Stand: 11.11.21 10:31 Uhr

PR-Mogelpackung: Bäume pflanzen fürs Klima

von Désirée Marie Fehringer & Zita Zengerling

Große Unternehmen, kleine Start-Ups, Influencer*innen und Politiker*innen versprechen, die Welt zu retten oder sie zumindest ein bisschen besser zu machen - mit dem Pflanzen von Bäumen. Das Geschäft mit den Klimawäldern ist riesig. Firmenchef*innen und Regierungsvertreter*innen lassen sich gerne beim Bäumepflanzen ablichten, schließlich zeigt das vermeintlich, wie sehr ihnen die Zukunft des Planeten am Herzen liegt. Auch Unternehmen haben sich das Pflanzen auf die Werbeplakate geschrieben. So beispielsweise, wenn für Schokolade oder Schuhe ein Baum in der Ferne mitfinanziert wird, um so die Klimabilanz der gekauften Produkte auszugleichen. Durch den eigenen Konsum möglichst viele neue Bäume pflanzen und dadurch den Klimawandel verlangsamen oder sogar aufhalten - klingt in der Theorie gut. Doch wirkt sich Aufforstung auch in der Praxis positiv aufs Klima aus oder bringen neugepflanzte Bäume in Wirklichkeit nur wenig?

PR-Mogelpackung: Bäume pflanzen fürs Klima
Aufforstung gilt als wichtige Waffe im Kampf gegen den Klimawandel. Aber mit Bäumen wird auch Werbung gemacht, um den Konsum anzukurbeln. Hilft das dem Klima wirklich?

Wir haben uns monatelang Werbe- und Nachhaltigkeitsversprechen angeschaut, haben die Sinnhaftigkeit des Bäumepflanzens unter die Lupe genommen und sind den Werbeversprechen bis nach Madagaskar gefolgt.

Was Bäume fürs Klima bewirken können - eine Kalkulation

Laut Berechnungen der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft hat eine 23 Meter hohe Buche mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern in ihrem Leben etwa eine Tonne CO2 gespeichert. Zum Vergleich: Ein Mensch verursacht in einem Jahr etwa neun Tonnen CO2-Emissionen. Um den Kohlendioxid-Ausstoß, den ein Mensch innerhalb eines Jahres verursacht, zu neutralisieren, wäre nach dieser Kalkulation also die Lebensleistung von neun riesigen Buchen notwendig, die nicht abgeholzt werden.

Bäume pflanzen gegen den Klimawandel? "Zielloses" Pflanzen nicht der beste Weg

Unsere Bäume und Wälder sind für das Klima essentiell, denn sie nehmen das Treibhausgas CO2 auf und setzen Sauerstoff frei. Je mehr Bäume es gibt, desto mehr Kohlenstoff kann folglich gebunden werden. Und intakte Wälder helfen nicht nur dem Klima, sondern sind auch der Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten und tragen so zu einer gesunden Artenvielfalt bei. Viele Expert*innen halten Aufforstung durch "zielloses" Pflanzen neuer Bäume allerdings nicht für den besten Weg, um den Klimawandel zu stoppen. Deshalb haben auch nicht alle Umweltschutzorganisationen Aufforstungsprojekte in ihrem Programm.

Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von "Atmosfair" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von "Atmosfair".

Wir sprechen für unsere Recherche unter anderem mit dem Kompensationsunternehmen "Atmosfair". Auch sie sehen den Baum-Hype kritisch und haben sich komplett gegen Baumprojekte entschieden. Bei der NGO kann man nur Projekte finanziell unterstützen, bei denen das CO2 bereits eingespart wurde, etwa durch den Umstieg auf erneuerbare Energien.

"Denn selbst wenn sie alle freien Flächen auf unserem Planeten heute mit Bäumen bepflanzen würden, würde das vielleicht zwanzig Prozent des Klimaproblems lösen. Aber dafür müssten die Bäume dann auch bis zum Ende des Jahrhunderts stehen. Und das ist das Problem. Bäume pflanzen ist gut, aber nicht für den CO2-Ausgleich. Dazu müssten Sie ja sicher sein, dass der Wald auch mindestens fünfzig Jahre stehen bleibt. Und das kann niemand garantieren", kritisiert Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von "Atmosfair".

Große Zahlen, riesige Versprechen…

Waldbrand © NDR/ARD Foto: Screenshot

Durch Waldbrände gelangt eine Großteil des in den Bäumen gebundenen Kohlenstoffs zurück in die Atmosphäre.

Wir merken während unserer Recherche: Das Baum-Geschäft lebt von großen Zahlen, imposanten Werbevideos und riesigen Versprechen. Um die Werbeversprechen genauer unter die Lupe zu nehmen, besuchte eine Kollegin 2020 zwei Anpflanzungsflächen eines großen Aufforstungsanbieters in Madagaskar. Zwar hört sie dort von guten Arbeitsbedingungen und geregeltem Einkommen der Mitarbeiter*innen, doch sie erfährt auch von Problemen: Wirbelstürme, Zyklone, würden immer wieder junge Mangrovenwälder zerstören, die Bäume seien teilweise krank, blühten nicht, wie sie sollen. Der Anbieter widerspricht, man sehe keine große Gefahr. Was vor Ort jedoch nicht abschließend geklärt werden kann ist, wie viele von den Millionen gepflanzten Mangroven-Setzlingen fürs Klima hier in Madagaskar am Ende tatsächlich überleben und groß werden.

Stürme, Schädlinge und Brände vernichten Wälder

Auch Schädlinge oder Waldbrände können weltweit zu einer großen Gefahr für Wälder werden. Bei den verheerenden Bränden an der US-Westküste im Sommer 2020 brannte beispielsweise ein Waldstück ab, dessen Bäume zuvor extra zum Ausgleich von CO2-Emissionen verkauft worden waren. Der Großteil des in den Bäumen gebundenen Kohlenstoffs gelangte dadurch zurück in die Atmosphäre. Der Klimaausgleich war damit nichtig. Auch die von uns angefragten Pflanzorganisationen wie beispielsweise die "Eden Reforestation Projects" wollen auch aus diesen Gründen keine Garantie für das langfristige Überleben ihrer Bäume aussprechen, dafür gäbe es zu viele unkontrollierbare Einflüsse.

Carsten Warnecke vom NewClimate Institute © NDR/ARD Foto: Screenshot

Carsten Warnecke vom NewClimate Institute.

Nichtsdestotrotz dienen Bäume der Artenvielfalt, sorgen für saubere Luft und Trinkwasser. Pflanzen kann also sinnvoll sein, aber eben nicht zum Ausgleich von Konsum und Klimasünden. "Ich will Bäume pflanzen nicht schlecht reden, wir brauchen Bäume und Wälder. Aber wir sollten das Pflanzen nicht als Begründung nutzen, um weiter fossile Energieträger zu verbrennen", sagt Carsten Warnecke vom NewClimate Institute.

Aufforstung nur zweite Wahl, CO2-Vermeidung muss oberstes Ziel bleiben

Pflanzungen sind ein Weg, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. Was jedoch noch schneller und besser hilft und langfristig nachhaltiger ist: Bestehende Wälder schützen und stärker gegen Abholzung vorgehen. Denn besser als jeder neugepflanzte Baum ist der Baum, der langfristig erhalten wird. Bäumepflanzen fürs Klima ist dann sinnvoll, wenn gleichzeitig der Schutz bestehender Wälder vorangetrieben wird und wir Aufforstung nicht als Freifahrt-Schein begreifen, weiter zu konsumieren und viel CO2 auszustoßen. Die Vermeidung von Emissionen, etwa durch weniger Flüge, den Einsatz von erneuerbaren Energien oder weniger Fleischkonsum, muss weiterhin oberste Priorität haben. Denn ein winziger Baum-Setzling, den wir bei unserem Schokoladen-Kauf mitfinanzieren, ist eine günstige Werbemaßnahme, doch Konsum für Klimaschutz ist am Ende ein Trugschluss. Denn Konsum hat Folgen, und an den eigenen Klimasünden kann auch kein Baum-Setzling etwas ändern.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.11.2021 | 21:45 Uhr