Stand: 24.02.22 17:00 Uhr

Radikale Corona-Leugner: Waffen aus dem 3D-Drucker

von Julian Feldmann, Nino Seidel, Robert Bongen

Im Juli 2020 präsentiert Joachim T. stolz sein erstes Werk auf seiner Facebook-Seite: Ein kleines, gelbes Boot, ein sogenanntes "Benchy", ein Modell,  das er mit seinem neuen 3D-Drucker angefertigt hat. Als knapp ein Jahr später die Polizei die Wohnung von T. durchsucht, findet sie weitaus weniger harmlose Druckerzeugnisse: Überall Waffenteile und Munition, selbst im Badezimmer Utensilien zum Bau von Schusswaffen. Ein 3D-Drucker war sogar gerade noch im Betrieb. Joachim T. wird festgenommen. Der 37-jährige Mann aus Rheinland-Pfalz hatte sich während der Corona-Pandemie radikalisiert.

Radikale Corona-Leugner: Waffen aus dem 3D-Drucker
Viele, die Straftaten mit Corona-Bezug begehen, sind zuvor polizeilich nicht in Erscheinung getreten - wie Joachim T.

"Die Gesundheit wird politisiert"

Lange hatte er sich in der Ökoszene bewegt, lebte in einer Kommune in Norddeutschland, arbeitete zuletzt als Physiotherapeut. Seinen Job verlor er, weil er sich weigerte, eine Maske zu tragen. T. beteiligt sich an Protestaktionen gegen die Corona-Maßnahmen und ruft in den Sozialen Medien zum Widerstand auf: "Wann beginnst du, dich bewaffnet wehrhaft zu organisieren?".

Im Interview mit STRG_F und Panorama spricht Joachim T. über seine Motive: "Die Gesundheit wird politisiert. Es endet immer in einer Katastrophe, wenn man sich historisch anschaut, was passiert, wenn Politiker einem vorschreiben, was gesund ist und was nicht. Daraus ist für mich die Angst entstanden, also wirklich eine große Angst. Und daraus der Gedanke, sich verteidigen zu müssen. Dadurch bin ich auf Waffenbau gekommen." Er habe sich "eigenbrötlerisch" mit dem Thema beschäftigt, aber auch probiert, Gleichgesinnte zu finden. "Das grobe Szenario für mich damals war, dass es dazu kommen wird, dass im Endeffekt die Grundordnung komplett zusammenbrechen wird", sagte er im Interview.

Längst kein Einzelfall

Oliver Krambrich, Leiter der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes (BKA)  Foto: Montage

Mehr als die Hälfte der Verdächtigen seien den Sicherheitsbehörden zuvor unbekannt gewesen, so Oliver Krambrich, Leiter Staatsschutzabteilung BKA.

Joachim T. war vor der Corona-Pandemie polizeilich nicht aufgefallen. Längst kein Einzelfall, sagt Oliver Krambrich, Leiter der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes (BKA): Mehr als die Hälfte der Verdächtigen in Verfahren wegen politisch motivierter Straftaten mit Corona-Bezug seien den Sicherheitsbehörden zuvor unbekannt gewesen. Das Spektrum der Tatverdächtigen sei sehr heterogen: "Das reicht von der sogenannten bürgerlichen Mitte über Impfgegner, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker bis hin zu Personen und Gruppierungen aus extremistischen Lagern." Man beobachte eine Radikalisierung von Menschen, von denen man es nicht wirklich hätte erwarten können, warnt Krambrich. Für die Ermittlerinnen und Ermittler sei es eine Herausforderung, hier "gezielte Prognosen zu treffen, diese Personen im Blick zu behalten und frühzeitig Erkenntnisse zu gewinnen."

Mindestens 19 Brandanschläge

Brandanschlag auf eine Corona-Teststation  Foto: Montage

Nach Panorama-Recherchen soll bei mindestens 19 Brandanschlägen der Verdacht bestehen, sie könnten von Gegnern der Corona-Maßnahmen verübt worden sein.

Zu politisch motivierten Straftaten mit Corona-Bezug zählen die Behörden neben Sachbeschädigungen und körperlichen Übergriffen auch Brandanschläge. Im Corona-Kontext geht es etwa um Personen, die Impfärzte tätlich angreifen oder Brandanschläge auf Teststationen verüben. Im vergangenen Jahr hat es nach Recherchen von STRG_F und Panorama mindestens 19 solcher Brandanschläge gegeben, bei denen zumindest der Verdacht besteht, sie könnten von Gegnern der Corona-Maßnahmen verübt worden sein. Allein in den ersten Wochen dieses Jahres waren es demnach bereits sechs solcher Brandanschläge, unter anderem auf ein Rathaus, ein Gesundheitsamt und mehrere Corona-Teststationen.

Verstöße gegen das Waffengesetz

Joachim T. wurde wegen Verstößen gegen das Waffengesetz im Januar zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und kam nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft. Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ermittelt weiterhin gegen T. wegen des Verdachts der Bildung einer bewaffneten Gruppe. Es bestehe der Verdacht, dass T. Leute um sich geschart habe, "um die Corona-Maßnahmen zu bekämpfen", so der ermittelnde Staatsanwalt.

Radikalisierung während der Corona-Pandemie

Dirk-Martin Christian, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen  Foto: Montage

Soziale Medien dienten als Brandbeschleuniger für die Radikalisierung, so Dirk-Martin Christian, Präsident des Verfassungsschutzes in Sachsen.

Die rasche Radikalisierung während der Corona-Pandemie - wie im Fall Joachim T. - bereitet den Sicherheitsbehörden Sorgen. "Die Dinge laufen heute im stillen Kämmerlein ab, zu Hause und in den Echokammern der Sozialen Medien. Das sind die Brandbeschleuniger für die Radikalisierung", sagte Dirk-Martin Christian, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen, im Gespräch mit STRG_F und Panorama. Nicht selten gehe es nicht mehr nur um den Protest gegen die Corona-Maßnahmen, sondern um die Ablehnung der Regierung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Täter könnten nur schwer eingegrenzt werden, außerdem sei die Zündschnur kürzer geworden. "Wir erleben Menschen, die diesen Staat nicht nur ablehnen, sondern diesen Staat überwinden wollen, obwohl sie keine Rechts- oder Linksextremisten sind, sondern bisher ideologisch überhaupt nicht festgelegt waren." Die gemeinsame Klammer dieser potenziellen Täter sei "das extremistische Gedankengut, also die Absicht, diesen Staat zu stürzen", betonte Christian.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.02.2022 | 21:45 Uhr