Stand: 22.07.21 06:00 Uhr

Polizeigewalt: Filmen verboten?

von Tina Soliman

Was wäre der Fall "George Floyd" ohne das Video? Die Aufnahme zeigt, wie der Polizist Derek Chauvin dem Mann unter seinem Knie minutenlang die Luft zum Atmen nimmt, wie Floyd sein Leben verliert.

Ein amerikanischer Polizist drückt mit dem Knie auf den Hals eines auf dem Boden liegenden Afroamerikaners. © dpa picture alliance Foto: Darnella Frazier

Wäre Polizist Derek Chauvin ohne diese Bilder jemals verurteilt worden?

Hätte eine junge Zeugin diesen Mord nicht mit dem Handy aufgenommen und dokumentiert, hätte die Öffentlichkeit wohl kaum davon so genau erfahren, ja, man hätte wohl nicht glauben können, dass ein Mann unter dem Knie eines Polizisten sein Leben verliert. So aber sind diese Bilder und Töne ein Beleg für unverhältnismäßige Polizeigewalt, für Rassismus und für Unmenschlichkeit.

Polizeigewalt: Filmen verboten?
Immer wieder versuchen Polizisten das Filmen ihrer Arbeit zu unterbinden - mit juristisch fragwürdigen Argumenten.

Aufnahmen von Polizisten in Deutschland legal?

Es gibt auch in Deutschland Fälle von polizeilichen Übergriffen, die dem Auftrag und der Rolle der Polizei nicht gerecht werden: Dabei geht es um Gewalt, aber auch um unflätige Beleidigungen und Machtgehabe, wie Panorama vorliegende Handyaufnahmen beweisen. Doch sind solche Aufnahmen überhaupt legal?

Elisabeth M. wurde Opfer einer Polizeikontrolle, die mit der Anendung von Gewalt endete. © NDR / ARD

Elisabeth wollte in Kaiserslautern eine Polizeikontrolle filmen - und geriet deshalb ins Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft.

"Nein", meinten vor über einem Jahr Polizisten in Kaiserslautern, die bei einer Corona-Kontrolle gefilmt wurden. Deshalb nahmen sie Elisabeth M. das Handy gewaltsam ab und zeigten sie an. Der Polizeidirektor von Kaiserlautern Ralf Klein begründet dies mit dem Paragrafen 201 StGB. Der sogenannte "Abhörparagraf" verbietet Tonaufnahmen in bestimmten Fällen. Er soll sicherstellen, dass man sich privat noch unbefangen äußern kann. Das vertraulich gesprochene Wort, sogenannte "Schlafzimmergespräche", sollen damit geschützt werden. Im Kern geht es also nicht um Bildaufnahmen, sondern um den Ton.

Auf diesen Paragrafen berufen sich nach Panorama-Recherchen immer wieder Polizisten, um das Filmen ihrer Einsätze zu verhindern oder zur Anzeige zu bringen - schließlich haben Handys auch ein Mikrofon. Doch wenden sie das Strafrecht immer korrekt an?

Racial Profiling: Immer wieder Polizeikontrollen
Der 37-jährige Frankfurter Isaac wird immer wieder grundlos von der Polizei kontrolliert - aufgrund seiner Hautfarbe.

Juristen widersprechen Polizei

Wie verhält es sich etwa, wenn ein Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit stattfindet und es Zeugen, Passanten und damit eine Mithörgelegenheit gibt? Dann ist es erlaubt, den Ton aufzunehmen, sagt der Jurist und Polizistenausbilder Fredrik Roggan an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Und der Strafrechtler geht sogar noch einen Schritt weiter, sagt, dass das dienstlich gesprochene Wort eines Polizisten gegenüber einem Bürger grundsätzlich und immer ein öffentlich gesprochenes Wort und damit gar nicht vom "Abhörparagraphen" erfasst sei. Denn der Polizist agiere ja nicht als Person, sondern als Amtsträger. Es gehe nicht um intime Gespräche, sondern um einen Polizeieinsatz.

Prof. Fredrik Roggan, Jurist und Polizeiausbilder an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. © NDR / ARD

Das gesprochene Wort von Polizisten im Amt gegenüber Bürgern sei immer ein öffentliches, sagt Fredrik Roggan.

Seine Rechtsauffassung wird von einigen Gerichten bestätigt, die - etwa im Umfeld von Demonstrationen - von einer "faktischen Öffentlichkeit" sprechen, wenn mehrere Personen zuhören können. Diese "faktische Öffentlichkeit" erlaubt es, den Ton von Polizeieinsätzen aufzunehmen.

Beleidigungen und Schläge

Doch auch in einem weiteren Fall in Essen sahen Polizisten das anders: Zwei Männer wurden vor gut eineinhalb Jahren Opfer von Polizeigewalt, üblen Beleidigungen und Spott. Dann wurden sie auch noch angeklagt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Nur aufgrund einer Handyaufnahme, die die Version der Polizei widerlegte, wurden die beiden schließlich freigesprochen.

Die Aufnahme dokumentiert auch Beleidigungen, etwa: "Die scheiß Hände auf den Rücken, sonst breche ich dir den Arm, du scheiß Wichser". Einer der Betroffenen ist selbst Uniformträger, ein Bundeswehrsoldat. Er machte den Polizeibeamten vor Ort angesichts der Beleidigungen auf dessen Verantwortung aufmerksam. Der Polizist habe den Staat zu repräsentieren, seine Verfassung. Ein Polizeibeamter solle sich niemals aufführen, als sei er Mitglied einer Straßengang - so der Soldat: "Er vertritt vor mir Deutschland. Alles, was durch unsere Verfassung gedeckt und geschützt ist. Und dieser Verantwortung muss er sich bewusst sein." Die Polizei Essen wollte sich dazu nicht äußern.

Aufnahmen sind das entscheidende Beweismittel

Solche Aufnahmen wie in Essen werden also vor Gericht durchaus zugelassen und sind immer häufiger sogar entscheidend für eine Bestrafung oder einen Freispruch. Polizeiausbilder Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg rät seinen Studierenden zu etwas mehr Lässigkeit, weil jede Maßnahme der Polizei sowieso rechtmäßig sein müsse, ob gefilmt werde oder nicht. Die Polizisten sollten sich grundsätzlich so verhalten, dass ihr öffentlich gesprochenes Wort aufgenommen werden kann.

Auf diesen Rat hörten offenbar auch Hamburger Polizisten im April nicht besonders. "Was ist los mit Euch? Das sind Kinder", fragte eine Passantin, als ein Dutzend Polizisten in Riot-Ausrüstung drei Jungen auf der Reeperbahn einkesselt, weil ein 15-Jähriger ein T-Shirt mit der Aufschrift "ACAB" ("All Cops Are Bastards") trägt.

Musa F. fasst sich an den Kopf und drückt sich bei einer Polizeikontrolle an einen Türrahmen. Er soll von der Polizei verletzt worden sein. © NDR / ARD

Verhältnismäßig? Hamburger Polizisten bei der Polizeikontrolle von Musa F. und seinem Bruder.

Sein Bruder will den Einsatz filmen. Das Handy wird ihm mit Gewalt abgenommen. Im Kinder-UKE wird danach ein stumpfes Bauchtrauma festgestellt. Für die Hamburger Polizei stellt sich die Situation anders dar. Auf Anfrage von Panorama schreibt die Leiterin der Pressestelle:

"Da Musa F. das Telefon aber trotz mehrfacher Aufforderung nicht weglegen wollte, wurde er zur Durchsetzung der Maßnahme (Verhinderung der Straftat und Sicherstellung des Mobiltelefons) durch einen eingesetzten Polizeibeamten unter Anwendung einfacher körperlicher Gewalt von hinten umklammert, um an das Mobiltelefon zu gelangen. Ein zweiter Polizeibeamter hielt derweil den linken Arm von Musa F. fest. Hierbei ist Musa F. kurz ins Straucheln gekommen, wurde dabei aber von den Polizeibeamten wieder aufgefangen. (...) Es gibt im Moment aus polizeilicher Sicht keinen Hinweis darauf, dass die Maßnahmen nicht rechtmäßig oder nicht verhältnismäßig gewesen wären." Pressestelle der Polizei Hamburg

Und die Verletzungen? Die müsse sich Musa beim Skaten zugezogen haben. Musa verneint diese Version des Geschehenen. Passanten, die den Vorfall mit eigenen Augen gesehen haben, bestätigen Panorama gegenüber Musas Version und fragen sich: Müssen ein Dutzend Polizisten wegen vier Buchstaben drei Jungen einkesseln und einem von ihnen gewaltvoll das Handy abnehmen? Und muss man einen 15-Jährigen wegen vier Buchstaben auf dem T-Shirt wie einen Schwerverbrecher mit auf die Polizeiwache nehmen und bis auf die Unterhose ausziehen?

Grundsatzurteil überfällig

Videos als Beweismittel werden vor Gericht und auch polizeiintern zur Rekonstruktion von Einsätzen genauestens analysiert und können - wie in einem Fall in Frankfurt-Sachenhausen - auch Folgen haben. Dort wurden durch Aufnahmen von Anwohnern - u.a. die Tritte eines Polizisten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Mannes - eindeutig belegt. Gegen ihn und zwei weiteren Beamte wurden Disziplinarverfahren eingeleitet und das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ausgesprochen.

Was ist also erlaubt, was ist richtig? Der Jurist Fredrik Roggan sagt: Man darf im Kontakt mit der Polizei in der Öffentlichkeit filmen, denn der Polizist agiere als Amtsträger und nicht als Individuum. Trotzdem sagen Polizeibeamte vor Ort immer wieder: nein, das darf man nicht. Es gibt dazu bislang kein juristisch klares So oder So. Denn ob das Filmen erlaubt ist oder nicht, müssen Gerichte klären. Ein Grundsatzurteil hierzu ist lange überfällig.

Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat zu dem Fall eine Pressemitteilung veröffentlicht. Weiteres dazu in Kürze.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.07.2021 | 21:45 Uhr