Solidarität mit Israel: Was heißt das für die Bundesregierung? (Manuskript)

Manuskript des Panorama-Beitrags vom 26.10.2023

Anmoderation Anja Reschke: "Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Diesen Satz haben wir oft gehört in den letzten Tagen. Er klingt groß und bedeutungsvoll. Aber was heißt er konkret? Gerade weil Deutschland so eine große Verantwortung für Israel trägt, muss man fragen: Wer sorgt für die Sicherheit Israels? Gerade jetzt? Es ist vor allem Aufgabe eines Staates, seine Bürger zu beschützen. Benjamin Netanjahu hat das seinen Wählern versprochen. Vor knapp einem Jahr bildete er seine rechtsnationale, zu Teilen rechtsextreme Regierung. Das hat zu einer tiefen Vertrauenskrise in Israel geführt. Viele machten sich Sorgen, protestieren, sagten, diese Regierung höhle die Demokratie aus, und bringe damit die Stabilität, die Sicherheit in Gefahr. Jetzt ist Israel bedroht. Massiv. Die Regierung Netanjahu hat ihre Bürger nicht beschützt. Die Verunsicherung in der Bevölkerung, die Angst ist groß. Vor dem Terror der Hamas. Aber auch vor den Konsequenzen, die die israelische Regierung jetzt androht. Bedeutet unsere uneingeschränkte Solidarität mit Israel, mit dem Land, dem Staat, auch die uneingeschränkte Solidarität mit der israelischen Regierung? Was ist das für ein Partner? Stefan Buchen"

Entsetzen in Israel, Entsetzen in Deutschland. Am 7. Oktober metzeln Terroristen der Hamas 1400 Israelis nieder. Nie seit dem Massenmord durch die Deutschen fielen so viele Juden an einem einzigen Tag dem Hass zum Opfer. Es ist die Tat einer radikalen Gruppe mit größenwahnsinnigen Zielen. Hamas will den Staat Israel auslöschen.

Ron Prosor, Israelischer Botschafter in Deutschland: "Massaker, also die haben Leute hingerichtet. Leute in eigenen Häuser in Brand gesteckt, Mütter mit ihren Kindern hingerichtet."

Im Bundestag Mitgefühl für den israelischen Botschafter. Das Massaker ist so einschneidend, dass Bundeskanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung abgibt.

Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler: "Am Morgen des 7. Oktober ist Israel in einem Albtraum aufgewacht. In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels. Das meinen wir, wenn wir sagen: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson."

Das Grauen hat in Deutschland einen anderen Aspekt in den Hintergrund gedrängt: Die Unfähigkeit der israelischen Regierung, eigene Bürger zu schützen. Bewaffnete Mörder überrennen einfach die scharf bewachte Hightech-Grenze zwischen Gaza und Israel Das setzt Premierminister Netanyahu innenpolitisch unter enormen Druck. Seine hypernationalistische Regierung ist seit 10 Monaten im Amt. Netanyahu hat sich immer als Mister Sicherheit verkauft. Keiner schütze die jüdische Bevölkerung so gut wie er, ist sein Credo seit Jahrzehnten. Der Krieg hat auch den Großraum Tel Aviv erreicht. In einer Feuerpause besuchen wir Moshe Zimmerman. Der Historiker ist auch fassungslos über die Brutalität der Hamas. Aber die Wut über die Terroristen dürfe die israelische Regierung nicht vor Kritik schützen, meint er.

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: "Alle israelischen Politiker sprechen immer von der Priorität der Sicherheit der Israelis. Das ist seit eh und je so. Bei Netanjahu umso mehr. Und deswegen ist das, was am 7. Oktober geschehen ist, das größte Versagen in der Geschichte Israels."

Wer dieser israelischen Regierung seine bedingungslose Unterstützung gebe, gehe ein Risiko ein, warnt Moshe Zimmermann.

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: "Die Regierung ist eine unfähige Regierung. Das wissen wir alle, und das muss man auch im Ausland wissen. Die Bundesregierung, die internationale Gemeinschaft insgesamt, muss klar verstehen, mit wem sie zu tun haben."

Viele in Israel fordern Netanjahus sofortigen Rücktritt. Aber der offenkundig Gescheiterte inszeniert sich nun als Oberkommandierender im Krieg.

Benjamin Netanjahu, Likud, Premierminister Israel: "Jeden Ort, an dem Hamas sich versteckt, werden wir in einen Trümmerhaufen verwandeln. Ich sage den Bewohnern von Gaza: geht dort weg. Denn wir werden überall mit voller Kraft zuschlagen. Was wir unseren Feinden antun werden, wird bei ihnen noch Generationen später nachhallen."

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: "Die israelische Regierung von heute versucht selbstverständlich, mit Drohgebärden die andere Seite einzuschüchtern, aber vor allem die eigene Bevölkerung irgendwie zu besänftigen. Das ist aber keine Politik, das ist keine Strategie. Das ist keine Taktik. Und das muss dieser Regierung klargemacht werden, gerade wenn man Israel unterstützen will, wenn man Solidarität mit Israel zeigen will."

Die Bundesregierung zurückhaltend. Kanzler Scholz umgeht die Frage, welche Risiken die enge Partnerschaft mit der Regierung Netanjahu nach sich zieht. Scholz beschränkt sich auf das Unstrittige.

Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler: "Und wir sagen in aller Klarheit: Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger gegen diesen barbarischen Angriff zu verteidigen."

Nils Schmid, SPD, außenpolitischer Sprecher Bundestagsfraktion: "Das war ein ganz starker Auftritt von Herrn Scholz. Alles Reden über diesen Krieg muss beginnen mit der Tatsache, dass Israel angegriffen wurde und sich verteidigen muss. Israel ist das Opfer, Hamas der Täter. Und damit gilt das Selbstverteidigungsrecht."

Das militärische Mittel der Wahl bislang: massive Bombardierungen aus der Luft auf Gaza. Mehr als 7.000 Menschen wurden nach palästinensischen Angaben dabei bisher getötet. Zudem hat Israel den Gazastreifen weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Der Gegenschlag fordert also viele Opfer. Aber das Vorgehen sei berechtigt und habe ein klares Ziel, sagt der israelische Botschafter.

Ron Prosor, Israelischer Botschafter in Deutschland: "Diesmal werden wir Hamas´ Infrastruktur und Führung beseitigen. Aslo: was in Gaza vorher war, wird nie wieder sein. Ich weiß nicht, was in ein paar Wochen oder Monaten stattfindet, aber Hamas wird den Gazastreifen nicht mehr kontrollieren."

Panorama: "Wie stellen Sie sich die Zukunft des Gazastreifens vor, politisch?"

Ron Prosor: "Ich habe ein paar Ideen, aber ich möchte damit alle Zuschauer uns wirklich hören: ich, für mich ist klare Worte: Hamas wird, nachdem wir zu Ende sind, Gazastreifen nicht mehr kontrollieren. Was danach kommt, weiß ich noch nicht."

Netanjahus Leute in Israel äußern sich konkreter. Tali Gottlieb ist Abgeordnete des Likud, also der Regierungspartei. In der Knesset fordert sie einen Feldzug gegen Gaza ohne Erbarmen.

Tali Gottlieb, Likud, Knesset-Abgeordnete: "Um die Abschreckung wiederherzustellen, müssen wir Dinge tun, die bisher im Nahen Osten noch niemand getan hat. Sonst verlieren wir unsere Existenz."

Amit Ha-Levi, Likud, Knesset-Abgeordneter: "Im Land Israel wird es keinen Flecken muslimische Erde mehr geben. Was die Gegenseite für islamischen Boden hält, wird ewig israelisches Territorium bleiben. Das zu erreichen, bedeutet Sieg."

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: Genauso, wie der Hamas sich auf eine Eventualität immer vorbereitet, nämlich die Gunst der Stunde zu benutzen, um Israel zu vernichten, gibt es in der israelischen extremen Rechten, selbstverständlich, auch eine klare Absicht: die Palästinenser müssen weg. Weg müssen, das bedeutet, Vertreibung oder erzwungene Emigration."

In dieser Kriegsatmosphäre reist der Bundeskanzler nach Israel. Beginnt Scholz zu ahnen, dass Netanjahu und seine Gefolgsleute riskante Schützlinge sind? Scholz liest einen Text vom Blatt ab, den man als zaghaften Appell zur Deeskalation verstehen könnte.

Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler: "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Deutschland und Israel, uns vereint die Tatsache, demokratische Rechtsstaaten zu sein. Unser Handeln fußt auch in extremen Situationen auf Recht und Gesetz. Auch deswegen lässt uns die humanitäre Not im Gazastreifen nicht gleichgültig. Mit dem Ministerpräsidenten habe ich eben über Wege gesprochen, den Menschen in Gaza schnellstmöglich humanitäre Hilfe zukommen zu lassen."

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: "Die israelische Regierung unter Netanjahu mit den Rechtsextremisten in der Regierung, die hören selbstverständlich nicht auf irgendwelche Worte der Mahnung in Bezug auf die Zivilbevölkerung in Gaza. Die ignorieren das. Deswegen kann man nur immer wieder betonen: mit dieser israelischen Regierung muss man klare Worte sprechen. Klartext: Gaza plattzumachen - das geht auf jeden Fall nicht."

Aber solch klare Worte findet Scholz nicht. Kritische Äußerungen überlässt er lieber dem außenpolitischen Experten seiner SPD.

Nils Schmid, SPD, außenpolitischer Sprecher Bundestagsfraktion: "Wir alle wissen, dass eine militärische Lösung des Konflikts nicht erreichbar ist, sondern dass wir den Weg zu einer politischen Lösung bereiten müssen. Denn wir haben ja gesehen, dass die militärische Überlegenheit Israels, Israel eben nicht tatsächlich und endgültig schützen kann. Das ist ja auch der tiefe Schock, der die gesamte israelische Gesellschaft erreicht hat, dass trotz ausgefeilter Sicherheitstechnik, ein solch brutaler Angriff möglich war. Es sollte auf allen Seiten die Einsicht befördern, dass nach der notwendigen Ausschaltung der terroristischen Akteure, wie die Hamas, diejenigen, die für den Frieden eintreten, auf beiden Seiten den Mut haben, auch diesen Weg zu gehen."

Solche Töne bekommt Netanjahu sogar von Biden und Macron zu hören. Aber es scheint ihn nicht zu beirren. Ein klares Indiz: für die Geiseln in der Hand der Hamas hat er einen engen Vertrauten als Bevollmächtigten ernannt, Gal Hirsch. Ein Scharfmacher. Hilft er den Geiseln? Vergangene Woche drehte Netanyahus Mann an der militärischen Eskalationsspirale.

Gal Hirsch, Bevollmächtigter für die Geiseln: "Unsere Antwort wird entsprechend sein. Eine unvorstellbare Antwort. Unvorstellbar, genauso meine ich es. Die israelische Armee ist weder aggressiv noch offensiv. Es sind Verteidigungskräfte. Aber wir müssen jetzt angreifen. Und die Region um uns neu ordnen. Das werden wir tun."

So klingt der Partner, dem die Bundesregierung rückhaltlose Unterstützung zugesagt hat. Vielleicht sollte Scholz das in seine Nahostpolitik einbeziehen.

Prof. Moshe Zimmermann, Historiker: "Wenn man auf der Seite Israels stehen will, steht man nicht unbedingt auf der Seite der israelischen Regierung von heute. Diese Regierung von heute ist für Israels Sicherheit gefährlich. Haben wir am 7. Oktober gesehen. Dementsprechend muss man auch handeln. Das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt für Amerika, das gilt für andere, die uns Israelis irgendwie zu Hilfe kommen wollen."

Wie wird Scholz sich zu Netanjahu positionieren? Etwa, wenn der den Einmarsch von Bodentruppen nach Gaza befiehlt? Unklar. Botschafter Prosor wirbt für die weitere Unterstützung der Bundesregierung im Feldzug gegen die Hamas, ohne Wenn und Aber.

Ron Prosor, Israelischer Botschafter in Deutschland: "Die Hamas sagt, wir wollen Israel ausradieren, ins Meer werfen...und jeden Juden, der sich hinter einem Baum versteckt, hinrichten. Diese Ideologie ist sehr scharf."

Panorama: "Wenn Sie das so genau wissen, wie gefährlich Hamas ist, warum haben Sie dann nicht besser aufgepasst? Warum konnte dann dieser Angriff so erfolgen?"

Ron Prosor: Übrigens, eine hervorragende Frage. Und Sie kennen uns sehr gut. Wir werden uns miteinander auseinandersetzen. Diese Fragen werden gestellt, auf militärischer Ebene, politischer Ebene, und wir werden auch ganz klar Schlussfolgerungen haben, jetzt ist es nur eine Priorität: Hamas zu beseitigen."

Bericht: Stefan Buchen
Kamera: Torsten Lapp, Michael Shubitz
Schnitt: Jan Faltermann, Katrin Hockemeyer, Alexander Liu

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.10.2023 | 21:45 Uhr