Stand: 17.08.22 11:33 Uhr

OLG: Filmen von Polizeieinsätzen doch verboten?

Ein Demonstrant filmt einen Polizeieinsatz © picture alliance / NurPhoto | Alain Pitton

Laut OLG Zweibrücken ist das Filmen (mit Tonaufnahme) von Polizeieeinsätzen im öffentlichen Raum nicht immer erlaubt.

Ein neuer Beschluss des Oberlandesgerichtes Zweibrücken zum Filmen von Polizeieinsätzen hat in der Fachwelt Verwunderung ausgelöst. Das OLG argumentiert, dass Polizeieinsätze auf öffentlichem Gelände nicht automatisch öffentlich im Sinne des §201 StGB seien und damit das Filmen (mit Tonaufnahme) nicht immer erlaubt sei. §201 StGB stellt die unbefugte Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes unter Strafe.

Revision verworfen

Über den Fall hatte Panorama 2021 berichtet, insbesondere wegen der Bedeutung von Handyaufnahmen bei Verdachtsfällen von Polizeigewalt.

Elisabeth M. hatte einen Polizeieinsatz gefilmt und sich der Wegnahme ihres Handys durch die Polizei widersetzt. Das Amtsgericht Kaiserslautern verurteilte sie daher am 13.08.2021 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und wegen Beleidigung. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken verwarf nun (am 30.06.2022) die Revision der heute 25-Jährigen. Das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern ist damit rechtskräftig.

Polizeigewalt: Filmen verboten?
Immer wieder versuchen Polizisten das Filmen ihrer Arbeit zu unterbinden - mit juristisch fragwürdigen Argumenten.

Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gibt die Begründung des OLG wie folgt wieder: "Insbesondere geht das Revisionsgericht darauf ein, ob die fraglichen Gespräche deshalb öffentlich gewesen sein könnten, weil nach den Umständen sowieso mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden musste (faktische Öffentlichkeit). Es kommt zu dem Ergebnis, dass nach den getroffenen amtsgerichtlichen Feststellungen nicht von einer faktischen Öffentlichkeit auszugehen war. Die Polizeikontrolle fand gegen drei Uhr nachts und in einem begrenzten Bereich (am Teich bei der ehemaligen Kammgarnspinnerei) statt. Zudem folgte die 25-Jährige den Polizeibeamten, offenkundig um auch die abseits der Ansammlung getätigten Gespräche aufzunehmen."

Enttäuschender Beschluss

Prof. Fredrik Roggan, Jurist und Polizeiausbilder an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. © NDR / ARD

Ist vom Beschluss enttäuscht: Fredrik Roggan von der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.

Der Jurist und Polizistenausbilder Fredrik Roggan von der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg ist von dem Beschluss enttäuscht: "Wer sich einen klärenden Grundsatzbeschluss erhofft hatte, wird auch diesen vermissen. Immerhin bekennt sich das OLG Zweibrücken dazu, dass die entscheidende Rechtsfrage 'nicht abschließend geklärt' ist. Unerklärt bleibt beispielsweise, wie die Auslegung des Begriffs der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Worts im hier interessierenden Zusammenhang, also der Durchführung einer polizeilichen Maßnahme, mit der Überschrift des Abschnitts, in dem sich § 201 StGB befindet, vereinbaren lässt: Dort ist von der 'Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs' die Rede. Das hätte bei einer Auslegung der Vorschrift zumindest ausführlich gewürdigt werden müssen."

Chance verpasst

Auch der Stellvertretende Chefredakteur von "Legal Tribune Online", Markus Sehl, äußert Verwunderung: "Anders als die letzten Entscheidungen der Landgerichte zu diesen Fällen verfolgt der Strafsenat des Oberlandesgerichts eine sehr strenge Auslegung des § 201 Strafgesetzbuch mit der Tendenz, Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen im Zweifel strafrechtlich zu ahnden. Das Oberlandesgericht hat mit seiner Entscheidung trotz einiger Ausführungen die Chance verpasst, eine Art Grundsatzentscheidung zur Strafbarkeit von Smartphone-Aufnahmen bei Polizeieinsätzen zu treffen. Damit verstreicht auch die Gelegenheit, Betroffenen und Polizeikräften vor Ort die Unsicherheit zu nehmen, ob gefilmt werden darf oder nicht. Die weite Auslegung zu den Umständen, die einem Gespräch einen nicht-öffentlichen Charakter geben sollen, eröffnet vor Ort das Risiko, dass zufällig hinzutretende Personen oder spontane Abschirmung durch Polizeikräfte die Strafbarkeit von Tonaufnahmen sozusagen deaktivieren oder aktivieren. Das schafft Unsicherheit." Ausführlicher geht Markus Sehl in seinem juristischen Fachblatt auf den Beschluss ein.

Enger Öffentlichkeitsbegriff

Der Rechtsanwalt von Elisabeth M., Jannik Rienhoff, kritisiert gegenüber Panorama, dass der Beschluss eine nicht-öffentliche Situation annimmt und daher den Anfangsverdacht des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB als gegeben sieht: "Das OLG nimmt selbst an, dass die kontrollierte Gruppe, ein Zeuge und mehrere Einsatzkräfte das Gespräch hörten. Es kommt aber zu dem Ergebnis, dass es trotzdem vertraulich sei. Dies ist aber genau die 'faktische Öffentlichkeit', die Gerichte bisher angenommen haben. (…) Das OLG nimmt einen engeren Öffentlichkeitsbegriff an als beispielsweise das Landgericht Kassel oder das Landgericht Osnabrück. Wenn es jedoch die ständige Rechtsprechung ändern will, hätte das Gericht dies auch ausführlich darstellen sollen. Die Begründung ist äußerst knapp. So ist mit dem Beschluss niemandem geholfen und die Rechtsunsicherheit bzgl. der Aufnahmen bleibt bestehen. Hier muss der Gesetzgeber nun handeln."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.07.2021 | 21:45 Uhr