"Man fühlt sich vollkommen machtlos"

Die Kamera verändert ja auch immer ein bisschen die Realität, gerade an einer Schule ist das Drehen nicht einfach. Wie kann man garantieren, dass sich die Schüler vor der Kamera so verhalten wie im "normalen" Alltag?

Reschke: Das kann man nicht garantieren. Wir waren ja schon bevor wir angefangen hatten zu drehen, mehrmals in dieser Schule. Wir wussten also, wie sich Kinder und Lehrer ohne Kamera benehmen. Wir dachten, dass wir das Drehmaterial der ersten Tage gar nicht gebrauchen könnten, weil sich die Kinder erst an die Kamera gewöhnen müssen. Aber komischerweise hatten sie das bereits in der ersten Stunde weitgehend vergessen.

Wärnke: Kinder gehen mit Kameras schnell sehr natürlich um. Während Erwachsene noch darüber nachdenken, wie sie im Fernsehen wirken, ist das Kindern glücklicherweise oft egal. Zudem hatten wir sehr gute Produktionsbedingungen: Ein Kameramann hat mit normal großer Kamera überwiegend die Lehrerin und Co-Lehrerin Anja während der Schulstunden gedreht. Ich habe mit einer kleinen Spiegelreflex-Foto-Kamera die Nahaufnahmen der Kinder gemacht und beobachtend Szenen eingefangen. Diese kleine Kamera fällt weniger auf, schüchtert weniger ein. Das hat geholfen, den "normalen" Alltag möglichst real abzubilden.

Wie war Ihr Verhältnis zu den Schülern? Wurden Sie eher als interessante Besucher oder als nervige Erwachsene wahrgenommen?

Reschke: Eigentlich gut. Erstmal waren sie neugierig, wer da so kommt. Und dann wird man sofort in Beschlag genommen: Der Tonmann wird beispielsweise gefragt, ob er eben bei der Matheaufgabe helfen kann. Man hat das Gefühl, gut Freund mit den Kindern zu sein. Das kann aber auch kippen. Es gab einen Tag, an dem die Kinder plötzlich richtig "Anti" waren: "Oooh nein, der NDR, auf Nimmerwiedersehen" und solche Dinge wurden gerufen. Dann ist man richtig verletzt, weil man sich doch vorher so bemüht hatte.

Eine Schlüsselszene des Filmes zeigt eine Englischstunde, die allmählich außer Kontrolle gerät. Irgendwann schlagen sich zwei Schülerinnen. Auf Ihre Frage, ob wir eigentlich andere Kinder schlagen, antwortet eines der Mädchen trocken mit "ja". Was geht da in einem vor?

Reschke: Das ist ein schreckliches Gefühl, weil man merkt, dass man argumentativ alles ausgeschöpft hat - und nicht gewonnen hat. Man fühlt sich vollkommen machtlos. Wer eigene Kinder hat, kennt solche Situationen. Doch die wollen dann irgendwann doch von einem geliebt werden. Das ist Schülern egal. Man hat wirklich nichts in der Hand. Ich denke, man muss vorher so gut aufgestellt sein in der Klasse, dass es überhaupt nicht zu solchen Situationen kommt.  

Wie könnten Lehrer besser auf den Schulalltag vorbereitet werden?

Wärnke: Es fängt schon damit an, wer Lehrer werden will: An der Universität Passau gibt es für Erstsemester, die auf Lehramt studieren, einen Eignungstest. In diesem Test können die Studenten herausfinden, ob sie überhaupt geeignet sind, Lehrer zu werden. Wenn jemand zum Beispiel nicht gerne vor Gruppen spricht, sollte der Berufswunsch vielleicht noch einmal überdacht werden.

Reschke: Das Hauptaugenmerk in der Lehrerausbildung liegt immer noch zu sehr auf dem Fachlichen. Aber weil alles so sehr von der Person des Lehrers abhängt, müssen auch dessen persönliche Kompetenzen gestärkt werden. Das fängt ganz simpel an bei Sprechausbildung, Rhetorik wäre wichtig, Pädagogik muss einen viel größeren Stellenwert einnehmen. Denn in vielen Schulen geht es heute mehr um Erziehungsarbeit als um die Vermittlung von Fachwissen.

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Das Erste | Panorama | 22.08.2013 | 21:45 Uhr