Kommentar

Stand: 10.06.15 18:37 Uhr

Journalismus ist keine heile Welt

von Andrej Reisin

Journalisten sind keine neutralen Wesen

Nun bringen Journalisten ihre Haltung natürlich genauso mit wie jeder andere auch. Natürlich sollen sie so objektiv wie möglich berichten, gleichzeitig aber weiß jeder, dass vollständige Objektivität unerreichbar ist. Wahrheit ist stets ein umkämpfter Begriff - an den man sich nur in einem breiten Konsens annähern kann. Ein Tisch ist ein Tisch, weil wir uns von frühester Kindheit an alle darauf geeinigt haben, eine Platte mit vier Beinen so zu nennen. Der Ukraine-Konflikt aber ist eben kein Tisch.

Die meisten Journalisten hierzulande sind nun einmal von westlichen Werten geprägt. Dementsprechend sahen und sehen sie in der Ukraine ein Land, das um Demokratie und Westbindung kämpft - und in Putin einen Aggressor, der auch im eigenen Land alles andere als demokratisch agiert. Dass die Brüche der ukrainischen Gesellschaft möglicherweise etwas komplexer sind - und dass auch die russische Seite legitime Ziele haben könnte - wurde dabei zunächst weniger beachtet. Doch Einseitigkeit vieler Berichte wurde durchaus erkannt und kritisiert - zum Beispiel von ZAPP:

Doch da das Publikum in dieser Frage gespalten ist, hören auch die Vorwürfe nicht auf: Als Panorama über besorgniserregende Tendenzen in der Ukraine berichtet hat, die in der tagesaktuellen Berichterstattung auch nach unserer Auffassung zu kurz kamen, waren wir unsererseits mit einem Proteststurm der pro-ukrainischen Fraktion konfrontiert. In diesem Zusammenhang mussten wir übrigens eine nicht vollständig interpretierte Übersetzung einräumen. Neben solch berechtigter Kritik gab es aber auch hier einen wüsten Korb an Beschimpfungen und Unterstellungen, von denen "Putinversteher" noch die freundlichste war.

Medien und Publikum in trauter Einheit

Besonders deutlich wird der Unterschied zum Beispiel im Vergleich zum Irak-Krieg gegen Saddam Hussein: Damals waren sich die Deutschen mit ihrem Kanzler Schröder und einem überwältigenden Teil der Medien einig: Das ist nicht unser Krieg, die Motive sind fragwürdig, das Völkerrecht wird gebeugt, die Beweise für Massenvernichtungswaffen sind gefälscht. Damals wurde Panorama mit Lob überschüttet - wie auch heute noch, wenn wir in Beiträgen die USA kritisieren.

Der Ukraine-Konflikt polarisiert jedoch - und wer seine eigene Meinung nicht wiederfindet, greift offenbar schnell entweder zum Vorwurf des "NATO-" oder eben des "Putinverstehers". In Wirklichkeit aber gibt es inzwischen jede Menge differenzierter Berichte. Man muss sie nur lesen, sehen und hören wollen.

Satireformate als "bessere" Informationen?

Doch von Teilen des Publikums werden einfache Antworten und klare Botschaften gesucht und bevorzugt. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie oft in den Kommentaren auf Kabarettformate wie "die Anstalt" im ZDF verwiesen wird. Denn ausgerechnet diese Formate leben nun gerade davon, eine extrem einseitige, kommentierende und polemisch zugespitzte Version des Weltgeschehens zu liefern - es handelt sich eben um Satire. Ein enormer Widerspruch: Ausgerechnet jene Formate, die sich gar nicht erst um Objektivität bemühen, gefallen vielen Kritikern offenbar am besten - so lange sie die eigene Meinung bestätigen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 04.06.2015 | 21:45 Uhr