Fehlende Willkommenskultur verschärft Fachkräftemangel (Manuskript)

von Sebastian Bellwinkel

Panorama v. 18.01.2024

Anmoderation Anja Reschke: "Remigration ist Unwort des Jahres. Die Fantasien der AfD und ihrer rechten Freunde, Millionen Menschen aus Deutschland deportieren zu wollen, ist dann doch – um es vornehm auszudrücken - auf Gegenwind gestoßen. Bei der Mitte der Gesellschaft. Selbst hochrangige Wirtschaftsbosse, die sich sonst bei AfD Themen sehr leise verhalten, haben dieses Mal deutlich gemacht, dass solche Gedanken Deutschland massiv schaden. Abgesehen davon braucht die Wirtschaft ja jetzt schon dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland. Natürlich die Richtigen. Alles klar. Dann schauen wir uns doch mal an, wie das funktioniert in Deutschland, mit den Richtigen, die wir holen. Sebastian Bellwinkel."

Weltweit sind Bundesminister im Einsatz, um Fachkräfte für Deutschland zu begeistern. Mal in Ghana, dann wie hier in Brasilien. Ein anderer wirbt derweil im Netz.

O-Ton Robert Habeck: "Ich bin Robert Habeck, der deutsche Wirtschaftsminister. Wir bieten gute Arbeitsbedingungen und eine hohe Lebensqualität. Wir suchen nach qualifizierten Fachkräften, die gern nach Deutschland kommen würden."

Alles scheint so einfach, etwa hier: "Mein Traum ist wahr geworden." So verkauft die Bundesregierung die Erfolgsgeschichte des Ägypters Fadi Shanan.  Das ist Fadi Shanan, zu Hause in Berlin. Doch so rosig, wie seine Erfolgsstory klingt, war sie nicht. Shanan hat in Kairo Biomedizintechnik studiert. Nach dem Abschluss bewarb er sich in Deutschland, das war vor 10 Jahren. Auf Englisch – wie in seiner Branche international üblich.

O-Ton Fadi Shanan: "Ich glaube ich habe geschickt ungefähr 500 Bewerbungen. Ich bekomme eine Antwort, es ist immer Nein."

Da er damals kaum Deutsch versteht, vereinfacht sich der Ingenieur das Lesen der vielen Antworten. Er sucht einfach nur nach dem Wort: "leider".

O-Ton Fadi Shanan, Biomedizintechnik-Ingenieur: "Weil "leider" immer heißt: es gibt keine Stelle mehr. Und ich suche: Leider. Das heißt: die nächste Stelle ich muss suchen."

So wie er bewerben sich in Deutschland Zehntausende in der Weltsprache Englisch. Eigentlich dürfte das, so denkt man, kein Problem sein, wenn Deutschland internationale Fachkräfte will. Ist es aber - sagt der Karriereberater Chris Pyak, der auch Fadi Shanan geholfen hat, doch noch einen Arbeitsplatz in Deutschland zu finden. Nur 5% der deutschen Unternehmen schreiben ihre Stellen auf Englisch aus, so der Fachmann. Symptomatisch für die hiesige Willkommenskultur, sagt er.

O-Ton Chris Pyak, Karriereberater: "Es herrscht halt immer noch die Vorstellung, wir sind der Nabel der Welt und die ganze Welt will zu uns kommen. Und das ist schon lange nicht mehr so. Jeder, mit dem ich zu tun habe, interessiert sich logischerweise für Deutschland. Deswegen kommen sie ja zu mir. Aber eben als eine von vielen Optionen. Die würden genauso in die Niederlande gehen, die würden genauso nach Frankreich gehen, die würden genauso nach Singapur gehen. Und wenn das alles für sie gleichwertig ist, gehen sie dann hin und lernen auf gut Glück, Deutsch, Holländisch und Chinesisch? Nein, sie warten, bis sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben. Und dann fangen sie an, die Regionalsprache zu lernen."

Bei der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, forscht Thomas Liebig genau dazu. Mit seinem Team hat er weltweit 30.000 Menschen befragt zu ihren Erwartungen bei einer Bewerbung in Deutschland – die Befragung ist repräsentativ.

O-Ton Thomas Liebig, Arbeitsmarktforscher OECD: "Die meisten Bewerber bemängeln, dass es für sie sehr, sehr schwierig ist, überhaupt zu erkennen, welche Jobs für sie sozusagen in Frage kommen und für sie auch offen sind - denn die meisten Stellenausschreibungen sind auf Deutsch."

Dank seines Beraters kam Fadi Shanan schließlich an diesen Job in einem Berliner Biotech-Unternehmen. Die Firma entwickelt Hard- und Software für Operationssäle in Krankenhäusern weltweit. Das Team hier ist international, mal sprechen sie Englisch, mal sprechen sie Deutsch. In seiner Firma, sagt er, fühlt er sich willkommen. Trotzdem wollte er das Projekt Deutschland zwischendurch schon abbrechen. Der Grund: Die Art und Weise, wie er und seine Frau immer wieder bei den Behörden behandelt werden.

O-Ton Fadi Shanan, Biomedizintechnik-Ingenieur: "Manchmal ich hab ein bisschen Angst vor. Es ist sehr klar, ich verstehe die Deutsch nicht sehr gut. Und ich spreche nicht sehr gut, aber ich versuche. Und die Leute dort: immer nicht helfen. Neulich im Bürgeramt, es ging um den Führerschein. Die Mitarbeiterin dort war, ehrlich gesagt, respektlos. Die wollte mich schon rauswerfen. Ich hatte Mühe sie zu verstehen, habe selbst langsam gesprochen. Sie verdreht nur die Augen. Kein Entgegenkommen. Warum nur? Ich war der einzige da, keine Warteschlange, kein Stress."

Diskriminierung.  Eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen kommt zu dem Ergebnis: 2 von 3 hochqualifizierten Fachkräften aus außereuropäischen Ländern haben bei uns Diskriminierungserfahrungen gemacht. Aufgrund ihrer Herkunft. Die Hälfte davon in Behörden, ein Drittel im Arbeitsleben. Ob sich das inzwischen herumgesprochen hat? Finanzminister Christian Lindner machte bei einem Besuch in Ghana eine für ihn überraschende Erfahrung. Von Student:innen wollte er wissen, wer sich denn für einen Job in Deutschland interessiere. 

O-Ton Christian Lindner (03.02.2023): "Bitte aufzeigen: Für wen wäre das eine Option? Nur so wenige?"

Die Zurückhaltung der Student:innen passt zu den Ergebnissen der OECD-Studie. In der Umfrage nannten drei Fünftel der ausländischen Fachkräfte als wichtiges Kriterium: Das Land meiner Träume ist positiv gegenüber Einwanderern eingestellt.

O-Ton Thomas Liebig, Arbeitsmarktforscher OECD: "Heutzutage auch gerade durch die sozialen Medien, auch durch die Netzwerke, gehen auch negative Geschichten sehr, sehr schnell rum, auch unter den Zuwanderern, und haben einen realen Einfluss, wenn es zu Demonstrationen kommt, ausländerfeindlichen Ausschreitungen. Das wird sehr stark wahrgenommen, und zwar gerade auch bei der Gruppe, um die es hier geht: die sich raussuchen können, wo sie hinkommen."

 Mehr als die Hälfte der Befragten hatte also Angst vor Diskriminierung. Fadi Shanan ist bisher geblieben, andere nicht. Wenn Fachkräfte wieder fortgehen, verschwinden auch Jobs für Einheimische. 

O-Ton Chris Pyak,  Karriereberater: "Ich habe zum Beispiel mit einer Wissenschaftlerin aus Indien gearbeitet, die wurde von einem Unternehmen in Süddeutschland eingestellt, um dort ein neues Produkt zu entwickeln. Und mit dem Tag ihrer Einstellung wurden sechs Laborassistentinnen eingestellt, denn die brauchten sie, um das Labor zu laufen. Und in ihrem Dorf hat sie aber nur Ablehnung, Vorurteile oder Ressentiments erlebt. So sehr, dass sie nach einem Jahr entnervt hingeschmissen hat und gesagt hat: Dann gehe ich halt woanders hin. Weil sie diese Option hatte. Und mit ihrer Kündigung haben auch alle sechs Laborassistentinnen direkt ihren Job verloren. Weil, ohne die Wissenschaftlerin gab es kein Projekt mehr."

Verschärft wird das Problem nicht nur durch die Propaganda der AfD. Es gibt auch Bundespolitiker, die fatale Signale aussenden. Ein Beispiel: eben jener Christian Lindner, der sich in Ghana noch wunderte, dass kaum einer nach Deutschland kommen will. An anderer Stelle spielt er schon mal mit der Angst vor den Fremden.

O-Ton Christian Lindner, FDP-Parteivorsitzender (2018): "Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen sich alle sicher sein, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt."

O-Ton Fadi Shanan, Biomedizintechnik-Ingenieur: "Politiker, die so etwas sagen, animieren andere dazu, sich genauso zu verhalten. Einfache Bürger sehen: der ist rassistisch, warum nicht auch ich? Wenn ich das Gefühl bekomme, nicht mehr willkommen zu sein – dann gehe ich auch."

Statt also auf Werbetour um die Welt zu fliegen, würde es vielleicht mehr bringen, wenn sich unsere Politiker erst einmal untereinander abstimmen würden. Stichwort Willkommenskultur.

Bericht: Sebastian Bellwinkel
Kamera: Alexander Rott, Wilhelm van de Loo, Sebastian Tögel
Schnitt: Alexander Liu, Marcel Izquierdo Torres

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Das Erste 18.01.2024 | 21:45 Uhr