Stand: 05.05.22 16:00 Uhr

Adidas, Hugo Boss, Puma: Baumwolle aus Zwangsarbeit?

von Manuel Daubenberger, Florian Guckelsberger, Katharina Schiele

Kann es sein, dass große deutsche Modemarken Baumwolle aus Zwangsarbeit beziehen? In der Vergangenheit haben sie das oft abgestritten, aber gemeinsam mit STRG_F wollte Panorama das überprüfen. Genauer gesagt geht es um Zwangsarbeit in Xinjiang, einer Region im äußersten Südwesten Chinas.

Mode-Labels: Baumwolle aus Zwangsarbeit?
Adidas, Hugo Boss und Puma verkaufen offenbar Produkte, die umstrittene Baumwolle aus Xinjiang enthalten.

Weltweit bekannt wurde die Region in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Berichte über die systematische Unterdrückung ethnischer Minderheiten, insbesondere der Uiguren. Was sehr viel weniger bekannt ist: Xinjiang ist eines der Hauptanbaugebiete für Baumwolle. So stammen knapp 90 Prozent der chinesischen Baumwolle von dort, das sind rund ein Fünftel des weltweiten Baumwollangebots. 

Dass diese Baumwolle zumindest in Teilen von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen geerntet und weiterverarbeitet wird, davon gehen offensichtlich auch große deutsche Modemarken aus. So erklärt Hugo Boss: "Wir sind nicht nur für unsere Produkte verantwortlich, sondern auch für die Menschen, die sie machen. (…) Bisher hat Hugo Boss keine Waren mit Ursprung in der Region Xinjiang von direkten Lieferanten bezogen."

Der Sportartikelhersteller Puma schreibt: "Schon lange ist es bei Puma die Praxis, unsere Lieferkette durchgängig und rigoros zu überwachen und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten. (…) Puma hat keine direkten oder indirekten Geschäftsbeziehungen mit irgendeinem Hersteller aus Xinjiang."

Und auch Adidas erklärt: "Adidas hat nie Waren in Xinjiang hergestellt und unterhält keine Vertragsbeziehungen mit einem Lieferanten aus Xinjiang."

Auf der Spur der Baumwolle

Markus Boner, Agroisolab © NDR / ZEIT / FLIP

Markus Boner vom Agroisolab kann mittels Isotopenanalyse herausfinden, ob die Baumwolle unserer T-Shirts und Hemden aus Xinjiang stammt.

Doch wir wollten wissen: Stimmt das? Verwenden große Modelabels wirklich keine Baumwolle aus der Region Xinjiang? Um das herauszufinden, arbeiten wir in Kooperation mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des Agroisolabs in Jülich. Sie verwenden zum Nachweis, woher Baumwolle kommt, eine Methode, die sich "Isotopenanalyse" nennt. Markus Boner vom Agroisolab erklärt: "Die Natur hat in der Baumwolle eine Signatur hinterlassen, die ist zum Beispiel bedingt durch das Klima und die Geologie eines Ortes. Diese Signatur ist wie eine Art isotopischer Fingerabdruck, und den müssen wir suchen. Dann können wir entsprechend Baumwolle herkunftsmäßig zuzuordnen."  

Durch die Isotopenanalyse lässt sich anhand von Baumwollproben aus der Region gewissermaßen ein "Fingerabdruck" generieren, mit dem man dann die Baumwolle aus beispielsweise einem T-Shirt abgleichen kann. Um diesen "Fingerabdruck" zu erhalten, beschaffen wir vier Baumwollproben aus der Region Xinjiang. Wir haben Herkunftsnachweise, und die Laboruntersuchung ergibt, dass sie aus derselben Region stammen und sich eindeutig von Proben aus anderen Regionen unterscheiden. Im Abgleich mit diesem "Fingerabdruck" können wir in einem nächsten Schritt nun Kleidung testen.

T-Shirts und Hemden großer deutscher Hersteller wie Adidas, Puma und Hugo Boss © NDR / ZEIT / FLIP

T-Shirts und Hemden von Adidas, Puma und Hugo Boss. In den Kleidungsstücken von allen drei Konzernen ist offenbar Baumwolle aus Xinjiang.

Wir besorgen T-Shirts, Hemden und Pullover großer deutscher Hersteller, um zu untersuchen, ob die Baumwolle darin aus Xinjiang stammt. Diese Kleidungsstücke (von Adidas, Puma und Hugo Boss) lassen wir ebenfalls in Jülich untersuchen. Es dauert einige Wochen, bis wir erfahren, ob darin Baumwolle aus Xinjiang identifiziert werden kann.

Systematische Unterdrückung in Xinjiang

Wie verbreitet ist Zwangsarbeit in Xinjiang? Wie ausgeprägt die Unterdrückung der ethnischen und religiösen Minderheiten wie z.B. der überwiegend muslimischen Uiguren und Kasachen? Vor Ort können wir das nicht überprüfen, denn die chinesische Regierung riegelt die Region ab, lässt uns nicht einreisen. Doch wir bekommen Einblicke in das System der Unterdrückung durch Menschen, die ihm entkommen sind. Menschen wie Erbaqyt Otarbai. Er ist aufgewachsen in Xinjiang und hat nun Asyl in England.

Er berichtet uns, wie er inhaftiert wurde, weil er den Chatdienst Whatsapp auf seinem Handy hatte und darin Nachrichten zu finden waren, in denen andere ihn dazu aufforderten, täglich zu beten. Die Gefängniszellen seien extrem überbelegt gewesen, monatelang habe er Hand- und Fußfesseln tragen müssen. Er berichtet von Schlägen und anderen Misshandlungen. Vom Gefängnis wurde er dann in ein Lager gebracht. Dort seien die Bedingungen besser gewesen, aber er sei gezwungen worden, Kleidung zu nähen: "Wenn ich mich geweigert hätte zu arbeiten, hätte ich wieder ins Gefängnis müssen. Ich wollte auf gar keinen Fall wieder dorthin zurück." Keine wirkliche Wahl und keine Bezahlung - so wird Zwangsarbeit definiert.

Erbaqyt Otarbai ist in Xinjiang aufgewachsen und lebt nun in England © NDR / ZEIT / FLIP

Erbaqyt Otarbai stammt aus Xinjiang. Er wurde inhaftiert und berichtet von Misshandlungen. Und er soll gezwungen worden sein Kleidungsstücke zu nähen.

China streitet diese Vorwürfe der Zwangsarbeit ab, bezeichnet sie als Lüge - obwohl es hunderte Augenzeugenberichte und Erkenntnisse aus offiziellen Dokumenten gibt. Im April 2022 unterschreibt China sogar demonstrativ die UN-Konvention gegen Zwangsarbeit.

Analysen zeigen: Baumwolle aus Xinjiang

Das Ergebnis unserer Isotopenanalyse bekommen wir Ende April: Und tatsächlich scheinen Adidas, Puma und Hugo Boss gegen ihre Zusagen zu verstoßen, nicht aus Xinjiang zu importieren. Das Labor konnte nachweisen, dass die "Fingerabdrücke" der Baumwolle in den Kleidungsstücken eine hohe Ähnlichkeit zu den Baumwollproben aus Xinjiang aufweisen und sich deutlich von anderen Baumwollanbauregionen unterscheiden lässt. Das heißt in Kleidungsstücken von allen drei Konzernen ist offenbar Baumwolle aus Xinjiang.

Baumwollernte in China © NDR / ZEIT / FLIP

Etwa ein Fünftel des weltweiten Baumwollangebots stammt aus Xinjiang in China.

Diese Befunde hätten wir gern mit den Herstellern diskutiert, aber wir versuchen seit langem vergeblich, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auf unsere schriftliche Nachfrage erklären Puma und Adidas, dass in ihren Produkten keine Baumwolle aus Xinjiang sei. Puma schreibt uns: "Auf Basis aller gesammelten Informationen, die wir eingeholt haben, und Rückverfolgung sowie Kontrollen, die wir etabliert haben, können wir sagen, dass in unseren Produkten keine Baumwolle aus Xinjiang verwendet wird."

Hugo Boss verweist allgemein darauf, "dass die Wahrung der Menschenrechte in den komplexen globalen Lieferketten für Hugo Boss höchste Priorität hat" und dementsprechend keinerlei Zwangs- oder Pflichtarbeit toleriert werde. Auch Adidas behauptet weiterhin, nur Baumwolle aus anderen Anbaugebieten zu beziehen.

Wissen die Firmenzentralen tatsächlich nichts davon weiß, dass Baumwolle aus der uigurischen Region Xinjiang in ihren Produkten ist, oder wollen sie es nicht wissen? Auch das hätten wir gerne mit den Verantwortlichen besprochen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.05.2022 | 21:45 Uhr