Stand: 09.01.17 11:44 Uhr

Kommentar: Regierung bleibt bei Opferrente konsequent

Ein Kommentar von Volker Steinhoff.

Irgendwie ist es ja auch ehrlicher, über 70 Jahre nach den NS-Verbrechen nicht noch die letzten Täter abzustrafen, die durch biologische Fügung bis heute überlebt haben. Ehrlicher bezüglich der (weitgehend unterlassenen) juristischen Aufarbeitung des Holocaust, ehrlicher aber auch hinsichtlich eines der größten Nachkriegsskandale: Unzählige Milliarden sogenannter Opferrenten haben wir für Hitlers Kämpfer bezahlt, die Entschädigung der wirklichen Opfer, also der Holocaust-Überlebenden, war dagegen viel billiger.

Als Panorama 1993 mit der Recherche begann, konnten wir selbst nicht glauben, dass dieser Sachverhalt jahrzehntelang de facto geheim geblieben war. Vielleicht trug die orwellianische Sprachvernebelung dazu bei, denn was Opferrente hieß, hatte weder etwas mit "Opfern" noch mit "Rente" zu tun. Zutreffender wäre der Begriff "Judenabschussprämie" gewesen, denn es handelte sich um eine einseitige und unterschiedslose Zahlung des Staates an Hitlers Kämpfer - vom unschuldigen Wehrmachtssoldaten bis zum erwiesenen Massenmörder und dessen Angehörigen. Selbst die Witwe des Volksgerichtshofs-Präsidenten Freisler bekam eine solche Opferrente, diverse KZ-Wärter natürlich ebenso.

Aus dieser Recherche sind zahlreiche Beiträge hervorgegangen. Sie zeigten: Für Täter und Opfer gab es äußerst ungleiche Entschädigungsregeln. Während Hitlers Kämpfer (Wehrmacht und SS, also auch KZ-Wärter) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) 1. ewig, 2. weltweit und 3. ohne Ausnahme für erlittene Verletzungen entschädigt wurden, galten etwa für KZ-Überlebende im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) drei wichtige Ausnahmen:

1. Die Entschädigung lief im Grundsatz 1969 aus (danach gab es einen Flickenteppich von Nach-Entschädigungen, der in der Öffentlichkeit zum "Die-Juden-kriegen-auch-nie-genug"-Gejammer führte),

2. Entschädigung bis dahin nur im "freien Westen" (dabei hatte der Holocaust vor allem in Osteuropa stattgefunden)

3. Kommunisten und andere, die nicht zu den "Interessen der Bundesrepublik Deutschland" passten, bekamen gar nichts Nach den Panorama-Beiträgen passierte einiges: Viele der noch lebenden Holocaust-Opfer im Osten wurden nun entschädigt, dafür wurden für Hitlers Kämpfer erstmals Ausnahmen eingeführt. Wer an einem NS-Verbrechen teilgenommen hatte, sollte nichts mehr kriegen. Nun also das Fazit dieses letzten Versuchs der bundesdeutschen Gesichtswahrung: die Gesetzesänderung hat nichts gebracht, nochmal ändern will die Bundesregierung auch nicht - die Täter kassieren weiter Opferrenten. Da soll man noch sagen, Politiker wären nicht konsequent genug.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 29.03.1993 | 21:00 Uhr