Produktion von Lidl-Kleidung: billig, aber brutal (Manuskript)

von Karolin Arnold, Johannes Edelhoff, Jennifer Johnston, Milan Panek und Christian Salewski

Panorama v. 07.12.2023

Anmoderation Anja Reschke: "Vor zehn Jahren, im April 2013 stürzte in Bangladesh eine NähFabrik ein. 1135 Menschen, vor allem Näherinnen kamen dabei ums Leben. Tausende wurden schwer verletzt. Rana Plaza wurde das Symbol für die Auswirkungen der Produktion von Billig-Kleidung, die auch wir hier tragen. Es sollte ein Wendepunkt sein. Politik, Unternehmer beteuerten, man wolle so nicht mehr produzieren, es solle auf Nachhaltigkeit, Menschenrechte und soziale Aspekte geachtet werden. Klingt gut. Diesen Sommer konnte man bei Lidl dieses Kleid kaufen. Für 8,99 Euro. Ganz schön billig. Ganz schön verdächtig, dachten sich Journalisten des onlinemagazins Flip und fingen an gemeinsam mit unseren Reportern zu recherchieren."

Lidl - eine von 3250 Filialen in Deutschland. Hier ist alles billig: Brötchen, Gemüse und sogar Kleidung. Socken für 2,99, Pullover 6,99 oder 8,99 für dieses Kleid. Und das Beste: Dieses Kleid soll sogar fair und nachhaltig sein. Die Lidl Zentrale in Neckarsulm - hier plant man einen Imagewandel: Vom Ramschdiscounter zum Fair-Trade-Laden. Lidl verspricht, man engagiere sich für die Näherinnen - für höhere Löhne und Mitbestimmung. 8,99 und fair. Wie soll das gehen?

O-Ton Christian Salewski, Reporter: "Das Erste, was einem hier auffällt, ist der Grüne Knopf.  Der Grüne Knopf ist ja nicht irgendein Textilsiegel, sondern das staatliche Textilsiegel. Hier steht auch drauf: Sozial, Ökologisch, Staatlich, Unabhängig Zertifiziert. Und hiermit garantiert die Bundesregierung, mir als Verbraucher quasi, dass das auch wirklich stimmt. Ein superfaires supernachhaltiges Kleid. Und wenn man ins Etikett reinguckt, dann sieht man, es wurde in Myanmar hergestellt."

Myanmar - ein Land in Südostasien, in dem die Bevölkerung seit 3 Jahren brutal unterdrückt wird. Die Militärdiktatur, international verurteilt und geächtet. Gewerkschafterinnen drohen Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen. Hier heimliche Aufnahmen – brutale Gewalt von Soldaten gegen Zivilisten. In Deutschland hingegen wirbt Lidl so für seine Kleidung aus Myanmar. "Jaaa, zeig mir was drinsteckt in der grünen Knopf Kollektion, Nachhaltigkeit will ich sehen. Max, ich brauch mehr Licht. Die "Grüner Knopf Kollektion" präsentiert von unseren Kolleginnen! Ab jetzt Kleid je 8.99." (Quelle: Lidl)

Warum lässt Lidl in Myanmar produzieren? Wir haben mehrfach um ein Interview gebeten – vergeblich. In Berichten schreibt Lidl: Man halte dort alle Sorgfaltspflichten ein. Es gebe kontinuierliche und systematische Kontrollen aller Fabriken. Das Fazit: "Wir haben unsere Lieferanten verpflichtet KEINE Aufträge aus Myanmar zurückzuziehen." Lidl will also in Myanmar bleiben. Als Journalist in Myanmar frei zu recherchieren - unmöglich. Deshalb reisen wir ins Nachbarland Thailand – auf der Spur des Lidl Kleides. Wir sind in Mae Sot – direkt an der Grenze zu Myanmar. Ein Zufluchtsort. Viele Menschen aus Myanmar flüchten hierher vor der Militärregierung.

Wir treffen drei ehemalige Näherinnen und Näher aus Myanmar. Sie alle haben dort für europäische Modeketten genäht und mussten ihre Heimat verlassen, weil sie für bessere Arbeitsbedingungen in Textilfabriken gekämpft hatten.

O-Ton Kyi Kyi Tun, ehemalige Näherin aus Myanmar: "Als wir protestierten, erhob das Militär Anklage gegen mich und setzte mich auf eine Haftbefehlsliste. Sie kamen und durchsuchten unsere Häuser. Deshalb kann ich nicht mehr in meinem Heimatort Yangon leben. Wir haben keinen Ort, an dem wir uns verstecken können. Also sind wir geflohen."

Seit ihrer Flucht halten sie täglich Kontakt zu Näherinnen zuhause. Wir fragen Sie, ob sie unser Lidl Kleid erkennen oder was sie von der Lidl Eigenmarke wissen. ESMARA!

O-Ton Kyi Kyi Tun, ehemalige Näherin aus Myanmar: "Ja, kenne ich, da ich ja selbst in Nähereien gearbeitet habe. Von Esmara haben wir schon gehört. Seit Jahren erhalten wir Beschwerden über Arbeitsrechtsverletzungen von Esmara. Im Juni forderten die Arbeiter mehr Lohn, da die 1 Euro 50, die sie pro Tag bekommen einfach nicht reichen. Sie wollten mehr Arbeitsrechte und eine kleine Erhöhung, von etwa 20 Cent am Tag. Der Manager hat die Näherinnen beschimpft und bedroht".

Können wir mit den Näherinnen in Myanmar sprechen? Die Gruppe will uns in Kontakt bringen. Im Hotel starten wir einen Videoanruf zu den Fabrikarbeiterinnen. Weil das Gespräch sie gefährden könnte, machen wir sie unkenntlich.

Diese Frau verdient 1,50 Euro pro Tag. Aber das Geld sei nicht das Hauptproblem.

O-Ton Näherin: "Wenn der Arbeitgeber den Arbeitern etwas sagen möchte, um sich unmissverständlich auszudrücken, dann lädt er das Militär ein. Einige der ehemaligen Gewerkschafter sind immer noch in den Fabriken und arbeiten dort. Sie können sich nicht frei bewegen. Wenn das Militär kommt, müssen die ehemaligen Gewerkschaftsführer antreten. Es wirkt dann, als würden sie die Gewerkschaftsführer erschießen, sobald die sich bewegen, sobald sie nur einen Mucks machen. Die Situation ist so. Und für die Arbeiter sehr gefährlich".

Aber Lidl sagt, sie würden die Fabriken kontrollieren, dass Arbeitsrechte eingehalten werden. Stimmt das gar nicht? Das bringe wenig, sagt sie. Einmal habe es Streit gegeben, weil sie nicht alle Urlaubstage bekommen hatten, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Davon habe Lidl wohl etwas gehört.

O-Ton Näherin: "Der Lidl Vertreter hat eine unangekündigte Kontrolle gemacht. Wir sollten befragt werden. Doch bevor wir den Lidl-Mann treffen konnten, rief uns der Chef zusammen. Er drohte uns. Wenn ihr die Wahrheit sagt, verlieren wir den Auftrag und ihr alle eure Jobs. Dem Lidl Vertreter wurden dann gefälschte Unterlagen gezeigt. Ich weiß nicht genau, ob er etwas mitbekommen hat."

Aber kann man Lidl ankreiden, wenn deren Kontrolleure belogen werden? Ja, sagt die Menschenrechtsanwältin Annabell Brüggemann. Denn Lidl verlasse sich auf Solche Vor-Ort Kontrollen – so genannte "Audits".

O-Ton Annabell Brüggemann, Menschenrechtsanwältin (ECCHR): "Unter den Umständen in Myanmar, dass es keine Gewerkschaftsfreiheit gibt, besonders in Umständen, in den ArbeitnehmerInnen oder Gewerkschaften kaum mehr frei sprechen können, sind solche Sozialaudits keine verlässliche Maßnahme mehr".

Bei Lidl finden wir noch mehr Auffälligkeiten: Lidl beruft sich in Myanmar auf eine Zusammenarbeit mit der Organisation ACT, einer Initiative zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen.

O-Ton Panorama: "Hier steht: "Wir arbeiten fortlaufen mit den Akteuren unserer Lieferkette in Myanmar zusammen und setzen die Maßnahmen, die im Rahmen des ACT beschlossen werden, konsequent um."

ACT gilt tatsächlich als seriös. Wir fragen dort an, wie sie in Myanmar arbeiten: Die Antwort: Sie sind gar nicht mehr vor Ort. "Im Dezember 2021 haben wir die Entscheidung getroffen, die ACT-Aktivitäten in Myanmar einzustellen. ACT ist nicht mehr in Myanmar aktiv."

Khaing Zar Aung, Chefin einer der größten Gewerkschaften Myanmars, vertritt zehntausende Näherinnen und Näher. Im europäischen Exil macht sie Druck auf Konzerne, die Produktion in Myanmar zu stoppen. Bei vielen Firmen ohne Erfolg.

O-Ton Khaing Zar Aung, Gewerkschafterin aus Myanmar: "Sie sagen, dass es besser ist, etwas zu haben, als gar keine Arbeit. Aber wir wollen das nicht. 1 Dollar 50 pro Tag, bei Zwangsarbeit und anderen Verstößen, einschließlich Lohnausbeutung. Man kann das in der Bekleidungsindustrie wirklich nicht mehr einen Job nennen. Es ist Sklaverei".

Immerhin - Einige deutsche Konzerne haben auf Khain Zar Aun gehört. Tchibo hat seine Produktion in Myanmar aufgegeben. Die Arbeitsbedingungen vor Ort - unkontrollierbar.

O-Ton Julia Thimm, Tchibo: "Wir haben uns dann entschieden das Land zu verlassen, weil unsere Partnerinnen und Partner die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor Ort massiv verfolgt wurden. Wir konnten deren Sicherheit nicht mehr gewährleisten und wir konnten auch nicht mehr sicherstellen, dass in unseren Fabriken wirklich Menschenrechte und Arbeitsrechte eingehalten werden".

O-Ton Christian Salewski, Reporter: "Wenn selbst große Marken sich aus Myanmar zurückziehen, wie kann es dann sein, dass solche Klamotten immer noch den grünen Knopf bekommen?"

Grünenpolitikerin Renate Künast kritisiert den Grünen Knopf. Das Zertifikat sei gut gemeint gewesen - aber leider nutzlos.

O-Ton Renate Künast, B90/Grüne: "Ich finde, der grüne Knopf verspricht was, was er nicht einhält. Dieser Grüne Knopf hatte immer sehr wenig Kriterien und im Augenblick schafft er sich selber ab, wenn nicht durchgezogen wird. Und durchziehen heißt, die Mindeststandards an den an Grünen Knopf müssen erhalten werden."

Trotz aller Kritik, die Bundesregierung hält am Grünen Knopf fest. Zuständig für das Thema Bärbel Kofler. Staatsekretärin im Entwicklungsministerium. Weltweit im Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen. So zeigt sie sich bei Instagram: Bärbel Kofler, SPD-Bundesentwicklungsministerium: "Ihr wisst ja das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Wir brauchen arbeitnehmerrechtliche Standards und Umweltstandards weltweit, so dass Menschen überall menschenwürdige Arbeit erfahren."

Und die Standards sollen über den Grünen Knopf sichergestellt werden. Hier redet sie auf einer Veranstaltung zu Arbeitsbedingungen in Nähereien. Da sitzt sie. Im Publikum ist auch Kaing Sa Aung - die Gewerkschaftsführerin aus Myanmar. Sie hat eine konkrete Forderung an Bärbel Kofler:

O-Ton Khaing Zar Aung, Gewerkschaftsführerin aus Myanmar: "Ich bitte Sie, dass sie die Modeindustrie auffordern, keine Waren mehr aus Myanmar zu beziehen. Ich fordere die deutsche Regierung auf, dass sie dem, was die EU in Myanmar macht, ein Ende setzt."

Doch was dann passiert, passt nicht zum Bild, der angeblich so engagierten Politikerin. Denn sie sagt zu der Forderung, zu Myanmar - nichts. Auch wir bitten ihr Ministerium um ein Interview. Das sagt ein Interview mit Kofler erst zu, aber dann wieder ab. Deshalb sprechen wir sie nach einer Sitzung im Bundestag an. Wollen wissen: Warum ist der grüne Knopf auf Kleidung aus Myanmar.

O-Töne Panorama: "Norddeutscher Rundfunk, Panorama"

Bärbel Kofler: "Was hab ich damit zu tun?"

Panorama: "Wir hatten ihnen eine Interviewanfrage geschickt."

Bärbel Kofler: "Aber nicht an mich."

Panorama: "Doch."

Bärbel Kofler: "Aber ich kann jetzt nicht! Machen Sie die Kamera aus! Ich habe keine Zeit."

Panorama: "Aber wir dürfen hier drehen."

Mitarbeiterin: "Aber wir haben leider keine Zeit. Ich muss jetzt leider auch weitergehen."

Sprachs und ging. Und die schriftliche Antwort ihres Ministeriums später klingt beinah schon zynisch: "Kein Land ist pauschal frei von Menschenrechtsverstößen. Das gilt natürlich auch für Myanmar." Zwar schreibt das Ministerium Myanmar sei ein Hochrisikoland. Aber: "Jedes Unternehmen, dass in Myanmar einkauft, muss (…) entscheiden, ob (….) eine verantwortungsvolle Weiterführung von Geschäftsbeziehungen möglich ist." (Quelle: Schreiben BMZ)

Wir haben alles versucht um ein Interview mit Lidl zu bekommen.

O-Ton Panorama: "Es geht um eine Interviewanfrage zu Produktionsbedingungen in Myanmar…"

Alle abgelehnt. Dann schicken wir unsere Belege. Und nun eine überraschende Reaktion:  Lidl räumt schriftlich so etwas wie ein Scheitern ein. Schreibt: "Man werde die Produktion in Myanmar stoppen. Wir haben (…) entschieden, (…) uns bis 2025 stufenweise aus dem Markt zurückzuziehen".

Was eine Kehrtwende. Den geschilderten Fällen werde Lidl nachgehen und vorerst keine neuen Aufträge an die Fabrik vergeben. Und der Discounter beteuert, man habe immer nur "positive Veränderungen" gewollt: "Es werden regelmäßig unabhängige Kontrollen über mindestens zwei Tagen vor Ort durchgeführt." Lidl will sich also aus Myanmar zurückziehen. Hilft das den Menschen, die bisher solche Kleidung genäht haben? Sie blicken in Richtung Heimat mit einer klaren Antwort.

O-Ton Kyi Kyi Tun, ehem. Näherin aus Myanmar: "Menschen sterben. Es gibt viele Menschen, die hungern, leiden und fliehen müssen. Es wäre besser, wenn sich alle Modemarken aus Myanmar zurückzuziehen, und helfen das Militärsystem zu beenden."

Beitrag: Karolin Arnold, Johannes Edelhoff, Jennifer Johnston, Milan Panek, Christian Salewski
Kamera: Wanpuech Changtongkam, Carsten Jansen, Florian Kössl, Alex Rott
Schnitt: Marianne Florey, Olaf Hahlbohm

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.12.2023 | 21:45 Uhr