Alleingelassen: Herr Farooqi und das entführte Kind

von Lisa Maria Hagen, Alena Jabarine und Mariam Noori

Seine liebste Erinnerung: mit seiner Tochter am Elbstrand. Damals war Aaliya ein Jahr alt. Und er, Danisch Farooqi, glücklich: "Ich war der Erste, der sie auf dem Arm hatte, als sie geboren wurde. Sie war bei weitem der größte Teil meines Lebens, der wichtigste." Aaliya ist ein Jahr alt, als sich ihre Eltern scheiden lassen. Die Beziehung zwischen Danisch Farooqi und seiner Tochter bleibt eng. Die Eltern teilen sich das Sorgerecht. Aaliya wächst bei ihrer Mutter auf, die Wochenenden verbringt sie bei ihm in Hamburg. Die wenigen Videos, die von Aaliya geblieben sind, zeichnen das Bild einer ganz normalen Kindheit: Aaliya fährt Karussell auf dem Hamburger Dom, Aaliya isst Pommes mit Gewürzketchup, Aaliya fährt Bobby Car.

Alleingelassen: Herr Farooqi und das entführte Kind
Seit fünf Jahren hat Danisch Farooqi keinen Kontakt zu seiner Tochter. Denn seine Ex-Frau ging zum IS und verschleppte sie nach Syrien. Er will sein Kind zurück, doch die Regierung hält ihn hin.

Aaliya wird nach Syrien verschleppt

Der Kontakt zu seiner Ex-Frau ist schlecht. Sie lernt einen neuen Mann kennen, radikalisiert sich. 2014 verschleppt sie Aaliya nach Syrien. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die eigene Mutter ein unschuldiges, kleines, dreijähriges Kind, die pure Freude, in ein Gebiet mitnimmt, wo Krieg herrscht. Wo Leute flüchten, um ihre Kinder davor zu schützen", sagt Farooqi.

Danisch Farooqi ist selbst Moslem. Islamisten verachtet er. Von den Plänen seiner Frau ahnte er nichts. "Auf einmal war sie weg, aus dem Nichts heraus. Keine Vorahnung, nichts!", so Farooqi. Als er davon erfährt, ist es schon zu spät, Aaliya mit ihrer Mutter im sogenannten "Islamischen Staat" untergetaucht. Farooqi erstattet Anzeige wegen Kindesentzug, schaltet internationale Suchaufträge und recherchiert in sozialen Netzwerken. Aaliya bleibt mehr als vier Jahre verschwunden.

Die Spur führt in ein kurdisches Gefangenenlager

Kurdisches Lager © NDR Foto: Screenshot

In den kurdischen Flüchtlingslagern herrschen schlechte medizinische und humanitäre Bedingungen. Gerade die Kinder leiden darunter.

Dann rücken kurdische Milizen und die "Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat" gegen den IS vor. Auch Deutschland ist Teil dieser Allianz. Vor anderthalb Jahren erfährt Farooqi, dass seine Tochter und die Ex-Frau gefangen genommen wurden. Aaliya kommt in ein kurdisches Gefangenenlager, Camp Roj in Nordsyrien. Es ist der erste Beweis, dass Aaliya noch am Leben ist. Doch ganz erleichtert ist Danisch Farooqi noch nicht. Die Gefangenenlager sind überfüllt. Zehntausende IS-Frauen und ihre Kinder hängen dort fest, weil ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen. Krankheiten wie Syphilis und Typhus breiten sich immer weiter aus. Die kurdische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien ist überfordert.

Es beginnt ein neuer Kampf - gegen die deutschen Behörden. Danisch Farooqi will seine Tochter aus dem kurdischen Camp zurück nach Deutschland holen. Doch bis heute ist Aaliya im Gefangenenlager. "Ich habe natürlich alles versucht, aber vielleicht habe ich etwas ausgelassen, etwas vergessen, irgendwas nicht gemacht, irgendwas falsch gemacht. Diesen Vorwurf muss man sich als Vater jeden Tag machen."

Seit fünf Jahren keinen direkten Kontakt

Farooqi hat weiter keinen Kontakt zu seiner Tochter. Seine Ex-Frau unterbindet das. Deswegen hat er sich mit anderen Eltern in Deutschland vernetzt, deren Kinder auch in Nordsyrien festsitzen. Ab und zu bekommt er so Nachrichten aus dem Camp. Manchmal Gerüchte, oft Horrormeldungen. Wie mitten bei unseren Dreharbeiten. Wir sind bei Danisch Farooqi zuhause, als auf einmal das Telefon klingelt. Es ist eine Frau aus Hamburg, ihre Enkelkinder sind im selben Camp wie Aaliya. Ihre Stimme überschlägt sich fast. "Wir haben ein großes Problem in diesem Camp Roj", ruft sie, "zwei Zelte sind verbrannt und diese Frau und die Kinder verbrannt, hast du gehört Farooqi?" In Farooqis Kopf überschlagen sich die Gedanken. "Was ist mit meiner Tochter?", will er wissen. "Deiner Tochter geht es gut", antwortet sie, "aber vielleicht passiert das morgen oder übermorgen auch deiner Tochter."

Es gibt keine offiziellen Informationen aus dem Camp. Ob der Brand wirklich passiert oder nur ein Gerücht ist, können weder wir noch Farooqi überprüfen. Aber jeden Tag, den Aaliya im Camp Roj ist, hat er Angst um das Leben seiner Tochter.

Vom Auswärtigen Amt hingehalten

Danisch Farooqi © NDR Foto: Screenshot

Ein See aus Papier: Danisch Farooqi schreibt jahrelang Ämter, Politiker und Oragnisationen an - bisher ohne Erfolg.

Mehr als 200 Seiten E-Mail-Verkehr an das Auswärtige Amt und an weitere Politiker belegen Farooqis verzweifelte Versuche, seine Tochter zurück nach Deutschland zu holen. Aaliya ist deutsche Staatsbürgerin, sie hat ein Recht, nach Deutschland zu kommen. Doch seit anderthalb Jahren wird Danisch Farooqi vom Auswärtigen Amt vertröstet. Aus Regierungskreisen heißt es, dass Fälle deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nord-Syrien in Gewahrsam befinden, zwar bekannt seien, in Syrien eine konsularische Betreuung jedoch nicht möglich sei. Denn: in Syrien gibt es keine deutsche Botschaft mehr. Die Bundesregierung prüfe trotzdem weiterhin, ob sie deutsche Staatsangehörige, vor allem Kinder, von dort zurückholen könne.

Die kurdische Selbstverwaltung kontrolliert die Camps in Nordsyrien und pocht auf ein schnelles Handeln der Deutschen. "Die Frauen und Kinder müssen heute nach Deutschland kommen, nicht morgen. Es könnte sein, dass bald, wenn wir keine Unterstützung bekommen, noch mehr Kinder sterben", sagt Ibrahim Murad. Er vertritt die kurdische Selbstverwaltung in Berlin.

"Ich habe so viel getan, und nichts hat sich bewegt"

Die Bundesregierung begründet ihr Zögern damit, keinen offiziellen Ansprechpartner in Nordsyrien zu haben. Die kurdische Selbstverwaltung ist nicht offiziell anerkannt. Ibrahim Murad sagt, es gebe Kontakt zur deutschen Regierung, wenn auch inoffiziell. "Wenn der politische Wille da ist, dann läuft alles. Die müssen nur sagen, ok, wir werden diese Leute zurücknehmen, dann können wir uns hier oder vor Ort in Kontakt setzen und das zusammen planen."

Danisch Farooqi fragt noch immer alle paar Wochen beim Auswärtigen Amt nach, bittet Politiker um Hilfe. Erfolglos. Auf seinem Boden liegen ausgedruckt alle E-Mails, die er für Aaliya geschrieben hat. "Ich habe so viel getan, und nichts hat sich bewegt", sagt er und blickt auf die Papiere auf dem Boden, "das ist echt überwältigend das so zu sehen."

Ein sonniger Sonntag im April. Danisch Farooqi spaziert am Elbstrand. Seitdem die Rückkehr der IS-Anhänger wieder in den Medien diskutiert wird, hat er Hoffnung, dass er irgendwann wieder mit Aaliya zusammen sein kann. "Ich will meine Tochter zurück, aber solange das nicht geht, will ich zumindest wissen, warum das nicht geht. Das ist doch mein Recht. Es gibt keine Gründe dafür. Sie müssten dann zugeben, dass sie das nicht wollen. Und dazu sind sie nicht bereit." Sollten sie zurückkommen, muss Farooqi erst das volle Sorgerecht im Eilverfahren beantragen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 25.04.2019 | 21:45 Uhr