Kommentar

Die (Selbst-)Zerstörung der SPD

von Christoph Lütgert
Ein SPD-Luftballon vor dunklem Himmel. © imago Foto: Thomas Koehler

Weit und breit niemand in Sicht, die/der die Partei aus der Misere führen und zugleich begeistern, überzeugen, einigen könnte.

Auch der längst überfällige Rücktritt von Andrea Nahles wird den Niedergang der SPD nicht mehr abbremsen. Für die "Zerstörung der CDU" musste noch der Youtuber Rezo ran. Die SPD macht’s bei sich selbst - mit unüberbietbarer Entschlossenheit und Perfektion. Die neuste Forsa-Umfrage gibt ihr nur noch 12 Prozent.

Bei der Europa-Wahl vor gerade mal einer Woche hatte die SPD es noch auf 15 Prozent gebracht. Statt konzentriert, konstruktiv und diszipliniert nach den Ursachen für den Absturz zu suchen und zu fragen, wie sich die Erosion der einstmals stolzen Volkspartei stoppen lässt, übten sich die Sozialdemokraten wieder nur in Selbstbespiegelung und Selbstzerfleischung. Der Wähler ist längst aus dem Blick geraten.

Wie die Genoss*innen mit ihrer Chefin umgingen… Zum Schluss konnte Andrea Nahles einem fast schon leidtun, obwohl sie wahrscheinlich gar kein Mitleid verdient hat. Bei ihrem viel zu lange unaufhaltsamen Aufstieg hatte sie immer wieder kaltes Machtkalkül und gierigen Machthunger offenbart. Da musste der Sturz dann auch "eingepreist" sein.

Solidarisches Fremdschämen

Die Führungsfigur der einstmals großen und großartigen Sozialdemokratie sollte nach Möglichkeit Charisma und Empathie haben, sollte überzeugende Botschaften vermitteln. An allem hatte es Andrea Nahles gefehlt - von Anfang an. Deshalb war es nüchtern betrachtet unverständlich, dass die Parteitagsdelegierten sie überhaupt zu ihrer ersten Frau machten. Nahles‘ Leistungen als Ministerin konnten sich sehen lassen, aber bei öffentlichen Auftritten hatte sie auch schon vor ihrer Wahl zur Vorsitzenden sich lächerlich gemacht - bis zur Peinlichkeit. Unvergessen ihr atonales Pippi-Langstrumpf-Gesinge im Bundestag. Da musste der SPD das Gefühl des solidarischen Fremdschämens kommen. Die Genossen allesamt oder zum größten Teil sind an dem Untergang ihrer Partei mitschuld. Denn wie sich Andrea Nahles unmittelbar nach dem blamablen Abgang des hoffnungslosen Hoffnungsträgers Martin Schulz im Handstreich und unter Missachtung aller Partei-Gremien und -Regularien an die Parteispitze putschen wollte; - spätestens da hätte die SPD ihr noch Einhalt gebieten können und müssen. Hat sie aber nicht. Mit der offenkundigen Lust am Untergang hob sie Andrea Nahles auf den Schild, und die zeigte ganz schnell und dann auch wiederholt, dass sie es einfach nicht konnte. Beispielsweise, als sie der Beförderung des unhaltbaren Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen zum Staatssekretär zustimmen wollte. Sie wurde durch einen Aufstand der Basis gestoppt. Aber da war es schon zu spät.

Schulz - Beschleuniger des Niedergangs

Vielleicht noch hoffnungsloser als der Blick zurück der Blick nach vorn. Weit und breit keine Genossin, kein Genosse in Sicht, die/der die Partei aus der Misere führen und zugleich begeistern, überzeugen, einigen könnte. Geradezu blamabel, dass Martin Schulz schon wieder im Gerede ist. Der Mann mit dem dröhnenden Pathos, der nach der bislang letzten verlorenen Bundestagswahl zur Inkarnation des Wortbruchs wurde und damit den demokratie-schädlichen Politiker-Verdruss im Wahlvolk steigerte. Erst schloss er den Gang in die Groko aus, dann wollte er doch; dann wollte er keinesfalls Minister werden, kurz darauf aber gleich Außenminister. Schulz der Beschleuniger des Niedergangs und jetzt vielleicht dessen Profiteur - man kann es auch übertreiben… in dieser SPD möglicherweise aber auch nicht mehr.

Und dass sich Finanzminister Olaf Scholz jetzt bei seinen Genossen mit dem Versprechen anbiedert, die SPD werde nach der nächsten Bundestagswahl keinesfalls mehr in eine Große Koalition gehen… Ja, warum hat er nicht schon früher kapiert, dass die Groko für die Sozialdemokraten seit langem schädlich ist - toxisch bis zum Exitus. Und jetzt ist dieser Exitus verdammt nah.

Der Kommentar erschien zuerst auf Blog der Republik.

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Das Erste | Panorama | 13.06.2019 | 21:45 Uhr