Flüchtlinge - wie Deutschland mit ihnen umgeht
Unter dem Titel "Flüchtlinge - Deutschland schaut hin!" widmet sich das Erste im Rahmen eines Themenabends der Flüchtlingskrise. Den Auftakt bildet eine Panorama extra mit "Flüchtlinge - wie Deutschland mit ihnen umgeht".
Panorama extra: Flüchtlinge - wie Deutschland mit ihnen umgeht
Wie werden Flüchtlinge hier aufgenommen? Auf welche Hilfsbereitschaft und welche Ablehnung treffen sie? Welche Entscheidungen muss die Politik treffen?
Mehrere Wochen lang waren die Panorama Reporter in Deutschland unterwegs. Dabei haben sie überbordende Hilfsbereitschaft kennengelernt, Bürgermeister, die alles geben, um die Flüchtlinge unterzubringen, ehrenamtliche Helfer, die vor Ort versuchen müssen, mit der Situation klarzukommen, Polizisten, die an den Grenzen Züge kontrollieren und dem Strom der Flüchtlinge oft hilflos gegenüberstehen; aber auch überfüllte Flüchtlingsheime, in denen sich Stress und Gewalt entladen und Ausländerfeinde, die das Chaos als Rechtfertigung für ihre Hetze benutzen. Und sie haben erlebt, dass sich fast alle in einem Punkt einig sind: die Bundesregierung hat bisher kein Konzept, wie sie mit den drängenden Fragen der Flüchtlingsproblematik umgehen soll. Zwar hat sie jetzt mehr Geld versprochen, doch letztlich agiert sie noch immer planlos.
Orte der Panorama-Reise
In Königswinter musste die Stadt innerhalb von 48 Stunden eine Notunterkunft aus dem Boden stampfen. Mit viel Engagement wurden Zelte aufgebaut und eine Turnhalle umfunktioniert. Dann sollten die Flüchtlinge früher als geplant kommen, verbunden mit dem Vorschlag: "Die können ja beim Aufbau helfen". Königswinter steht pars pro toto: Überall in Deutschland fühlen sich Kommunen mit der Flüchtlingsfrage alleingelassen. Bürgermeister Peter Wirtz: "Die Regierung wusste von hohen den Flüchtlingszahlen. Jetzt, wo sie an unseren Grenzen stehen, merken sie plötzlich: Oh, das sind ja Menschen, Schicksale, um die man sich kümmern muss."
Neuer Abschnitt
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Zeltaufbau in Königswinter: Hier soll bis zum Abend ein Zuhause für 100 Flüchtlinge entstehen. Die Ansage kam erst vor 48 Stunden aus Köln.
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Das ist schon fast Alltag in Deutschland: Städte und Gemeinden bekommen Flüchtlinge zugewiesen und müssen in kürzester Zeit Notunterkünfte bereit stellen. Heike Jüngling, Sozialdezernentin in Königswinter, weiß weder aus welchen Ländern die Menschen kommen noch wie viele Kinder darunter sind.
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Der oberste Krisenmanager müsste Innenminister de Maizière sein. Doch auch er scheint überrollt von der Zahl, obwohl sie vorhersehbar war. Zumindest was die Kriegsflüchtlinge angeht: Der Krieg in Syrien hat inzwischen zwölf Millionen Menschen entwurzelt.
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Die Bundesregierung und auch der Rest Europas hatte geglaubt, sich mit Grenzpatrouillen zu Land und zu Wasser das Problem vom Leibe halten zu können - ohne Erfolg.
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Ungarn will nun die "Festung Europa" durch einen Zaun an der serbischen Grenze bewahren, 175 Kilometer ist er lang. Hier verläuft eine zuletzt viel genutzte Flüchtlingsroute.
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Doch selbst der Konstrukteur des Zauns, der ungarische Oberst Zoltán Somogyi, bezweifelt den Nutzen: "Kann man Flüchtlinge mit diesem Zaun stoppen? Nein, ich kann hier einfach eine Zange nehmen und dann kann ich durch."
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Noch sind die innereuropäischen Grenzen offen, zum Beispiel bei Passau. Mittlerweile kommen dort an einem Tag bis zu 1.200 Migranten an, meist über die deutsch-österreichische Grenze.
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Wie diese zwei 21-jährigen Syrer. Sie sind glücklich, dem Krieg entronnen zu sein. An der Grenze hat sie niemand aufgehalten und nun laufen sie auf einer Landstraße Richtung Passau.
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Die Sammelstelle in Passau auf dem Gelände des Technischen Hilfswerks (THW) ist das erste Lager auf deutschem Boden - und überfüllt: Auf Bierbänken, wo sonst bayerische Lederhosen Platz nehmen, schlafen jetzt Flüchtlinge.
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Bundesinnenminister de Maizière landet auf dem Gelände der Bundespolizei im nahen Deggendorf. Lange hat er die Augen vor der Krise verschlossen, allein auf Abschottung gesetzt, darauf gepocht, dass Flüchtlinge da bleiben müssen, wo sie EU-Boden erstmals betreten, also etwa in Griechenland, Bulgarien oder Italien.
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Doch jetzt ist der Innenminister mit der Realität konfrontiert, lediglich Improvisation verhindert den Kollaps. Wie hier in Deggendorf, wo er erschöpfte Flüchtlinge in einer Turnhalle "besichtigt".
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Warum hilft die Bundesregierung Ländern und Kommunen nicht viel mehr bei der Unterbringung von Flüchtlingen? "Für die Erstaufnahmeeinrichtung sind die Länder zuständig. Das wissen die Länder auch. Sie haben die Erstaufnahmeeinrichtungskapazitäten erhöht", so Innenminister de Maizière.
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Die Erstaufnahmekapazitäten erhöht? Mitten in der Hauptstadt sieht es nicht wirklich danach aus. Hunderte Menschen campen wild...
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...und warten rund um das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LaGeSo), um als Asylbewerber registriert zu werden und von der Behörde eine Unterkunft zu bekommen.
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Auch in Königswinter läuft es nicht nach Plan: Sozialdezernentin Heike Jüngling zählt statt den angekündigten 100 Flüchtlingen 130, darunter Kinder und Kleinkinder - bei 100 bereitgestellten Betten.
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Oliver Junk, Oberbürgermeister von Goslar, hätte Platz für Flüchtlinge in seiner Stadt. Hier steht jede zehnte Wohnung leer. Doch die Stadt hat gerade mal 99 Flüchtlinge zugewiesen bekommen. Denn verteilt werden Asylbewerber bundesweit nach dem immer gleichen Schlüssel...
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... je größer eine Stadt, desto mehr Flüchtlinge muss sie aufnehmen. Dabei gibt es überall in Deutschland viele Gebäude, die leer stehen, wie diese Karte zeigt. Je heller die Flächen, desto mehr Leerstand.
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Erstaufnahme in Ellwangen, Baden-Württemberg: Vor fünf Monaten war das noch eine leere Kaserne. Heute ein Flüchtlingslager, das aus allen Nähten platzt. Die Flüchtlinge stehen an zur Essensausgabe. Wartezeit: Minimum zwei Stunden.
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Überwiegend Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien sind hier untergebracht. "Wir wollen denen eine anständige Unterkunft bieten", so Berthold Weiß, Leiter der Landes-Erstaufnahmeeinrichtung. Weil das Land Baden-Württemberg zeigen will, wie die Lage ist, darf Panorama hier drehen.
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"Es ist für uns sehr schmerzhaft, das ist hier keine anständige Unterkunft", so Weiß weiter. Mehr als diese Mehrzweckhalle hat er nun nicht mehr. Es ist die letzte Möglichkeit, um Obdachlosigkeit auch hier zu verhindern.
Völlig überfüllte Notunterkünfte
In Ellwangen (Baden-Württemberg) und in Bramsche-Hesepe (Niedersachsen) sind die Notunterkünfte total überfüllt. Ursprünglich sollten in den alten Kasernengebäuden in Hesepe bis zu 600 Menschen unterkommen, aber inzwischen leben dort 3.000 - mehr Menschen als Hesepe Einwohner hat. Die Helfer sind überfordert, keiner hat mehr einen Überblick, manche Flüchtlinge sind nicht einmal registriert. Immer wieder kommt es zu Konflikten unter den Flüchtlingsgruppen im Lager, es braut sich ein Hexenkessel zusammen.
Weitere Informationen
Ungenutzter Wohnraum
In Goslar (Niedersachsen) steht jede zehnte Wohnung leer. Hier wäre Platz und Bürgermeister Oliver Junk würde gerne überforderten Nachbarstädten einige Flüchtlinge abnehmen. Ist aber nicht möglich. "Irrsinnig, dass Städte Containerdörfer bauen und Turnhallen leerräumen müssen, hier aber Wohnraum leer steht."
An den Grenzen der Belastbarkeit
Und schließlich Passau in Bayern: Die Bundespolizei an den bayrisch-österreichischen Grenzen kümmert sich längst ausschließlich um Flüchtlinge. An einem Tag kommen bis zu 1.200 Menschen. Beamte beklagen sich: "Die Grenze der Belastbarkeit war schon vor einem Jahr überschritten. Trotzdem kommen immer mehr. Die Politiker sehen sich die schlimmen Zustände hier an. Sie ändern aber nichts daran." Keine Lösung sei es, Schengen auszusetzen, die Grenzen dicht zu machen. Die Flüchtlinge kämen trotzdem.