Stand: 19.07.19 11:00 Uhr

"Sea-Watch 3": Neue Fragen und Antworten zu unserer Reportage

Die Diskussion über unsere "Sea-Watch 3"-Reportage reißt nicht ab. Hier Antworten auf weitere Fragen.

Warum sind NDR Reporter auf der Seawatch mitgefahren? Kam die Idee von Panorama oder hat Carola Rackete den NDR gefragt?

Die Redaktion von Strg_F, eine Art Schwesterredaktion von Panorama für das junge Angebot der ARD (Funk), hat sich im Mai mit der Frage beschäftigt, wie sich die härtere Gangart von Ländern in der Europäischen Union gegenüber privaten Seenotrettern auswirkt. Zum damaligen Zeitpunkt gab es bereits Verfahren gegen Mitglieder ganz unterschiedlicher Organisationen, die auf dem Meer Flüchtlinge aufgenommen haben. Die Frage war sehr aktuell. Schiffe wurden konfisziert, bei Verurteilung drohten hohen Geldstrafen und auch langjährige Haftstrafen. Vor diesem Hintergrund wollten wir wissen, wie Crewmitglieder von Seenotrettungsschiffen mit dieser Situation umgehen. Vor einem Jahr haben die Küstenwachen noch mit den privaten Seenotrettern kooperiert. Das Anlanden in Häfen war kein Problem. Wir wollten daher wissen, wie die Seenotrettung angesichts der sich geänderten Politik funktioniert und wie ganz konkret die Abläufe sind.

Der NDR ist daher auf die Organisation "Sea-Watch" zugegangen und hat angefragt, ob eine Fahrt mit Kamera journalistisch begleitet werden kann. "Sea-Watch" hat dem zugestimmt. Carola Rackete war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht für diese Fahrt eingeteilt und uns auch überhaupt nicht bekannt.

Exklusiv: Was geschah an Bord der "Sea-Watch 3"?
Das Sterben im Mittelmeer hat Europa lange verdrängt - "Sea-Watch"-Kapitänin Rackete hat das Thema wieder nach oben gebracht. Panorama war mit an Bord und erzählt die Geschichte hinter den Schlagzeilen.

War schon vorher sicher, dass sich eine Rettung filmen lassen würde?

Es war von Beginn an der Plan, Antworten auf die Frage zu bekommen, wie die Seenotrettung vor dem Hintergrund einer geänderten Politik abläuft und mit welchem Ergebnis. Wir wollten dies selbst beobachten und nicht auf die Verlautbarungen der Seenotretter oder Ministerien und deren Politiker angewiesen sein. Die eigene Überprüfung von Fakten und Abläufen ist eine wichtige Aufgabe von Journalismus. Als wir an Bord gingen, bestand durchaus das journalistische "Risiko", dass es zu keiner Rettung kommt und damit auch nicht zu den Beobachtungen der folgenden Abläufe. Aber solche Risiken gibt es für Journalisten ständig.  

Hätte Carola Rackete auch in einen anderen Hafen fahren können? Hat der NDR sie gedrängt, nach Lampedusa zu fahren?

Unsere beiden Reporter waren als journalistische Beobachter an Bord. Sie haben die Abläufe und Entscheidungen dokumentiert. Sowie die Folgen und Konsequenzen. In diesem Rahmen haben sie auch beobachtet, dass die Kapitänin der "Sea-Watch 3" andere Länder und damit Häfen um eine Einlauf-Genehmigung gebeten hat. Unsere Reporter sind keine Akteure und nehmen daher auch keinen Einfluss auf Entscheidungen. Selbstverständlich haben die Reporter keinen Einfluss auf die Kapitänin genommen.

Die Seawatch war recht schnell an der Unglücksstelle. Reiner Zufall oder belegt das eine Inszenierung?

Das ist eine lustige Schlussfolgerung. Wie viel Zeit muss denn zwischen einem Notruf und einer Rettung liegen, damit sie real ist? Hier sind die Fakten: Die Flüchtlinge im Schlauchboot wurden von einem Aufklärungsflugzeug entdeckt. Der Funkspruch des Flugzeuges erreichte die "Sea- Watch 3" und auch die libysche Küstenwache hatte Kenntnis von dem Flüchtlingsschiff. Zwischen dem Funkspruch und der Rettung lagen etwa zwei Stunden. Die Libyer waren zu dem Zeitpunkt noch nicht da, andere Rettungsschiffe waren nicht im Einsatz. Das erklärt, warum die "Sea-Watch 3" als erste vor Ort war. Um sich vor Inszenierungen zu schützen, unternehmen unsere Reporter Plausibilitätsprüfungen. Einfach gesagt: Sie fragen in allen Einzelheiten nach. Wenn sich Sachverhalte nicht gegenprüfen lassen, wird dies benannt. Die Biografien der Flüchtlinge zum Beispiel lassen sich nicht überprüfen. Aber wir prüfen durchaus, ob die Angaben zutreffen können. Wenn sich da Zweifel ergeben, werden solche Aussagen nicht gesendet. Dass unsere Reporter entscheidende Momente dokumentieren konnten, ist Ergebnis professioneller Arbeit. Außerdem: Das Schiff ist klein, die Wege sind kurz, und vor Ort bekommt man viel mit. Unsere Reporter waren zu zweit und haben sich aufgeteilt. Außerdem gab es regelmäßige Lagebesprechungen der Kapitänin mit der Crew. Die Vorgänge waren weitestgehend transparent. Und wenn die Kapitänin ihrer Crew mitteilt, dass sie in den Hafen fahren will, dann geht der Kameramann auf die Brücke, um zu filmen, wie sie des dem Hafenamt mitteilt.     

Warum wurde nicht vorher gesagt, dass NDR Reporter an Bord sind?

Die Quelle des Materials ist nicht der Panorama-Beitrag. Das ist Material der Online-Redaktion Strg_F. (s.o.) und damit NDR Material, und der NDR liefert Material in die ARD. Bei Eigenmaterial wird keine Quellenangabe vorgenommen. Das Material vom Schiff wurde in Ausgaben der Tagesschau, der Tagesthemen und NDR Aktuell Nachrichtensendungen verwendet. Dass NDR Reporter an Bord waren, hat der NDR früher berichtet: "An Bord befinden sich auch zwei Journalisten des NDR."

Würden Sie nach all der Kritik wieder Reporter auf ein Rettungsschiff schicken?

Selbstverständlich würden wir wieder berichten. Es ist die zentrale Aufgabe von Journalismus, sich selbst ein Bild von Vorgängen zu machen, Fakten zu sammeln und Aussagen zu überprüfen. Wir haben jetzt ein viel besseres Bild von der Seenotrettung, als wenn wir uns nur auf Aussagen der Behörden oder der Organisationen verlassen würden. Und wenn ein Thema breit diskutiert wird, ist es um so wichtiger, Fakten und journalistische Einordnung beizusteuern. Der Vorwurf, wir hätten uns an einer Inszenierung beteiligt, ist natürlich Wunschdenken aus einer bestimmten Ecke. Wenn sie die Texte lesen, in denen der Vorwurf erhoben wird, werden Sie merken, dass hier überwiegend mit Behauptungen und Unterstellungen gearbeitet wird und konkrete Anhaltspunkte für die Behauptung komplett fehlen. Die Methode ist ja einfach und billig. Wenn man nicht möchte, dass das, was man sieht, stimmt, wird es als Inszenierung bezeichnet.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.07.2019 | 21:45 Uhr