Stand: 23.01.20 06:00 Uhr

EU-Politik: Weniger Flüchtlinge hier, mehr Leid in Libyen

von Stefan Buchen, Johannes Edelhoff, Nadia Kailouli, Jonas Schreijäg

Das von der EU mit finanzierte Auffanglager für Flüchtlinge in der libyschen Hauptstadt Tripolis ist in desolatem Zustand. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) betreibt die Unterkunft und gibt zu, die Lage sei außer Kontrolle geraten. "Wir sind nicht länger in der Lage, minimale Sicherheitsstandards für die Flüchtlinge zu garantieren", bestätigt der UNHCR-Sprecher für Libyen, Charlie Yaxley, gegenüber Panorama. Flüchtlinge aus dem Camp berichten, dass viele dort an Krankheiten leiden und medizinisch schlecht versorgt werden. Es fehle in der so genannten "Gathering and Departure Facility" (GDF) an Essen und einfachen Hygieneartikeln wie Seife. Das Lager wird in Kooperation mit der libyschen Regierung betrieben.

EU-Politik: Weniger Flüchtlinge hier, mehr Leid in Libyen
Ein EU-finanziertes Auffanglager in Libyen sollte eine "Alternative" zu den libyschen Haft -und Folterlagern für Flüchtlinge werden. Doch die Zustände dort sind desolat.

Das mit EU-Geldern finanzierte Lager in Tripolis wurde im Dezember 2018 eröffnet und ist Teil eines EU-Deals mit dem Regime in Libyen. Ziel des Lagers war es, Flüchtlinge von dort aus auf geordnetem Weg nach Europa oder in ihre Herkunftsländer zu verteilen.

EU und UNHCR hatten große Hoffnungen in das Lager gesteckt.  Es sollte eine "Alternative" zu den libyschen Haftlagern sein, in denen Flüchtlinge nach übereinstimmenden Berichten regelmäßig gefoltert werden.

Überfüllung: Desolate Zustände im Auffanglager

Charlie Yaxley, UNHCR-Sprecher für Libyen © NDR

Man sei nicht mehr in der Lage, minimale Sicherheitsstandards für die Flüchtlinge zu garantieren, erklärt Charlie Yaxley, UNHCR-Sprecher für Libyen, gegenüber Panorama.

Panorama ist es gelungen, Kontakt zu mehreren Flüchtlingen aus dem Lager aufzunehmen. Die Reporter konnten verifizieren, dass sich die Flüchtlinge tatsächlich in der Unterkunft in Tripolis aufhalten. Auf Videos von ihnen sind verdreckte Toiletten und Duschen zu sehen, außerdem berichten sie von menschenunwürdigen Zuständen. Im Interview sagt ein Flüchtling aus dem Sudan: "Wenn es Essen gibt, kommt es zu Gedränge. Wer zu spät kommt, geht leer aus. Viele Leute haben solche Magenprobleme, dass sie gar nicht mehr essen können." Aus Angst vor Repressionen will er nicht, dass sein Name genannt wird. Sobald er etwas Geld hätte, würde er sich ein Stück Seife kaufen. Und er berichtet, dass immer wieder Kriminelle ins Lager kämen, um andere Flüchtlinge als Prostituierte oder Drogenhändler anzuwerben.

Das Lager sei überfüllt, weil man auch Flüchtlinge aus den Haftlagern des libyschen Staates aufgenommen habe, sagt UNHCR-Sprecher Yaxley. Das war unter anderem nötig geworden, weil ein von der libyschen Regierung geführtes Lager bombardiert worden war. Bei dem Angriff im Juni 2019 starben mindestens 50 Menschen. Die Überlebenden wurden in eben dieses EU-kofinanzierte Lager gebracht. In einem anderen libyschen Lager waren die Nahrungsmittel ausgegangen - die Flüchtlinge suchten daraufhin Schutz im Lager.

Jetzt versucht das UNHCR wegen der Überfüllung, Flüchtlinge aus dem Lager zu vertreiben. Das Essen soll an bestimmte Flüchtlinge nicht mehr ausgegeben werden. Stattdessen wird den unerwünschten Flüchtlingen ein sogenanntes "Hilfspaket" angeboten, es beinhaltet vor allem eine kleine Summe Bargeld, etwa 280 Euro, die derjenige erhält, der das Lager verlässt.

Libyen-Strategie der EU gescheitert

Experten gilt diese Maßnahme als Offenbarungseid, denn in Libyen herrscht Bürgerkrieg. Flüchtlinge, die allein auf der Straße unterwegs sind, können jederzeit inhaftiert werden, und ihnen droht Folter und Erpressung. "Rund um die Uhr hört man Maschinengewehre und Bomben", berichtet der Flüchtling aus dem von der EU mit finanzierten Lager: "In der Stadt habe ich Angst, festgenommen zu werden. Das ist das allerschlimmste. Da schlagen sie dich." Deshalb wolle er das Hilfspaket nicht annehmen. UNHCR-Sprecher Charlie Yaxley sagt, er verstehe den Frust der Flüchtlinge, aber es gebe keine Alternative, als das überfüllte Lager teilweise zu räumen.

Die Libyen-Strategie der EU und auch der Bundesregierung ist damit gescheitert. Bislang hat die EU mehr als 320 Millionen Euro nach Libyen geschickt. Um Flüchtlinge aufzuhalten, hat man auf eine Kooperation mit einem Regime gesetzt, das Menschenrechte regelmäßig verletzt, wie die EU selbst weiß. Die libysche Regierung unternehme "keinerlei Schritte", um gegen die Folter in den Lagern vorzugehen, heißt es in einem geheimen Papier des Rates der Europäischen Union. Wohl auch weil libysche Regierungsmitglieder selbst darin verwickelt sein könnten.

Zusammenarbeit mit libyscher Küstenwache geht wohl weiter

Werbefoto des UNO-Flüchtlingshilfswerks für das Lager in Tripolis © NDR

Vor gut einem Jahr wurde das Lager noch so präsentiert, mittlerweile sind Zustände desolat.

Der EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagt: "Wir unterstützen alle UN-Organisationen, die sich für die Migranten in Libyen einsetzen, mit finanziellen Mitteln." Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärt: "Es wird dort anscheinend zu wenig Geld bereitgestellt, um die Flüchtlinge vernünftig zu versorgen." Entscheidend sei aber zunächst Stabilität in Libyen zu schaffen. Der auf der Berliner Libyen-Konferenz eingeleitete "Berliner Prozess" sei dafür ein erster Schritt.

Solange Flüchtlingen in Libyen Folter droht, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amesty International oder die Diakonie Deutschland, dass die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache beendet wird, da die Menschen zurück in die Lager bringt. Stattdessen solle die EU wieder selbst Flüchtlinge in Seenot aus dem Mittelmeer retten. Eine Sprecherin des Auswärtiges Amtes sagte auf Nachfrage von Panorama: "Die Ausbildung der libyschen Küstenwache ist in unser aller Interesse." Man habe immer wieder vorgetragen, wie wichtig die Einhaltung der Menschenrechte seien. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu beenden ist demnach nicht geplant.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.01.2020 | 21:45 Uhr