Stand: 01.06.23 06:00 Uhr

Lohndumping: Kein Mindestlohn auf deutschen Fischereischiffen

von Nils Naber und Inge Altemeier

Monatelang durcharbeiten ohne freien Tag und das zu Dumping-Löhnen - der Umgang mit indonesischen Seeleuten auf zwei deutschen Fischereischiffen wirft Fragen auf. Die Kontrollbehörde sieht offenbar kein Problem.

Die Farbe der deutschen Flagge blättert ab, aber sie ist noch gut zu erkennen, oben am Mast des Fischereischiffs "Ortegal Tres", das vor vielen Jahren mal "Nordsee" hieß. Vorne am Bug prangt die Kennung "HF 570", HF steht für Hamburg-Finkenwerder. Nebenan liegt die "Pesorsa Dos", ein weiteres Fischereischiff mit einer HF-Kennung am Bug. Für beide Schiffe ist Hamburg der Heimathafen, sie fahren also unter deutscher Flagge.

Völlig legal? Ausbeutung auf deutschen Fischereischiffen
Auf europäischen Fischereischiffen schuften immer öfter Seeleute aus Asien - ausgebeutet mit unfairen Verträgen.

Anfang Februar liegen die Schiffe vertäut im Hafen von Castletownbere an der irischen Westküste. Die irische Marine hatte sie kurz zuvor im Atlantik festgesetzt, weil sie die europäischen Regeln zum Schutz der Fischbestände nicht eingehalten haben sollen. Mittlerweile laufen deshalb Gerichtsverfahren in Irland.

Kontrolleure entdecken fragwürdige Arbeitsbedingungen

Michael O'Brien © NDR

Gewerkschafter Michael O'Brien glaubt, die indonesischen Seeleute wurden über den Tisch gezogen.

Doch im Zuge der Ermittlungen schauten sich die Iren die Schiffe genauer an. Abgesehen von den spanischen Kapitänen arbeiteten auf ihnen fast ausnahmslos indonesische Besatzungsmitglieder. Und zwar unter fragwürdigen Bedingungen, wie die Ermittler herausfanden.

Denn für die Indonesier an Bord der "Pesorsa Dos" gab es überraschend jeweils zwei Arbeitsverträge. In dem einen Vertrag war für jedes Crew-Mitglied ein Lohn von 2000 Euro und mehr pro Monat vereinbart. Doch der andere Vertrag, "der gegenüber den Indonesiern als der gültige Vertrag bezeichnet wurde, versprach ihnen nur die Hälfte davon", erzählt Michael O’Brien von der Internationalen Seeleute-Gewerkschaft ITF. Er war bei den Kontrollen der irischen Behörden dabei. Er vermutet, dass die unterschiedlichen Verträge existieren, um die Kontrollbehörden zu täuschen.

Mehrere indonesische Besatzungsmitglieder bestätigen gegenüber Panorama, seit Oktober 2022 nach einem Vertrag bezahlt worden zu sein, der ihnen 1.000 bis 1.300 Euro im Monat versprach. Erst nach der Kontrolle in Irland hätten sie für die Monate Januar und Februar 2023 die volle Heuer in Höhe von 2.000 Euro und mehr erhalten, alles in bar. Aber eben nur für diese beiden Monate. Bis heute warten sie auf die volle Heuer, die ihnen für die Arbeit im Jahr 2022 zusteht.

Deutsche Aufsichtsbehörde prüft nur halbherzig

Für Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, ist die Hamburger "Dienststelle Schiffssicherheit" zuständig. Sie kontrollierte vor wenigen Wochen bei den spanischen "Pesorsa Dos"-Eigentümern die Papiere. Und die legten genau die Verträge vor, die zeigen sollten, dass pro Monat 2.000 Euro und mehr an die Besatzungsmitglieder gezahlt worden seien.

Darauf verließ sich die Behörde. "Durch die Barzahlung der Heuern lässt sich im Nachhinein nicht beweiskräftig feststellen, ob tatsächlich die vollen Heuern in bar ausgezahlt wurden oder nicht", räumt sie ein - und bleibt untätig. Mehr könne man nicht machen, schreibt ein Vertreter. Kontakt zu den indonesischen Seeleuten haben die Kontrolleure nie aufgenommen. Wenn etwas schieflaufe, müssten die Indonesier zunächst eine Beschwerde in Hamburg einreichen.

Wer sich beschwert, kommt auf die Blacklist

Drei Fischer auf einem Schiff © Niall Duffy Foto: Niall Duffy

Asiatische Fischer auf europäischen Schiffen: Auf das Geld angewiesen. (Foto: Niall Duffy/The Skipper)

Der pensionierte Gewerkschafter Peter Geitmann kann das schwer nachvollziehen. Bis zu seinem Ruhestand vor wenigen Wochen war er jahrelang bei Verdi für den Bereich Seeschifffahrt zuständig. "Die Seeleute können sich beschweren, aber das werden sie wahrscheinlich nur einmal machen, weil sie dann wohl nie wieder auf das Schiff kommen. Sie kommen dann wahrscheinlich auf eine sogenannte Blacklist, eine schwarze Liste, und werden nicht mehr zum Einsatz gebracht", sagt er. Das, was auf den Schiffen passiert, sei "einfach Ausbeutung, das ist auch menschenverachtend, das muss man so sagen."

Indonesische Besatzungsmitglieder bestätigten Panorama, dass sie auf die Arbeit in europäischen Gewässern angewiesen sind, um ihre Familien versorgen zu können. Sie unterschrieben auch Papiere, die sie nicht verstünden - Hauptsache sie bekämen ihr Geld.

Deutsche Flagge für die Fangrechte

Siegfried Sehmel © NDR

Der ehemalige Kapitän Siegfried Sehmel vertritt die spanischen Eigentümer der "Persosa Dos" in Deutschland.

Die "Pesorsa Dos" gehört zur Lübecker Seamar GmbH, deren spanische Eigentümer in Deutschland vom ehemaligen Kapitän Siegfried Sehmel vertreten werden. Dass den indonesischen Fischern zu geringe Heuern gezahlt wurden, streitet Sehmel ab. Genauso wie das Recht der Indonesier auf Nachzahlungen.

Das Schiff fange schon lange vom spanischen La Coruña aus Fische vor Irland, berichtet Sehmel, liegt also nicht im deutschen Heimathafen Hamburg. Die deutsche Flagge brauche man "hauptsächlich wegen der Quote", also um die deutschen Fangrechte im Atlantik ausfischen zu können. Früher seien die Crew-Mitglieder Spanier und Portugiesen gewesen, doch seit wenigen Jahren komme die Crew hauptsächlich aus Asien. Die spanischen Eigentümer der "Pesorsa Dos" bestätigen diese Darstellung, wollen aber nicht zitiert werden.

Fischer beklagen Dumpinglohn und Akkordarbeit

Das Fischereischiff Ortegal Tres läuft in einen irischen Hafen ein. © NDR

Die "Ortegal Tres" läuft in einen irischen Hafen ein. (Foto: Niall Duffy/The Skipper)

Das zweite deutsche Schiff, die "Ortegal Tres", wurde in den vergangenen Jahren von den irischen Behörden bereits mehrfach festgesetzt. Anfang Februar arbeiteten auch hier fast nur Indonesier an Bord. Und auch hier erheben einige Crew-Mitglieder schwere Vorwürfe: sie berichten, dass sie pro Monat nur 800 Euro erhalten hätten. Von einer in der europäischen Fischerei üblichen Fangbeteiligung ist zwar in Verträgen die Rede, doch dieses zusätzliche Geld hätten sie nie erhalten, berichteten mehrere der Seeleute. Auch Kopien der Verträge haben sie offenbar nicht bekommen. Monatelang hätten sie im Rhythmus zwölf Stunden Arbeit, sechs Stunden Pause gearbeitet - ohne freie Tage. Auch beschimpft worden seien sie an Bord.

Für die zuständige "Dienststelle Schiffssicherheit" in Hamburg ist an der Beschäftigung nichts zu beanstanden. Es lägen tadellose Heuerabrechnungen vor, inklusive Beteiligung an den Fangerlösen für die Indonesier. Ansprechpartner für die Behörde ist dabei die Ortegal Fischerei GmbH in Hamburg-Harburg. Den Fragen von Panorama stellen sich die Verantwortlichen der Firma nicht: Jeder Versuch der Kontaktaufnahme wird abgeblockt, Antworten gibt es keine.

Kein deutscher Mindestlohn auf deutschen Schiffen?

Die Betreiber der beiden deutschen Schiffe können sich bei der Beschäftigung von Nicht-EU-Bürgern zu Dumpinglöhnen offenbar auf das deutsche Recht verlassen. Denn laut Bundearbeitsministerium gilt der deutsche Mindestlohn auf hoher See für sie nicht. Der sei auf Fischereischiffen "nur dann anwendbar, wenn die Tätigkeit im deutschen Küstengewässern und zugleich mit hinreichendem Inlandsbezug erfolgt", teilt das Ministerium mit. Das Schiff unter deutscher Flagge fahren zu lassen, sei noch nicht "Inland" genug.

Für den irischen Gewerkschafter Michael O’Brien ist das unglaublich: "Wir müssen Menschen, die in der Europäischen Union arbeiten, einen europäischen Lohn zahlen und keinen asiatischen Lohn, was hier passiert ist." Irland habe einen Mindestlohn auch für Nicht-EU-Bürger auf Fischereischiffen eingeführt, sagt er. Aus Sicht der Ampel-Regierung scheint in Deutschland allerdings bisher keine Regeländerung notwendig.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.06.2023 | 21:45 Uhr