"Die Schuldigen sind nicht die Flüchtlinge"

Die Sammelstelle in Passau. Das erste Lager auf deutschem Boden. Ein Gelände des Technischen Hilfswerks, in Beschlag genommen von der Polizei. Auf Bierbänken, wo sonst bayerische Lederhosen Platz nehmen, schlafen jetzt Flüchtlinge. Der Polizist, der mit uns spricht, ist hier in langen Schichten eingesetzt. Er berichtet anonym, wie er die Zustände wahrnimmt.

Panorama: Können Sie die Lage in Passau beschreiben?

Polizist: Die Räumlichkeiten bei der Polizei in Passau sind sehr beschränkt, was die Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen betrifft. Die Bundespolizei ist mittlerweile in das THW umgezogen und die Landespolizei führt mehr oder weniger in dem Vorraum einer Garage eine Erstregistrierung durch. Beide Räumlichkeiten sind viel zu klein für diesen Ansturm an Leuten, die nach Passau drängen. Die Konsequenz ist, dass viele Leute oft über mehrere Stunden im Freien stehen müssen. Das ist weder bei den jetzigen Temperaturen - weit über 30 Grad - schön, noch bei Regen, Sturm, Gewitter. Das gilt auch für die Polizisten, die natürlich genauso draußen stehen.

Wie bewerten Sie diese Situation?

Polizist anonymisiert im Interview

Anonym berichtet ein Polizist über die Situation in Passau.

Es ist unzumutbar für die Flüchtlinge, dass sie, egal ob Mann, Frau oder Kinder, oft stundenlang draußen verharren müssen, bis die Registrierung durchgeführt wird. Dann müssen sie längere Zeit warten auf engstem Raum, bis der Abtransport stattfindet. Da geht gern mal ein halber oder dreiviertel Tag um. Für die Polizei ist es unbefriedigend, weil der Sicherheitsaspekt sehr leidet.

Wie meinen Sie das?

Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, aus Iran, Afghanistan aus Syrien, Kurden, Jesiden, alle möglichen Kulturen, die sich teilweise in ihren eigenen Ländern bekriegen, aus diesem Grund aus ihrem Land flüchten treffen, werden dann in unserem Land bei der Registrierung auf engstem Raum zusammengepfercht, bis die richtige Registrierung in den Aufnahmeeinrichtungen stattfindet. Das hat auch schon zu Ausschreitungen in dieser Vorregistrierung geführt. Ob das jetzt mit der Enge der Räumlichkeiten zu tun hatte oder aufgrund kultureller oder nationaler Differenzen, das kann ich nicht sagen.

Was müsste sich ändern aus Ihrer Sicht?

Es müsste sich politisch etwas ändern. Es ist nicht damit getan, dass es bei der Polizei mehr Leute gibt. Landes- und Bundespolizei werden ständig aufgestockt durch Unterstützungskräfte, die nur bewirken, dass noch mehr Leute eingesammelt und registriert werden können. Es muss ein politische Lösung her, am besten europaweit, die eine bessere Verteilung der Flüchtlinge garantiert. Und eine kürzere Registrierungsphase. Konkret müsste sich ändern, dass die die Leute adäquater untergebracht werden in den Räumlichkeiten, in denen diese Registrierung stattfindet, bzw. eine Vorsortierung. Dass sanitäre Anlagen ausreichend vorhanden sind. Dass die Räumlichkeit groß genug ist, damit Feldbetten aufgebaut werden, wo die Leute sich, wenn sie länger da sind, hinlegen können zum Schlafen. Das ist zur Zeit nur sehr bedingt vorhanden.

Flüchtlinge in Deutschland: Zwischen Überforderung und Hoffnung

Sie haben remonstriert, also eine Einwendung erhoben. Was haben Sie in den Beschwerden an die Vorgesetzten geschrieben und wie haben diese reagiert?

Es wurde u.a. diese lange Wartezeiten unter freiem Himmel angesprochen Es wurde auf die Witterungsverhältnisse eingegangen - wenn es regnet, sind die Leute genau wie die Polizisten den Witterungsverhältnissen ausgesetzt. Doch das wurde mehr oder weniger als  Kommentar abgetan, es ist nichts passiert in der Richtung. Wenn etwas nachgeregelt wurde, ist es eigentlich schlechter geworden für uns.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

(lacht) das möchte ich jetzt nicht sagen. Der Kommentar durch die Führung war, dass man sich schon irgendwie durchwurschtelt, so der Wortlaut. Und wir wollen uns nicht durchwurschteln. Wir wollen richtig arbeiten, polizeilich arbeiten, und das ist eben zur Zeit schlecht möglich.

Sie sprechen von "menschenunwürdigen Zuständen". Das kann den Vorgesetzten ja nicht entgangen sein. Gab es keine Unternehmungen, diese Zustände abzustellen?

Das ist eine schwierige Frage. Es waren zig Politiker da, auch hohe Führungskräfte verschiedener Behörden, die sich diese ganzen Sachen angeschaut haben. Und jeder hat nur gesagt, dass es schlimm ist und dass es so eigentlich nicht geht, aber geändert hat sich nichts. Vor dem Besuch von Innenminister de Maizière waren die Zustände wirklich sehr grob - für Polizei und Flüchtlinge. Kurz vor seinem Besuch wurden Änderungsmaßnahmen eingeleitet, die auch immer noch laufen. Da muss  man jetzt mal abwarten, wie sich das entwickelt. Da kann man noch keine Prognose abgeben. Aber Fakt ist, dass die Räumlichkeiten zu klein sind. Und laut meiner Auskunft war der Innenminister nicht im THW. Er war nur kurz auf dem Bundespolizeirevier in Passau, hat sich dort aber angeblich auch nicht alles angeschaut und ist dann direkt nach Deggendorf gefahren in diese Bearbeitungsstraße.

Das heißt, die menschenunwürdigen Zustände hat er gar nicht gesehen?

Nein.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 31.08.2015 | 20:15 Uhr