Stand: 15.10.18 16:07 Uhr

Mordverdacht gegen saudische Führung - Siemens Chef will trotzdem nach Riad

Eine Analyse von Stefan Buchen

Der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman vor einer Flagge seines Landes und dem Zeichen der UN (2018). © dpa picture alliance Foto: Dennis Van Tine

Anstrich des "modernen Herrschers" bekommt Risse: Ließ der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden?

Dass Gegenläufiges häufig gleichzeitig passiert, ist eine Erkenntnis der Moderne. In diesem Fall "passiert" das Gegenläufige nicht einfach, sondern ein Protagonist tut es mutmaßlich ganz aktiv. Der Protagonist ist der neue starke Mann des Königreichs Saudi-Arabien, Thronfolger Mohammed bin Salman. Einerseits lädt er für kommende Woche internationale Wirtschaftsgrößen und Leitmedien zu der Investorenkonferenz "Future Investment Initiative" nach Riad ein. Prominentester Gast aus Deutschland soll Siemens-Chef Joe Kaeser sein. Andererseits lässt Mohammed bin Salman gleichzeitig einen bekannten Kritiker seiner Person, den Journalisten und früheren Regierungsberater Jamal Khashoggi, offenbar verschwinden.

Fall Khashoggi wühlt internationale Politik auf

Khashoggi wurde von einer Überwachungskamera gefilmt, als er am 2. Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul betrat. Danach verliert sich seine Spur. Die türkischen Behörden haben den Verdacht, dass Khashoggi in dem Konsulat von einem saudischen Killer-Team ermordet wurde. In türkischen Medien ist zu lesen, dass die Behörden diesen Verdacht mit Bild- und Tonaufnahmen aus dem Inneren des Konsulats belegen könnten. Die saudische Regierung hat den Mordverdacht zurückgewiesen.

Der Fall Khashoggi wühlt die internationale Politik mächtig auf. Mohammed bin Salman ist ein enger Verbündeter von US-Präsident Donald Trump. Die Türkei ist ein enger Verbündeter von Qatar, das seit eineinhalb Jahren von Saudi-Arabien mit einer Wirtschaftsblockade und weitreichenden politischen Forderungen wie der Schließung des Fernsehsenders "al-Jazeera" unter Druck gesetzt wird.

Saudi-Arabien: Unsere islamistischen Freunde
Deutschland und Saudi-Arabien pflegen seit Jahrzehnten eine enge Beziehung. Dabei wurde gern der religiöse Extremismus ausgeblendet, der im Königreich verbreitet ist.

Siemens-Chef will nach Riad

Die zu dem Wirtschafts-Meeting "Future Investment Initiative" nach Riad geladenen Unternehmens- und Medienchefs stehen nun vor der Frage: Sind wir dort die Gäste eines kaltblütigen Killers, der Gegner brutal aus dem Weg räumen lässt? Viele haben die Reise nach Riad abgesagt. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldet, gehören dazu Jamie Dimon, Chef der US-amerikanischen Großbank JP Morgan, Bill Ford, der Verwaltungsratspräsident des amerikanischen Automobilherstellers Ford, die Kapitäne französischer Großunternehmen wie Thales, Électricité de France und BNP Paribas sowie Medienvertreter von Financial Times, New York Times, Economist, Bloomberg und CNN. Dann sagte auch Larry Fink, Chef des weltweit größten Finanzinvestors Blackrock, ab.

Josef "Joe" Kaeser © NDR Foto: Screenshot

Während viele Unternehmen und Investoren ihre Teilnahme bei der "Future Investment Initiative" abgesagt haben, reist Siemens-Chef Joe Kaeser nach Riad.

Einer möchte trotzdem nach Riad fahren: Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens. Das bestätigt ein Sprecher des DAX-Konzerns auf Anfrage von Panorama. Der Sprecher fügt hinzu, dass man den Fall Khashoggi "sehr genau" beobachte. Dass Kaeser sehr wohl aus politischen Gründen auf Geschäfte verzichten kann, hat er im Mai gezeigt. Da verkündete er im Interview mit CNN den Rückzug von Siemens aus dem Iran. Kurz zuvor hatte Donald Trump, zu dem Kaeser einen guten Draht pflegt, den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen mit Iran verkündet.

Enge Zusammenarbeit zwischen Saudi-Arabien und Siemens

Saudi-Arabien unter Mohammed bin Salman scheint in der Unternehmensplanung von Joe Kaeser keine ganz kleine Rolle zu spielen. Wiederholt hat Kaeser sich mit dem Thronfolger getroffen. Siemens möchte dem neuen starken Mann im Königreich gern bei dem Projekt helfen, eine supermoderne Stadt namens "Neom" aus der Wüste zu stampfen. Mohammed bin Salman hat erklärt, dass er dafür 500 Milliarden Dollar ausgeben möchte.

Den Anstrich des "modernen Herrschers" hat Mohammed bin Salman sich mit einigem Erfolg gegeben. Schließlich hat er Frauen erlaubt, Auto zu fahren, den Kopftuchzwang abgeschafft und Kinos im Königreich zugelassen.

Skeptisch stimmt hingegen die saudische Rolle im Jemenkrieg, im Syrienkrieg, in der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn Qatar und zum Beispiel in der internationalen Klimapolitik.

Von den Alten lernen...

Möglicherweise hat Mohammed bin Salman sich verkalkuliert. Natürlich trifft auch der russische Präsident Wladimir Putin Größen der internationalen Wirtschaft und Politik, während gleichzeitig Menschen, die Putin nicht mögen, vergiftet werden, von Balkonen stürzen oder sonstwie verschwinden. Und natürlich empfängt Donald Trump andere Mächtige, während amerikanische Soldaten im Drohnenkrieg per Mausklick viele Unschuldige töten, zum Beispiel in Afghanistan, im Jemen und im Irak. Das alles passiert ja und wird weithin als ziemlich normal wahrgenommen. Aber der saudische Thronfolger muss hier möglicherweise noch dazulernen. Er ist erst 33 Jahre alt. Vielleicht kann ihn der 61-jährige Kaeser ein wenig beraten, wenn er nächste Woche nach Riad reist.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.02.2016 | 21:45 Uhr