Benjamin Rosentreter
Mitarbeit NDR DATA: Natalie Beck, Anna Behrend

Dieses Thema im Programm:

Das Erste 16.05.2024 | 21:45 Uhr