Stand: 28.03.19 06:00 Uhr

Bahnchaos: Einblicke eines kritischen Lokführers

von Johannes Edelhoff

"Da schämt und blamiert man sich in Grund und Boden"

Zwei reale Fälle aus der täglichen Praxis, Fall eins: Ich fuhr letztens mit DB-Regio als Gastfahrt von Stuttgart nach Karlsruhe. Kurz hinter Weingarten/Baden ging die Klimaanlage aus - aha, Hauptschalter gefallen, dachte ich mir. (...) Nach 30 Minuten bin ich zum Lokführer gegangen, wir haben versucht, den Stromabnehmer zu heben, erfolglos. (...) Wir sind von 21:45 Uhr bis 0:05 Uhr auf der freien Strecke gestanden und haben uns dann von einer Lok vom Fernverkehr abschleppen lassen müssen, peinlich hoch drei! Da schämt und blamiert man sich als Eisenbahner ja in Grund und Boden. (...) Ich lese nichts darüber in "DB-Welt". Ich bin noch nie mit einer Altbau-Lok liegengeblieben, die waren robust und zuverlässig, sind sogar zur Not nur mit "heißer Luft" gefahren.

Fall zwei: Ich sollte einen Güterzug von Offenburg nach Mannheim fahren. Ich hatte schon den ganzen Tag über Verspätung (...), kam in Offenburg verspätet an und fuhr deshalb gleich auf den Zug. Der war schon fertig, anhängen, Bremsprobe, lief alles glatt, wollte mich abfahrbereit melden um 19 Uhr. Dann die große Überraschung: Der Fahrdienstleiter teilt mir mit, mein Zug wird vom Rangierbahnhof Mannheim wegen Kapazitätsproblemen verweigert! Leider wieder einmal keine Ausnahme. Also, wenn man mit einem fix und fertigen Zug im Startbahnhof nicht abfahren kann, weil es im Zielbahnhof keine freien Gleise gibt - dann ist ein absoluter Tiefpunkt erreicht. Wie stellen "Sie" sich das denn vor, liebe Chef's ? Soll ich auf der Lok übernachten und meine Hängematte oder Luftmatratze mitnehmen und darauf warten, bis der Rbf Mannheim irgendwann in ferner Zukunft einmal freie Gleise hat und so gnädig ist, meinen Zug abzurufen?
Dann verlange ich aber, das der Pizzadienst kostenlos ist, ich habe nämlich auch nach 16 Uhr noch Hunger und Durst. (...)

"Wehe, das Netz wird jemals privatisiert"

Anton Hofreiter spricht auf einer Bühne. Im Hintergrund ist er auf einem Bildschirm zu sehen. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen

Anton Hofreiters Forderung nach einer Privatisierung des Streckennetzes ist für den Autoren die Meinung eines "Unwissenden".

Wehe, das Netz wird jemals privatisiert und aus dem Bahnkonzern herausgelöst, wie es der Herr Hofreiter und andere Unwissende fordern, dann werden wir ein blaues Wunder erleben und beängstigende Zustände bekommen, die wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorgestellt hätten. Die Eisenbahn ist ein Verbundsystem, schon immer gewesen, von Anfang an, wo ein Rädchen in das andere greift, sehr arbeitsteilig, das muss man erstmal kapiert haben, und funktioniert deshalb nur reibungslos, wenn alles zusammen bleibt. Nur unsere fachfremden Politiker waren der Meinung, man müsste die Bahn privatisieren, wir sehen ja anschaulich, wo das hingeführt hat - geradewegs den Bach runter. (...)

Warum die Bahn in Deutschland nicht vorankommt liegt auch zum großen Teil an der hiesigen übermächtigen Auto/Lkw-Industrie. Die Macht der Großkonzerne der Automobilindustrie in der BRD ist gigantisch, das sollte jedem von uns unmissverständlich klar sein. Unsere Politiker knicken dann, wie so oft, sofort ein. Die Arbeitsplätze, die vielleicht unter Umständen durch eine Verkehrswende wegfallen würden, könnten neu entstehen im Eisenbahnsektor. (...)

"Wo liegt nun die Lösung des Problems?"

Ein Reisender wartet auf dem Hauptbahnhof in Hannover. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen

Ein Umstieg vom Auto auf die Bahn wäre für den Autoren ein Schritt in die richtige Richtung.

Wo liegt nun die Lösung des Problems? Kurzfristig gibt es bestimmt keine. Veränderungen fangen im kleinen an, bei jedem einzelnen von uns. Des deutschen liebstes Kind ist das Auto, freie Fahrt für freie Bürger, da fängt es an. Solange wir das in der überwiegenden Mehrheit denken, wird sich nichts ändern. Wir bräuchten einen gesellschaftlichen Wandel/Konsens darüber, eigentlich schon lange. Da wir in einer Demokratie leben kann nur die Mehrheit deswegen etwas erreichen. Ein Volksbegehren wäre möglich, die Chancen sind aber verschwindend gering, so gut wie aussichtslos, dass sowas erfolgversprechend zustande kommt. Es geht also nur über unsere gewählten Abgeordneten. Die Mehrheit von uns müsste also zu seinem Wahlkreisabgeordneten gehen, ihm so richtig Dampf machen. (...)

"Wir entschuldigen uns für fünf Sekunden Verspätung"

Ich verwende in meinen sozialen Netzwerken einen Spruch: "Willst du mit Verspätung reisen, nimm die Deutsche Bahn aus Eisen". Ich wäre überglücklich und wünschte mir nichts sehnlicher, als wenn ich den eines Tages austauschen könnte, gegen: "Wir entschuldigen uns für fünf Sekunden Verspätung".

Ein offenes Wort noch an die Vorstandsetage: Wenn Sie wirklich wissen wollen, warum es um die Bahn so grottenschlecht bestellt ist und wo unsere ganzen Verspätungen und ausgefallenen Züge herkommen, dann empfehle ich ihnen je zwei Wochen bei einem Lokführer vom Fernverkehr/Regio und Cargo mitzufahren. Danach noch je zwei Wochen beim Zugpersonal und den Fahrdienstleitern vorbeizuschauen, dann haben Sie vielleicht einen ersten Eindruck erhalten. Gehen Sie nicht über die Lehmschicht, sonder begeben Sie sich auf direktem Weg an die Basis, herzlichen Dank.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen stets eine "sichere, pünktliche und wirtschaftliche Zugfahrt von A nach B" und verbleibe bis dahin mit den besten Eisenbahnergrüßen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.03.2019 | 21:45 Uhr