Kommentar
Schöne, neue Arbeitswelt: So werden wir leben!
Kennen Sie einen zufriedenen Taxifahrer? Nein? Ich auch nicht. Ganz im Gegenteil: Jeder, aber auch wirklich jeder hat mehr oder weniger eine ähnlich klingende Leidensgeschichte zu erzählen: zu viel Konkurrenz, zu hohe Spritpreise, anstrengende Arbeitszeiten im Schichtdienst, Rückenprobleme, Staus, und so weiter.

Fahren für Uber: selbständig und flexibel.
Da hat es mich dann doch überrascht, dass ausgerechnet der Verband der Taxiunternehmen sich nun als Kreuzritter für Arbeitnehmerschutz und faire Arbeitsbedingungen geriert - und gegen den Konkurrenten Uber vorgeht. Letzteres ist verständlich, aber mit der Begründung hapert es beim näheren Hinsehen doch recht deutlich.
Monopole müssen fallen
Denn den Unternehmern geht es nicht vorrangig um das Wohlergehen ihrer Fahrer, sondern um den Schutz ihres Monopols. Warum Monopole aber selten etwas Gutes haben, braucht man nicht lange zu erklären. Hätten wir noch Handwerksgilden, würden wir wahrscheinlich auch noch in Hütten leben. Denn nichts beendete die Herrschaft der "Baumeister" des Mittelalters, deren Dienste für die Allgemeinheit unbezahlbar waren, so nachhaltig wie der technische Fortschritt.
Ubers Erfolg wird zu Nachbesserungen führen

Gewinnt keine Freundlichkeitswettbewerbe: Der Fahrdienst Uber.
Nun also Taxis: Zweifelsohne ist Uber-Chef Travis Kalanick alles andere als sympathisch. Der Mann befindet sich nach eigenem Bekunden in einem "Krieg mit einem Arschloch namens Taxi". Uber kassiert 20 Prozent Provision von seinen Fahrern. 40 Millarden US-Dollar soll die Firma mittlerweile an Investorenkapital eingesammelt haben - und kümmert sich nicht weiter um die Regeln und Auflagen des Transportgewerbes. Man sei ja nur Vermittler.
Doch Sicherheitsprobleme werden für Uber über kurz oder lang zu einem riesigen Problem. Als ein Uber-Fahrer Ende 2013 in San Francisco ein kleines Mädchen überfuhr, kam die Firma wochenlang nicht aus den Schlagzeilen - obwohl sie bis heute behauptet, der Fahrer sei nicht durch die auf seinem Smartphone laufende Uber-App abgelenkt gewesen.
Uber, aber auch andere Share Economy Modelle wie Airbnb (zur Wohnungsvermietung) oder Taskrabbit (für Gelegenheitsjobs) haben hier alle dasselbe Problem: Niemand möchte seinen Wohnungsschlüssel, sein Haustier, seine Kinder einem unzuverlässigen oder gar kriminellen Menschen in die Hand drücken. Niemand möchte einen Fahrer, der abgelenkt und übermüdet ist. Niemand möchte gefährdet werden. Es liegt daher im ureigenen Interesse dieser Firmen, einen sicheren Marktplatz zu schaffen - nicht zuletzt aufgrund horrender Schadensersatzsummen in den USA.
Neuer Abschnitt
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Warum sollten wir nicht einfach alles miteinander teilen? Unsere Wohnung, unser Auto, unser Privatleben. Im Silicon Valley bei San Francisco setzt eine ganze neue Industrie auf dieses hehre Prinzip.
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Mit unseren Smartphones sollen wir alles bestellen, alles regeln, alles organisieren können - schnell und ressourcenschonend. Ein eigenes Auto? Braucht man nicht, es gibt ja Taxi-Apps. Hotels? Lieber ein Privatzimmer über eine Plattform gebucht. Und essen gehen tut man längst nicht mehr in Restaurants.
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Boris Lauser ist Rohkostchefkoch, gibt Seminare, berät Restaurants - und bietet zuhause Dinner an - über die Plattform "Eatwith". Dass er dabei Einblick in seiner Privatssphäre gibt, stört ihn nicht ...
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"Die Leute kommen rein, sehen wo ich schlafe, sehen, was ich in meinem Badezimmer stehen habe. Für mich ist das überhaupt kein Problem, weil ich bin ein Mensch, der sehr offen, sehr freizügig ist. Es geht ums Teilen in die Richtung, dass ich z.B. einfach auch meine Privatsphäre teile", erzählt Lauser.
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Star-Ökonom Jeremy Rifkin ist von der Idee begeistert: "Wir teilen unsere Autos, unser Zuhause, unsere Kleidung, unsere Werkzeuge - mit allen Menschen und immer wieder. Das bedeutet, nichts wird mehr weggeschmissen. Mehr Menschen brauchen weniger Ressourcen. Wir schaffen einen Kreislauf. Dasist ein historischer Moment!"
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Auch Joe Gebbia, Gründer der Übernachtungsplattform Airbnb ist euphorisch: "Airbnb will dabei helfen, dass Menschen überall dazugehören. Wir meinen damit, dass Du - egal wo du in der Welt bist- hinreisen kannst und begrüßt wirst und dort jemand Dich willkommen heisst."
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Katharina Korbjuhn und Amelie Heimann betreuen in Berlin Ferienwohnungen, die über Sharing-Portale angeboten werden. Katharina erzählt: "Die Grundidee war ja, dass man andere Leute kennen lernt und privat wohnt ..."
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Mit der kurzfristigen Vermietung von Wohnungen lässt sich mehr Geld verdienen als mit langfristigen bindenden Mietverträgen. Fast ganze Häuserblöcke finden sich schon im Airbnb-Angebot wieder und werden zu Touristenhochburgen. Die Stadt Berlin hat deshalb die systematische Vermietung von ganzen Wohnungen auf Übernachtungsplattformen verboten.
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Engelbert Lütke-Daldrup vom Stadtbauamt Berlin begründet dies so: "Wir müssen als Städte verhindern, dass uns massiv Wohnraum entzogen wird. Wir reden über 10 000 Ferienwohnungen, die in aller Regel nicht zulässig sind."
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Über solche Gesetze ärgern sich die Unternehmen des Silicon Valley in ihren Luxusbüros. Die meisten Regelungen seien vorsintflutlich und kämen schlichtweg aus einer Zeit, in der es noch kein Internet gab.
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Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) werden geradezu erpresst: Wer in der schönen neuen Welt mitspielen will, müsse gefälligst Gesetze nach dem Gusto des neuen Marktes machen.
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Doch auch Insider wie die Datenanalystin Yvonne Hofstätter bezweifeln, dass man Regeln abschaffen muss. Sie arbeitete selbst im Silicon Valley. Ihr Eindruck: Es geht vor allem um die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten.
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Jenn Guidry aus Boston verkauft sich über mehrere Sharing-Plattformen. Sie fährt für den Taxi-Konkurrenten Uber, erledigt für Task Rabbit Gelegenheitsjobs.
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Jenn erzählt: "Manchmal arbeite ich 30 Stunden in Zeitraum von 48 Stunden. Dann bin ich müde, aber nicht genervt - busy halt."
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Für den Digitalexperten und Blogger Sascha Lobo klingt das eher nach einer Horrorvision: "30 Stunden innerhalb von 48 Stunden zu arbeiten, das kann mal eine interessante Erfahrung sein. Es hört sich für mich aber eher an wie irgendwann im 19. Jahrhundert, im späten Manchester-Kapitalismus."
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Für Sigmar Gabriel ergibt sich daraus eine klare Aufgabe für die Politik: "Wie verhindere ich, dass Arbeit und Leben immer mehr miteinander so verwächst, dass die Arbeitszeit kein Ende mehr hat? Eigentlich ist das ein ganz erzkapitalistisches Modell, bei dem nichts anders passiert, als das der Mensch bis in seine letzte Regung verwertbar gemacht wird."
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Shannon Bitzer hat genau das erlebt: Seit einem Jahr fährt er für den Fahrdienst-Vermittler Uber. Der 25jährige verdiente gut. Doch plötzlich halbierte Uber die Rate per Meile. Er sagt: "Sie nennen uns Partner, aber das ist eine Lüge."
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Die rüden Methoden von Uber haben Fahrer wie Bitzer inzwischen ihrer Illusionen beraubt. Er glaube nicht mehr so Recht an den freien Markt, meint der junge Fahrer.
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Mittlerweile wehrt sich Bitzer mit klassischen Methoden: Andere Fahrer und er haben sich gewerkschaftlich organisiert. Gewerkschafter Joseph DeWolf Sandoval meint, die Firmen missachteten die Rechte der Arbeiter und nutzten das Sharing System nur für sich.
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Der Publizist Evgeny Morozov, ist einer der profiliertesten Kritiker des naiven Fortschrittsglaubens. Er sagt: "Für Uber und Co ist staatliche Regulierung unnötig, etwa bestimmte Lizenzen. Gesetze werden durch den Markt ersetzt. Ich weiß aber nicht, warum es für Passagiere vorteilhaft sein soll, wenn sie ihrem Fahrer nur einen Stern anstelle von fünf geben können, wenn er übermüdet in eine Wand kracht."
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Der Milliardär Peter Thiel investiert in die Sharing Economy. Er spricht der Politik die Gestaltungsfähigkeit weitgehend ab: "Natürlich denken die Politiker, dass das was sie tun, wichtig ist - und dass die Politik all die wichtigen Fragen der Gesellschaft entscheidet. Ich bin eher der Meinung, dass wir eine bessere Welt bauen, viel mehr durch die Technologie, als durch die Politik."
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Jaron Lanier, Informatiker und Internet-Pionier, glaubt, wir erleben im Moment nicht den Beginn einer neuen Welt der Gemeinnützigkeit - sondern ihr Ende: "Das hier ist eine Fake Economy. Rechte, die über Generationen erkämpft wurden, werden durch Fake Rechte ersetzt - und die nützen nur ein paar Milliardären."
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Schöne neue Welt? Oder 18 Stunden arbeiten, für sich und andere einkaufen, das Auto teilen, die Wohnung untervermiten - und keine Privatssphäre mehr haben - um halbwegs über die Runden zu kommen? Wie die Geschichte weitergeht, hängt von uns allen ab.
Share Economy besetzt Lücken
Doch die Vorteile der Share Economy liegen auf der Hand: Sie ermöglicht flexibles Arbeiten und deckt Verfügbarkeitslücken: Wer bislang nicht sein eigener Taxiunternehmer war, musste fahren, wann der Chef wollte - ob die Zeiten lukrativ waren, zu den Kitaöffnungszeiten passten oder nicht. Das wird sich ändern. Und wer kleine Gelegenheitstätigkeiten wie Haustiersitten über das Netz gegen Geld anbietet, zerstört nicht Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsgefühl und Selbstlosigkeit - sondern besetzt exakt die Lücke dort, wo diese eben nicht existieren.
Wer drei Wochen in den Urlaub fährt, hat nun einmal häufig Schwierigkeiten, Freunde zu finden, die sich jeden Tag um die hungrige Miezekatze kümmern wollen. Eine beschämende Anzahl ausgesetzter Haustiere zur Urlaubszeit zeugt seit Jahrzehnten davon. Wie gut, das es nun verlässliche Katzensitter im Internet gibt. Hoffentlich kann die Share Economy so für weniger Tierleid sorgen.
Mehr Wohnraum muss gebaut werden

Übernachtet wird so oder so - die Frage ist nur wo.
Gleiches gilt für Airbnb: Diese Plattform entzieht dem Wohnungsmarkt in Großstädten angeblich dringend benötigten Wohnraum. In Wahrheit hängt die Anzahl der Übernachtungen jedoch nicht von Airbnb & Co. ab, sondern davon, wie beliebt eine Stadt als Reiseziel, als Messe- und Veranstaltungsort ist. Ob die Leute in Privatwohnungen oder Hotels schlafen, ist sekundär, der Kuchen wird nur anders verteilt. Und hier schreit die Hotelbranche natürlich auf. Eine Branche wohlgemerkt, die in den letzten Jahren wegen FDP-Steuergeschenken und der miesen Behandlung von Zimmermädchen immer wieder im Fokus stand.
Wer die Wohnungsnot in Großstädten bekämpfen will, muss die Angebotsseite verbessern - und schlichtweg Wohnungen bauen. Dass klamme Kommunen wie Berlin stattdessen lieber Nebenkriegsschauplätze eröffnen, verwundert nicht, ist aber populistisches Blendwerk. Ich gehe jede Wette ein: Mit wohlfeilen Gesetzen gegen den angeblich wohnraumvernichtenden Ferienwohnungswahn wird man dem Wohnraumproblem nicht Herr - Airbnb hin, Hotelketten her.
Der Charme der meist grau in grau gehaltenen Bettenburgen der großen Hotelketten erschließt sich mir jedenfalls nicht. Was wäre denn städtebaulich so schlimm, wenn an deren Stelle langfristig neuer Wohnraum entstünde - und Übernachtungen vornehmlich in Ferienwohnungen stattfänden? Zum finanziellen Wohl von Privatleuten anstatt zum Wohle von Paris Hilton?
Technischen Fortschritt nutzen statt bekämpfen
Womit wir bei der Zukunft wären: Wie also wollen wir leben und arbeiten? Und welchen Beitrag kann und wird die Share Economy leisten? Ja, die Arbeitswelt wird immer flexibler und schnelllebiger werden - und die Konkurrenz für alle Jobs, die auch von Mumbai aus erledigt werden können, entsprechend größer. Ich kann die große Besorgnis um einen völlig entgrenzten, globalen Tagelöhnermarkt daher zwar nachvollziehen, teile aber nicht den mitschwingenden Pessimismus düsterer Zukunftsprognosen.
Staaten und Politik sind sich der Problematik durchaus bewusst. Sigmar Gabriel zum Beispiel signalisiert, dass er Grenzen setzen will und wird. Investoren wie Peter Thiel mögen glauben, dass sie Welt und Zukunft allein gestalten. Diese Allmachtsfantasie sei ihnen gegönnt - mit der Realität hat sie nicht viel zu tun. Die Chance aber, die der Ökonom Jeremy Rifkin beschreibt, nämlich, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen - und diese mithilfe neuer Technik besser nutzen, besteht trotzdem. Und da die technische Entwicklung ohnehin nicht aufzuhalten ist, sollten wir sie nutzen.