Stand: 15.10.20 12:00 Uhr

EU: Pässe gegen Geld

von Johannes Edelhoff

Die Sonne versinkt bereits langsam im Meer, der Pool glitzert und der Immobilienmakler Floros Flourentzou von der Giovani Group preist die Vorzüge der 3,8 Millionen Euro teuren Villa im Neubauprojekt "Sun City" auf Zypern. "Es ist ein unverbauter Blick aufs Meer, direkter Zugang." Die Villa habe ein reicher Käufer aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gekauft. Das Besondere: Zur Villa hat er einen zyprischen Pass bekommen. Und damit einen direkten Zugang nicht nur zum Mittelmeer, sondern auch zur Staatsbürgerschaft in einem EU-Staat.

EU: Pässe gegen Geld
Recherchen zum Passhandel haben in Zypern einen Skandal ausgelöst: Politiker treten zurück, der Passhandel wird eingestellt. Nun prüft die EU Maßnahmen gegen das Land.

"Citizenship by Investment": Pass zur Immobilie

Der Immobilien-Deal mit Bonus-Pass ist Teil eines zyprischen Programms für Investitionen durch Ausländer. Wer mehr als zwei Millionen Euro in Immobilien investiert, bekommt einen zyprischen Pass dazu. Damit wird ein Käufer Europäer und kann sich überall in der Europäischen Union niederlassen und dort Geschäfte machen. Mehr als acht Milliarden Euro Investitionen wurden so allein in Zypern eingenommen.

"Sun City" auf Zypern © NDR Foto: Screenshot

"Sun City": Direkter Zugang zum Meer - und beim Kauf einer Immobilie auch zur Staatsbürgerschaft des EU-Staats Zypern.

Die Staatsbürgerschaft, eigentlich die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, mit der Rechte und Pflichten einhergehen, ist so zur schnöden Ware für Wohlbetuchte geworden, seit immer mehr Länder sogenannte "Citizenship by Investment"-Programme auflegen. Der Deal läuft immer ähnlich ab: Ein Investor steckt einen Haufen Geld in Immobilien, Firmen oder Staatsanleihen und erhält dafür einen Aufenthaltstitel und nach einer gewissen Zeit den Pass des Landes. Auf Zypern muss man zwei Millionen Euro investieren, auf Malta 1,15 Millionen, in Bulgarien eine Million. Zwölf Europäische Staaten haben solche oder ähnliche Programme. Auch EU-Beitrittskandidaten wie Montenegro vergeben Pässe an Investoren.

"Mit den Pässen kommt auch kriminelles Geld"

Doch die Europäische Union sieht die Passprogramme zunehmend kritisch. Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold sagt: "Ein zypriotischer Pass ist eine Eintrittskarte in den Binnenmarkt. Wenn Sie einen solchen Pass besitzen, können Sie frei und ohne zusätzliche Kontrollen durch die Banken relativ einfach Geschäfte im gesamten Binnenmarkt machen. Es besteht die Gefahr, dass mit den Pässen auch kriminelles Geld kommt."

Sven Giegold, Europaabgeordneter Grüne © NDR Foto: Screenshot

Sieht der Passhandel kritisch: Sven Giegold, Europaabgeordneter Grüne.

So heißt es in einem EU-Bericht, die Programme brächten Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung nach Europa. Denn es würde nicht hinreichend überprüft, wer so alles einen Pass bekomme. Ursula von der Leyen erklärte unlängst, die Europäischen Werte und Pässe dürften nicht verkauft werden. Sie fordert, dass die Programme eingestellt werden. Aber ist es Sache der Nationalstaaten, wer einen Pass bekommt. Und Malta und Zypern verteidigten sich: Jeder Bewerber werde überprüft. Kriminelle hätten keine Chance.

Rechnungshof kritisiert: Kaum Überprüfungen, "Machtmissbrauch"

Recherchen von Panorama und eine aktuelle Dokumentation von Al Jazeera Investigativ zeigen aber, dass die strengen Regeln und Überprüfungen wohl nicht mehr angewendet werden. In einem Interview mit Panorama kritisiert der Rechnungshof von Zypern die eigene Regierung. Selbst Bewerber, die von Interpol gesucht worden sind oder auf der EU-Sanktionsliste stehen, hätten einen Pass bekommen. Das hat eine Prüfung des Rechnungshofs ergeben, der auch kritisiert, dass die Regierung sich nicht immer an die selbstauferlegten Regeln halte. Dies sehe nach einem "Machtmissbrauch" aus.

Der Sender Al Jazeera hat kürzlich in einer aufwendigen Recherche herausgefunden, dass zyprische Politiker bis in die höchsten Regierungskreise in den Passhandel verstrickt sind und sich offenbar persönlich für Kriminelle einsetzen. Die Reporter gaben sich als Mittelsmänner für einen korrupten Chinesen aus, der einen sauberen europäischen Pass benötige. In seiner Heimat sei er wegen Geldwäsche und Bestechung verurteilt worden. So jemand darf laut Gesetz eigentlich keinen Pass in Zypern bekommen. Doch ein Passhändler bot den Reportern sogar an, dem Chinesen eine komplett neue Identität zu geben. "Ich kann seinen Namen ändern lassen." Damit könne der Chinese unerkannt weiter durch die Welt reisen. "Wirklich? Das können Sie?", fragten die Reporter. "Natürlich, das ist Zypern", antwortet der Passhändler lachend.

Recherchen mit Konsequenzen: Passprogramm wird eingestellt

Demetris Syllouris, Politiker aus Zypern © Al Jazeera Investigativ Unit

Ist nach der Veröffentlichung zurückgetreten: Demetris Syllouris, zypriotischer Politiker.

Demetris Syllouris, ein ranghoher Politiker in Zypern, versprach den Reportern Unterstützung auf "allen Ebenen". "Ich werde den zuständigen Innenminister persönlich in mein Büro rufen", erklärt er. Dann werde man zu 99 Prozent eine Lösung finden.

Die gezeigten Akteure wiesen nach der Veröffentlichung erst alle Anschuldigungen zurück. Die Recherchen lösten aber auf Zypern eine große Diskussion aus. Syllouris ist mittlerweile zurückgetreten. Das Passprogramm wird zum 1. November eingestellt. Der Besitzer der Giovani Group, der ebenfalls als Politiker aktiv ist, trat von seinem Amt zurück. Die EU prüft, ob ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Zypern eingeleitet wird. Die anderen Passprogramme in Europa laufen derweil weiter.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.10.2020 | 21:45 Uhr