Stand: 12.09.19 06:00 Uhr

Antibiotika-Krise: Warum tut sich so wenig?

von Christian Baars, Oda Lambrecht
Bakterien.

Resistente Keime breiten sich stetig, aber schleichend aus.

Die Antibiotika-Krise sei eine "schleichende Katastrophe". So bezeichnete der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Ausbreitung der resistenten Keime. Die Situation verschlechtert sich zusehends. Immer mehr Menschen sterben, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Aber anders als bei einem Flugzeugabsturz, einer Naturkatastrophe oder dem plötzlichen Ausbruch einer Seuche wie Ebola schreckt niemand auf.

Wenig konkrete Maßnahmen

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Experten wie bei der Klimakrise seit vielen Jahren warnen, aber nur wenig konkrete Maßnahmen beschlossen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Vereinten Nationen (UN), die G20-Länder, die G7, die OECD, die EU - sie alle haben in den vergangenen Jahren immer wieder betont, es müsse dringend gehandelt werden. Die Zunahme der resistenten Keime sei eine der größten globalen Bedrohungen.

In einigen Ländern ist es seitdem zumindest gelungen, den Einsatz von Antibiotika besser zu kontrollieren und zu senken. Auch die Hygiene in vielen Kliniken und das Bewusstsein von Ärzten und Veterinären für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Medikamenten hat sich offenbar gebessert.

Fördermittel für Forschung

Ein leeres Labor der Firma Achaogen.

Labore stehen leer. Viele Pharmakonzerne haben die Antibiotikaforschung gestoppt.

Doch bei einem großen Problem hat sich wenig getan: bei der Entwicklung von dringend benötigten neuen Antibiotika. Für private Investoren und große Pharmakonzerne sind die Mittel unattraktiv. Denn mit ihnen lässt sich im Vergleich zu anderen Medikamenten schlecht Geld verdienen.

Zwar haben verschiedene Länder, vor allem die USA, ihre Fördermittel in diesem Bereich aufgestockt. Deutschland hat in den letzten fünf Jahren etwa 70 Millionen Euro für die Forschung an Antibiotika gezahlt. Zu einem großen Teil floss das Geld in internationale Projekte wie das von der WHO aufgesetzte Programm GARDP oder die Initiative Carb-X, die kleine Unternehmen unterstützt.

Aber die entscheidende Wende hat dies nicht gebracht. Das Problem ist: Mit den vorhandenen staatlichen Programmen werden fast ausschließlich Wissenschaftler und kleine Firmen gefördert, die sich noch am Anfang der Entwicklung eines neuen Mittels befinden.

Medikamenten-Entwicklung ist aufwändig und teuer

Zu Beginn versuchen Forscher, entweder Stoffe in der Natur zu entdecken oder chemisch neu herzustellen, die gefährliche Bakterien abtöten. Die möglichen Kandidaten werden dann im Labor, an Tieren und später bei einzelnen gesunden Menschen getestet. Diese Phase der Medikamenten-Entwicklung dauert in der Regel schon einige Jahre, ist aber noch vergleichsweise günstig.

Richtig teuer wird es erst, wenn die Wirkstoffe anschließend in großen Studien mit einigen Hundert Patienten getestet werden. Und hierfür reichen die öffentlichen Fördermittel nicht. Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet Hunderte Millionen Euro.

Milliarden-Prämie für jedes Antibiotikum?

2014 hat deshalb die britische Regierung den Ökonomen Jim O’Neill beauftragt, die Situation zu analysieren und mögliche Auswege aus der Krise aufzuzeigen. In seinem Abschlussbericht schlug er vor, den Firmen, die erfolgreich ein neues Antibiotikum entwickeln, eine Belohnung in Höhe von etwa einer Milliarde US-Dollar zu zahlen.

Finanziert werden könnte das seiner Ansicht nach etwa durch eine Abgabe aller Pharmakonzerne. Doch dagegen wehrt sich die Branche. Sie fordert mehr Geld vom Staat oder den Krankenkasssen. Die Gesellschaft müsse auch bereit sein, für ein neues Antibiotikum zu bezahlen, sagt Thomas Cueni, Generaldirektor des Internationalen Pharmaverbandes.

Staat will nicht große Pharmaunternehmen subventionieren

Thomas Rachel.

Es sei nicht die Aufgabe des Staats, die Großpharmaindustrie zu subventionieren, sagt Thomas Rachel.

Angesichts der immensen Gewinne der Pharmabranche mit anderen Medikamenten ist aus Sicht vieler Politiker allerdings schwer zu vermitteln, den Firmen weitere Milliarden in Aussicht zu stellen. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Thomas Rachel (CDU), sagt: "Wir sehen es nicht als die Aufgabe des Staates, jetzt die Großpharmaindustrie zu subventionieren bei dem Thema."

In den USA und Großbritannien werden allerdings derzeit Modelle diskutiert und in Ansätzen bereits umgesetzt, um den Konzernen mehr Geld für Antibiotika in Aussicht zu stellen. Auch die G20-Gesundheitsminister verabschiedeten bei ihrem Treffen in Japan im Juni eine Erklärung, in der sie sich dafür aussprachen, entsprechende Anreize zu prüfen, "um den Markt zu stimulieren".

Es erscheint allerdings fraglich, dass selbst eine Prämie in Milliarden-Höhe für jedes neue Antibiotikum die großen Konzerne dazu bewegen könnte, ihre Forschungs-Prioritäten zu ändern. Denn mit anderen Medikamenten lassen sich noch immer wesentlich höhere Gewinnen erzielen. Mit den zehn umsatzstärksten Mittel nehmen die Firmen derzeit zwischen 5 und 20 Milliarden Dollar pro Jahr ein, Tendenz steigend.

Sollen Staaten Antibiotikaentwicklung übernehmen?

Ursula Theuretzbacher.

Der Markt könne das Problem nicht lösen, sagt Ursula Theuretzbacher.

Deshalb schlagen einige Experten mittlerweile vor, dass die Staaten die Forschung und Entwicklung von neuen Antibiotika komplett übernehmen sollten - wie etwa bei der Trinkwasserversorgung. "Antibiotika sind ein sehr gravierendes Beispiel, dass der Markt nicht die Probleme im Gesundheitssystem lösen kann, wenn kein Profit drinnen ist" , sagt Ursula Theuretzbacher, eine der wichtigsten unabhängigen Beraterinnen im Bereich der Antibiotikaforschung.  Sie glaube, dass man "generell vom System der profitorientierten Erforschung und Entwicklung von Antibiotika weggehen und neue Wege suchen" müsse. Eine Möglichkeit wären etwa öffentlich finanzierte Unternehmen, die diese Aufgabe wahrnehmen.

Im Vergleich zu anderen Aufwendungen wäre dies sogar vergleichsweise günstig. Der britische Ökonom Jim O’Neill hat in seinem Bericht geschätzt, dass insgesamt, weltweit bis zu 3,5 Milliarden Euro pro Jahr nötig wären, um für ausreichend neue Antibiotika zu sorgen. Die Politik sei nun gefordert, schrieb der Ökonom in seinem Abschlussbericht 2016. Mittlerweile zeigt er sich zusehends genervt, dass sich seitdem kaum etwas getan hat. Auch Ursula Theuretzbacher sagt, "bei allem, was der Markt nicht lösen kann, sollte der Staat eingreifen". Aber das werde zur Zeit nicht genügend gesehen.

Auch in Deutschland sind derzeit keine konkreten, umfassenden Maßnahmen in Sicht. Das Bundesgesundheitsministerium teilte schriftlich mit, man wolle sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass "weitere Anreize und Erleichterungen für die Entwicklung und Zulassung von neuen Antibiotika geprüft werden". Und das Bundesforschungsministerium verweist auf die bereits laufenden Initiativen und Förderprogramme, die aufgestockt werden sollen. 500 Millionen Euro wolle die Regierung insgesamt für den Kampf gegen resistente Keime bereitstellen - allerdings bis zum Jahr 2028, also 50 Millionen pro Jahr.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.09.2019 | 21:45 Uhr