Milliardenkosten: Wer zahlt für Austausch von Philips-Atemgeräten? (Manuskript)

von Christian Baars, Lea Busch und Brid Roesner

Panorama v. 16.05.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Wenn eine Firma ein Produkt auf den Markt bringt und sich dann herausstellt, dass es irgendwie fehlerbehaftet ist, ist das für die Firma natürlich der SuperGau. Denn klar, da wurde viel Zeit und Geld reingesteckt, das man durch den Verkauf ja wieder rein holen muss. Von daher ist die Versuchung natürlich groß, solche Schäden erstmal nicht so ernst zu nehmen und nicht an die große Glocke zu hängen, damit das Produkt noch weiterverkauft werden kann. Nur, wenn es die Gesundheit von Menschen betreffen könnte, ist das natürlich fatal. Die Firma Philips scheint jahrelang von einem schwerwiegenden Problem bei einer ganzen Reihe ihrer Atemgeräte gewusst zu haben, ohne die notwendigen Schritte einzuleiten. Die Geräte wurden millionenfach in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und auch bei Patienten zu Hause eingesetzt. Christian Baars, Lea Busch und Brid Roesner."

Nermin Ukejnovic hat Krebs. Die Tumore sitzen in seinem Gesicht. 11mal musste er schon operiert werden. Es dauerte, bis die Ärzte den Ursprung fanden. Denn der Tumor saß tief in der Nase, direkt neben dem rechten Auge. Diese Art von Krebs ist extrem selten. Wieso hat er diesen Krebs? Er glaubt den Grund zu kennen.

O-Ton Nermin Ukejnovic: "Ich selber und die ganze Familie würde sicher 100 % sagen, das liegt an diesem Gerät. Es gibt keinen anderen Grund. Es gibt keinen anderen Grund."

Mit diesem Gerät meint er ein solches Atemgerät der Firma Philips. Fast sieben Jahre lang hat er es jede Nacht sorglos benutzt. Wie diese Frau auf dem Foto. Bis sich im Sommer 2021 seine Schwester meldet. Sie hat von einer dringenden Sicherheitswarnung von Philips gehört. Tatsächlich warnt die Firma, einige Atemgeräte könnten Krebs verursachen. Kurz zuvor war bei ihm der erste Tumor entdeckt worden. Doch ist Philips tatsächlich schuld? Sie glauben es jedenfalls - und fordern eine Entschädigung. Wie auch viele andere Patienten. Bisher ohne Erfolg. Dabei hat das Unternehmen aus den Niederlanden 2021 mehr als 5 Millionen Atemgeräte zurückgerufen. Es ist der wohl größte, jemals durchgeführte Rückruf eines Medizinprodukts. Grund dafür war ein Schaumstoff in den Geräten. Ein Atemgerät wie dieses Modell von Philips saugt Raumluft an und pumpt sie gleichmäßig über den Schlauch zum Patienten. Angetrieben wird das Atemgerät durch einen kleinen Motor. Damit das Gerät nicht zu laut ist, hat Philips einen Schaumstoff verbaut. Er soll die Geräusche dämpfen. Aber er kann sich mit der Zeit zersetzen – kleine Partikel können dann vom Patienten eingeatmet werden. Als Philips dieses Problem öffentlich macht, sind Patienten weltweit beunruhigt. Wie dieses Video zeigt: "Das ist der Schaumstoff, den ich rausgenommen habe. Der ist komplett zerfallen." (Quelle: Youtube) Die Atemgeräte von Philips werden in den USA produziert.

Deshalb schickt die US Gesundheitsbehörde FDA mehrfach ihre Kontrolleure in das Werk. Der Abschlussbericht der "Food and Drug Administration" liest sich vernichtend. Demnach gab es etliche interne Probleme. Und FDA-Daten zeigen, schon über 10 Jahre zuvor wurde Philips in den USA ein ernstzunehmender Fall gemeldet. Die FDA notiert: "Der Hersteller erhielt Informationen, wonach sich der schalldämpfende Schaumstoff eines Geräts zersetzte und bei dem Patienten Lungenkomplikationen verursachte, die zum Tod führten." Auch danach gehen bei Philips immer wieder Berichte über schwarze Partikel und Probleme mit dem Schaumstoff ein. Jahre später kursieren Fotos von zerbröseltem Schaumstoff unter den Philips-Mitarbeitern. Und im Mai 2018 erklärt sogar der Schaumstoff-Hersteller selbst: "Wir würden nicht empfehlen, diesen Schaumstoff zu verwenden." Nermin Ukejnovic ahnt von alldem nichts. 2020 wird sein Philips-Gerät ausgetauscht. Es war mit der Zeit immer lauter geworden. Hatte sich der schalldämpfende Schaumstoff etwa aufgelöst? Diese Frage quält sie bis heute.

O-Ton Nermin Ukejnovic: "Philips hat schon gewusst, dass dieses Gerät nicht ok ist. Und warum hat nichts gesagt? Das frag ich mich."

O-Ton Mirjana Ukejnovic: "Wenn Philips selber gesagt hätte, in dem Moment, wo sie es erfahren haben oder die Vermutung hatten, dass eventuell irgendwas sein kann, überlass es doch dem Patienten zu entscheiden. Okay?! Sag‘s ihm."

Erst Mitte 2021 - startet Philips den weltweiten Rückruf. 11 Jahre nach der ersten nun bekannten Meldung. Wieso so spät? Philips gibt uns ein Interview in der Zentrale in Amsterdam. Der Pressesprecher erklärt, das Tochterunternehmen in den USA habe das Gesamtproblem lange nicht gemeldet.

O-Ton Steve Klink, Pressesprecher Philips: "Und als Philips, also die Muttergesellschaft, Anfang 2021 auf das Problem und die mögliche Bedeutung aufmerksam wurde, haben wir keine Mühen und Kosten gescheut, um das Problem zu beheben."

Dieser Philips-Mitarbeiter ist da anderer Ansicht. Er möchte nicht erkannt werden. Der Mitarbeiter glaubt, Philips habe vermeiden wollen, dass die Patienten bei einem Rückruf Austausch-Geräte anderer Hersteller bekommen.

O-Ton Mitarbeiter Philips: "Wenn Sie eine komplette Produktlinie zurückziehen müssen, dann freut sich natürlich auch der Konkurrent. Aber dieses Stück vom Kuchen wollte man nicht kampflos aufgeben. Die Nachfolge-Produktlinie war überhaupt noch nicht verfügbar, geschweige denn in der Menge und natürlich hat man versucht zu sagen: Es ist doch gar nicht so schlimm. Wir müssen da noch warten."

Am Anfang habe auch er sich das schön geredet.

O-Ton Mitarbeiter Philips: "Und irgendwann kommt dann doch der Gedanke, wo man sagt, denen geht es nur ums Geld! Es geht immer nur ums Geld."

Tatsächlich geht es nun um sehr viel Geld. Austauschgeräte, Behandlungen, Entschädigungen. Wird Philips alle Kosten tragen?

O-Ton Steve Klink, Pressesprecher Philips: "Die Kosten, die mit der Reparatur und dem Ersatz der bis zu 5 Millionen Geräte, der Kommunikation, der Unterstützung und allen anderen Ressourcen verbunden sind, belaufen sich auf 1,5 Milliarden, die von Philips bezahlt wurden oder werden."

Das klingt viel, aber bei fünf Millionen betroffenen Patienten weltweit sind das gerade mal 300 Euro pro Fall allein für den Austausch der Geräte. In den USA bekommen Zehntausende Patienten außerdem eine Entschädigung. Philips hat einem Vergleich zugestimmt, zahlt dort noch einmal etwa eine Milliarde Euro zusätzlich.

O-Ton Steve Klink, Pressesprecher Philips: "Wir haben beschlossen, den Rechtsstreit mit diesem Vergleich zu beenden. Wir möchten aber auch klarstellen, dass dies kein Schuldeingeständnis ist. Und wir glauben nicht, dass das Gerät irgendeinen Schaden verursacht hat. Dies ist also ein Beschluss, den wir für die USA gefasst haben. Für andere Länder werden wir dies von Fall zu Fall entscheiden."

Aus Sicht der Aktionäre scheint Philips damit günstig davon zu kommen. Als der Vergleich Ende April verkündet wird, schießt der Kurs in die Höhe. In Deutschland dagegen hat Philips den Patienten bislang keine Entschädigung zugesagt. Und am Ende könnten auch alle weiteren Versicherten einen Teil der Kosten für den Rückruf zahlen müssen. Die AOK zum Beispiel hatte für Tausende Patienten selbst Philips-Geräte gekauft. Nun befürchten sie, dass die Gemeinschaft auf etlichen Millionen Euro sitzen bleibt.

O-Ton Jürgen Malzahn, AOK-Bundesverband: "Aus unserer Sicht gibt es hier einen Geräteschaden und dieser Geräteschaden ist durch den Hersteller zu verantworten und kein Schaden, der in irgendeiner Form durch die Versicherten zu entrichten ist. Philips hat bisher direkte Verhandlungen mit uns über Erstattungen in jedweder Form abgelehnt."

Da die AOK nicht direkt bei Philips gekauft habe, sei man auch nicht zuständig, erklärt Philips. Außerdem habe man nach dem Rückruf Tests durchführen lassen. Demnach seien keine nennenswerten Gesundheitsschäden zu erwarten. Der US-Behörde FDA, reichen diese Ergebnisse jedoch bislang nicht. Für Nermin Ukejnovic eine schwierige Situation. Er kann nicht mehr arbeiten und will eine Entschädigung von Philips. Doch der Konzern bestreitet nun, dass sein Krebs etwas mit dem Gerät zu tun hat. Es droht ein langer Prozess.

O-Ton Mirjana Ukejnovic: "Der Verlust einmal von unserer Lebensqualität ist sehr groß und auch der Verlust von unserer, ich sage mal der materiellen Seite ist ziemlich groß. Von daher. Ich finde, Phillips sollte da nicht einfach so unbescholten davonkommen."

Beitrag: Christian Baars, Lea Busch, Brid Rösner
Kamera: Andrzej Król, Alexander Rott, Martin Warren
Schnitt: Wolf Krannich
Grafik: Benjamin Rosentreter

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Das Erste 16.05.2024 | 21:45 Uhr