Stand: 09.08.18 15:45 Uhr

Traumsommer oder Klimakatastrophe?

von Stefan Buchen, Djamila Benkhelouf, Johannes Jolmes

Die Hitze ist politisch. Das mag klingen wie eine Persiflage auf die Diskurskultur der frühen Siebziger. In Wahrheit ist es eine These von Panorama aus dem Sommer 2018. 

Wir waren am Timmendorfer Strand. Ein Badegast hat uns gesagt, der vergangene Sommer sei ja so verregnet gewesen. "Deshalb wollen wir jetzt das Traumwetter genießen." Die Argumentation scheint uns verständlich. Diesem Reflex folgen wir ja alle irgendwie. Aber selbst in der Genusszone des Ostseestrandes werden manche Urlauber von dem dumpfen Gefühl geplagt, die Hitze könne etwas mit der von den Menschen verursachten Erwärmung der Erdatmosphäre zu tun haben. "Man hofft irgendwie, dass es nicht so ist", meint eine junge Frau im Bikini und wünscht sich, dass Wetter möge jetzt "nicht ständig" so heiß sein.

Traumsommer oder Klimakatastrophe?
Jeden Tag Sonnenschein und Temperaturen jenseits der 30 Grad - viele genossen in den vergangenen Wochen den "Traumsommer 2018". Doch ein dumpfes Gefühl bleibt ...

"Klimawandel ist lebensgefährlich"

Timmendorfer Strand © NDR Foto: Screenshot

Am Timmendorfer Strand kühlten sich zahlreiche Badegäste im Wasser ab.

"Offensichtlich und eindeutig" sei der Zusammenhang zwischen dem "Traumsommer 2018" und der globalen Erwärmung, meint Juli. Die junge Frau verbringt den Sommer im Wald. Ob es auch ein bisschen Urlaub ist, wissen wir nicht genau. Ganz sicher stellt der Aufenthalt in dem Wald westlich von Köln einen politischen Protest gegen weiteren Braunkohleabbau dar. "Wir sind hier, um ein Zeichen zu setzen, dass der Klimawandel lebensgefährlich ist", erklärt Julis Mitstreiterin Noah. Es sind nicht ihre wahren Namen. Die beiden Aktivistinnen zeigen auch nicht ihr Gesicht. Sie wissen, dass sie im Visier der Polizei sind. "Bei der letzten Durchsuchung hatten die Polizisten Fotos dabei zum Abgleich mit den Leuten, die hier sind", erzählt Noah. "Unsere Aktivitäten werden als Terrorismus ausgelegt."

Zwei vermummte Frauen im Wald © NDR Foto: Screenshot

"Juli" und "Noah" besetzen im Hambacher Forst Bäume, um sie vor der Rodung zu bewahren.

Die beiden jungen Frauen "wohnen" im Hambacher Forst. Besser gesagt: in dem, was davon übrig geblieben ist. Der Energiekonzern RWE hat hier bereits mehr als 80 Prozent des Naturwaldes gefällt. Darunter ruht Braunkohle. Nach dem Willen des Großunternehmens, der nordrhein-westfälischen Landesregierung und auch der Bundesregierung soll die Braunkohle nicht im Boden bleiben. Deshalb muss der Wald darüber weg. Im Herbst sollen die Bäume gerodet werden. Die Aktivisten im Hambacher Forst wollen das verhindern. Sie haben sich Baumhütten in bis zu 15 Metern Höhe gebaut, um ihre Vertreibung zu erschweren.

Was tun gegen die Erderwärmung?

"RWE und die Kohleförderung sind maßgeblich am Klimawandel beteiligt. Der CO2-Ausstoß, den die produzieren, erwärmt unsere Erde. Wir wollen, dass das aufhört", bekräftigt Noah. Sich an den Strand legen und das "Traumwetter" genießen, das bringe sie nicht mehr übers Herz. "Auch ich mag Erfrischung", sagt sie. "Aber ich kann es einfach nicht mehr. Wenn ich zwischen all den Menschen sitze oder liege, die alle denken: '30 Grad, schön, ich kann schwimmen gehen.' Ich freue mich auch drüber, dass ich schwimmen gehen kann. Aber ich sehe auch das Drumherum."

"Verurteilen" wolle sie die Sonnenanbeter vom Strand nicht. "Es macht mich eher traurig." - "Es wird zu wenig darüber nachgedacht, warum es so heiß ist", pflichtet ihre Freundin Juli bei. Regierungen und Konzerne wollten, dass alles so weiter laufe wie bisher. Ihre Gruppe wolle klar machen, dass es "nicht normal" ist, wenn der Braunkohletagebau aus Profitgier noch Jahre fortgesetzt werde. "Natürlich kann nicht jeder in den Wald ziehen. Natürlich kann nicht jeder Bäume besetzen, und sich so gegen den Klimawandel stellen", erkennt Braunkohlegegnerin Noah an.

Tatsache ist, dass die Menschen gelernt haben, sich in ihren Widersprüchen zum Klimathema irgendwie einzurichten. Alle wissen, dass besonders Fleischkonsum, Autofahren mit Benzin- oder Dieselantrieb, Heizen mit Kohlestrom, Flug- und Kreuzfahrtreisen das Klima aufheizen. Aber man macht es trotzdem. Und die Politiker aller Parteien haben Angst, wirkliche Veränderungen anzustoßen. Angst vorm Wähler.

Mit dem Spritfresser zum Bioladen

Autos vor einem Geschäft © NDR Foto: Screenshot

Klimatisiert und mit hohem Verbrauch: SUV's haben selten ein Bio-Siegel. Die Produkte im Ökoladen schon.

Der widerspruchsvolle Alltag im Klimawandel lässt sich etwa rund um einen "Hofladen" in Tangstedt nördlich von Hamburg beobachten. Das Lebensmittelgeschäft bietet überwiegend regionale Bioprodukte an: Möhren, rote Beete und mehr. Auf den Limetten prangt der Hinweis: "keine Flugware". Also alles auf öko ausgerichtet. Die meisten Kunden rollen allerdings in dicken Autos an, nicht selten in SUVs. Die Spritschlucker passen schlecht zur Bioware. Das ist den Fahrern auch irgendwie klar. "Nachgedacht habe ich darüber schon. Aber ich bin noch nicht bereit, mich einzuschränken", sagt der freundliche Besitzer eines SUV der Marke Daimler, der herangerauscht ist, um Biomöhren zu kaufen.

Der "Traumsommer" scheint an den liebgewonnenen Gewohnheiten erstmal wenig zu ändern. Na ja, jenes dumpfe Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, könnte er etwas verstärkt haben. Aber ein "dumpfes Gefühl" ist noch sehr unpolitisch.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.08.2018 | 21:45 Uhr