Stand: 17.02.22 10:46 Uhr

"Wachsam und kritisch, aber fair" - Peter Merseburger ist gestorben

Unter Peter Merseburger deckte Panorama Skandale auf und er selbst wurde eines der prägenden Gesichter für kritischen Journalismus des 20. Jahrhunderts.

NDR Intendant Joachim Knuth: "Peter Merseburger war einer der großen Journalisten in der Geschichte des Norddeutschen Rundfunks. Rhetorisch brillant, streitbar und mutig hat er viele politische Diskussionen der noch jungen Bundesrepublik mit geprägt, als Kopf von Panorama und als Chefredakteur im Fernsehen. Anschließend hat er 14 Jahre lang aus Washington, Ost-Berlin und London berichtet und den Zuschauerinnen und Zuschauern die Welt näher gebracht. Seine Leidenschaft, sein Scharfsinn und seine Widerstandskraft bleiben unvergessen."

"Unser Grundsatz war ein aufklärerisches Denken"
Unter Peter Merseburger deckte Panorama Skandale auf und produzierte sie auch. Er selbst wurde eines der prägenden Gesichter für kritischen Journalismus des 20. Jahrhunderts.

Verfechter des unabhängigen Journalismus

Peter Merseburger Ab 1967 Leiter und Moderator der Fernsehsendung "Panorama" (erstes politisches Magazin ab 04.06.1961 auf Sendung), 1969 wurde er TV-Chefredakteur des Norddeutschen Rundfunks. 1977 ging Peter Merseburger als ARD-Korrespondent und Studioleiter nach Washington (bis 1982), dann nach Ost-Berlin (1982 bis 1987) und nach London (1987 bis 1991). Anfang 1991 trat er in den Ruhestand und arbeitet seither als freier Schriftsteller. © NDR

"Wachsam und kritisch, aber fair" - Peter Merseburger scheute keine Konflikte.

Über acht Jahre war er Chef von Panorama: Peter Merseburger übernahm am 1. Januar 1967 die Leitung des Politikmagazins. Es sollten die politisch aufwühlendsten Jahre der Bundesrepublik werden - wie auch für Panorama. Die RAF-Zeit, die Ost-Politik, die Abtreibungsdiskussion - die großen Debatten waren nicht nur für die Politik eine Herausforderung, sondern auch für den Journalismus. "Panorama ist wachsam und kritisch, aber fair" sagte Merseburger in seiner ersten Moderation. Er war einer, der Stehvermögen hatte - gegenüber den Mächtigen und gegenüber dem eigenen Haus.

Inhaltliche Konflikte, personifizierte Proteste

Etwa im März 1974, auf dem Höhepunkt der Debatte über den Paragraphen 218. Ein Panorama- Beitrag über eine öffentlich angekündigte Abtreibung wurde nach Intervention der katholischen Kirche und einiger Intendanten der ARD-Anstalten aus der Sendung genommen. Merseburger und die Redaktion weigerten sich daraufhin, die Sendung zu moderieren. Die Moderationstexte am 11. März 1974 trug deswegen Jo Brauner vor.

Unter Merseburger entstand auch der umstrittene Beitrag über die angebliche Nähe der CDU und CSU zur NPD. Er hatte zur Folge, dass die Union den Panorama-Chef seit 1969 regelrecht bekämpfte. Die Proteste gingen so weit, dass die Union forderte, Merseburger solle in Wahlkampfzeiten nicht mehr moderieren. Als sein Vertrag im Sommer 1973 verlängert werden sollte, ließ die CDU die Sitzung sieben Mal platzen. Als der Vertrag ohne sie verlängert wurde, legten die Christdemokraten Klage beim Bundesverwaltungsgericht ein - vergeblich.

Verfechter des unabhängigen Journalismus

Merseburger ging 1975 als ARD-Korrespondent nach Washington - nicht resigniert, wie er beteuerte, aber in Sorge um den "zu ideologischen und parteiischen Journalismus" der Bundesrepublik. Merseburger war damit einer derjenigen, der für die politische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekämpft hat, die damals keine Selbstverständlichkeit war und auf die wir heute - zu Recht - stolz sein können. Gerade in diesen Zeiten kann man Merseburgers Lebensleistung deswegen nicht oft genug würdigen.

Für seine kürzlich erschienene Autobiographie "Erinnerungen eines politischen Zeitzeugen" hat Merseburger seine Panorama-Zeit noch einmal neu aufgerollt. Im Interview zum 60. Geburtstag von Panorama verriet Merseburger, wie es war, vom reichsten deutschen Mann der 1960er Jahre verklagt zu werden. Wie ein Intendant reagiert, wenn man ständig für Ärger mit dem Rundfunkrat, der CSU und der katholischen Kirche sorgt. Und warum er nach acht Jahren Panorama 1975 nicht mehr weitermachen wollte. Rückblickend sagt er: "Ich glaube, wir haben dazu beigetragen, dass Konflikte offener und toleranter ausgetragen werden. Unser Grundansatz oder Grundtenor ist ja, doch ein aufklärerisch antiautoritär gerichtetes Denken zu stützen und Obrigkeitsdenken, das noch zu unserer Zeit in vielen deutschen Köpfen steckte, abzubauen und zu bekämpfen. Und damit haben wir vielleicht doch einiges geholfen zu erreichen."

Vielen Dank für viele Jahrzehnte aufrechten und unabhängigen Journalismus. Wachsam und kritisch, aber fair. Peter Merseburger wird fehlen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.06.2021 | 22:00 Uhr