Interview

Stand: 20.09.18 12:00 Uhr

"Das ist wohl nur in Sachsen möglich"

Kerstin Köditz ist Abgeordnete der Fraktion "Die Linke" im Sächsischen Landtag und Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, zuständig für die Kontrolle der Landesregierung in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Mit Panorama spricht sie über den AfD-Funktionär, der beim sächsischen Verfassungsschutz tätig ist und die Aktionsformen der rechtsradikalen "Identitären Bewegung" für "intelligent" hält.

Panorama: Wie beurteilen Sie die Haltung des sächsischen Verfassungsschutzes hinsichtlich einer möglichen Beobachtung der AfD?

Kerstin Köditz: Die Tageslosung dort ist in dieser Angelegenheit offenbar seit Jahren unverändert: Die Augen fest geschlossen. Seit Jahren sind die Indizien dafür, dass der Landesverband Sachsen bei der Radikalisierung der Gesamtpartei eine wesentliche Rolle spielt, bei noch so viel Nachsicht nicht zu übersehen. Außer vom sächsischen Geheimdienst. Die Vermutung, dass politisches Kalkül hinter dieser Arbeitsverweigerung steckt, ist naheliegend.

In Thüringen wurde die AfD vom dortigen Landesamt für Verfassungsschutz zum Prüffall erklärt. Gibt es in Sachsen weniger rechtsradikale Bezüge der AfD als in Thüringen?

Kerstin Köditz (Die Linke)

"Dieser Skandal passt zum sächsischen Landesamt": Kerstin Köditz (Die Linke) über den AfD-Funktionär, der beim sächsischen Verfassungsschutz tätig ist.

Wer den Schulterschluss mit militanten Neonazis in Chemnitz gesehen hat, wird diese Frage spätestens seit diesem Zeitpunkt verneinen. Aber diese Ausrichtung ist in Sachsen seit der Gründung des Landesverbandes der AfD zu beobachten. Das reichte bis hin zu Mitgliedern und Funktionären der NPD, die bei der Partei auftauchten. Gerade in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Pegida hat der sächsische Landesverband eine Vorreiterrolle gespielt.

Wenn ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit hoher Sicherheitseinstufung sich bei einer Partei, in diesem Fall bei der AfD, in der Programmkommission im Bereich Innere Sicherheit engagiert, inwieweit besteht da ein Sicherheitsrisiko? Oder mindestens ein Interessenkonflikt?

Dieser Skandal passt zum sächsischen Landesamt. Der Bock wird zum Gärtner gemacht. Das hat dort Methode. Wir brauchen uns doch nicht zu wundern, dass trotz zahlreicher Belege bei keiner Burschenschaft im Freistaat auch nur extremistische Tendenzen gesehen werden, wenn der Präsident des Landesamtes selbst Burschenschaftler ist. Im Fall von Herrn S. ist es so, dass die Vorschläge, die von seiner Kommission erarbeitet wurden, aus dem Landesamt selbst als gefährlich erachtet wurden. Es ist unverständlich, dass hier nicht längst reagiert worden ist. Ein Interessenkonflikt bestünde dann, wenn der betreffende Funktionär im Bereich Rechtsextremismus tätig wäre. Ob das so ist, kann nur das Landesamt selbst beantworten. Und natürlich muss man im Bereich des Geheimdienstes in Sicherheitsfragen besonders sensibel sein. Schon die reine Vermutung, dass ein Sicherheitsrisiko entstehen könnte, müsste ausreichen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen.

Wenn ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Sachsen die Beobachtung der "Identitären Bewegung" - einer Organisation, die seine Behörde als rechtsextremistisch einstuft - in Frage stellt und ihr "intelligente, friedliche Aktionsformen" attestiert, welche Konsequenzen sind da zu ziehen?

Das lässt seine Loyalität gegenüber dem Dienstherrn als fraglich erscheinen. Als Beamter unterliegt er einer besonderen Treuepflicht. Dazu gehört natürlich auch, dass Entscheidungen seines Dienstherrn nicht öffentlich in Zweifel gezogen werden dürfen. Ich sehe bei diesem Fall damit den berühmten Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt. Immerhin hatte er sich bereits vorher öffentlich als Verfassungsschutzmitarbeiter geoutet, obwohl ihm dies in seiner Stellung untersagt wäre. Ich erwarte ganz einfach, dass in einem rechtlich einwandfreien Verfahren Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden. Und dabei kann es nach meiner Auffassung nicht bei einem erhobenen Zeigefinger und den Worten "Du, du, das darfst du nicht" bleiben.

Ist es eigentlich üblich, dass ein Geheimdienstmitarbeiter in seiner Partei, der AfD, offen etwa über seine Sicherheitseinstufung plaudert und mit seinen Einblicken in die sächsische Sicherheitsarchitektur wirbt?

Mir zumindest ist kein anderer Fall bekannt. Weder in Sachsen, noch in anderen Bundesländern, noch gar auf der Bundesebene. Leider werden wir wohl nie erfahren, wieviele Mitarbeiter des VS zugleich Mitglieder der AfD und in welchen dienstlichen Bereichen sind.

Wusste der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen davon, dass dieser Mitarbeiter sich in der AfD engagiert?

Ja, das war ihm seit Jahren bekannt. Als ich ihn 2015 um ein Gespräch in dieser Angelegenheit ersucht habe, lehnte Herr Meyer-Plath dies mit der bemerkenswerten Begründung ab, er werde solche Fälle nicht "mit Außenstehenden erörtern". Nur bin ich keine x-beliebige Außenstehende, sondern Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, die die Arbeit des Verfassungsschutzes zu untersuchen hat.

Wie ist der Präsident mit der Personalie 2015 umgegangen?

Es ist so geregelt, dass ich über Erkenntnisse aus der Parlamentarischen Kontrollkommission nicht öffentlich reden darf. Daran werde ich mich halten. Ich weiß, dass die betreffende Person immer noch im Amt arbeitet. Also auch in diesem Fall wieder die Parole: "Die Augen fest geschlossen."

Angesichts der aktuellen Diskussion um Vorwürfe der Einflussnahme auf die Arbeit des VS, mögliche Informationsweitergabe durch Mitarbeiter des VS: Inwieweit ist es da wichtig, von Seiten des VS jegliche Vermutungssituation zu vermeiden?

Jeder Geheimdienst hat von Haus mit dem Verdacht zu kämpfen, er sei auch ein Kampfmittel der jeweiligen Regierung gegen potenzielle Konkurrenten. Weiterhin besteht seit Gründung der Ämter der Verdacht, diese seien zumindest konservativ ausgerichtet und nachsichtig gegenüber der extremen Rechten. Nicht zuletzt der NSU-Komplex hatte Szenen einer unheimlichen Nähe offenbart. Schon aus solchen Gründen ist es für jeden Geheimdienst wesentlich, auch nur den Anschein der Nähe zu einer bestimmten Partei zu vermeiden.

Wie sicher ist es, dass es nicht noch mehr Mitarbeiter im Landesamt gibt, die die Beobachtungsaufträge wegen ihrer eigenen politischen Einstellung für unsinnig halten?

Ich kann da ganz und gar nicht sicher sein. Die Vorstellung macht mich gruseln, denn die Gefahr ist natürlich eine ganz reale.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen?

Nach meinen bisherigen Erfahrungen für katastrophal. Das ist wie beim auf frischer Tat geschnappten Einbrecher: Wenn sich etwas nicht mehr abstreiten lässt, dann wird das zugegeben. Und kein Jota mehr. Von den Reformversprechen, die Präsident Meyer-Plath zu Beginn seiner Amtszeit gemacht hat, ist bisher kaum etwas umgesetzt worden.

Es handelt sich schließlich nach dem Diebstahl eines USB-Sticks mit sensiblen Personaldaten im Frühjahr bereits um den zweiten Fall in kurzer Zeit...

Ich korrigiere: Es handelt sich um den zweiten Fall, von dem wir erfahren haben. Und auch im Fall der entwendeten Personaldaten ist wochenlang gewartet worden, bevor wenigstens die zuständige Kontrollkommission unterrichtet worden ist. Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen, der die Dringlichkeit einer Reaktion deutlich macht: Als in Chemnitz die große Demonstration von AfD, Pegida und Neonazis stattfand, war auch der fragliche VS-Mitarbeiter unter den Demonstrierenden. Ein Verfassungsschützer, der gemeinsam mit Neonazis demonstriert? Das ist wohl nur in Sachsen möglich.

Das Interview führte Robert Bongen

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.09.2018 | 21:45 Uhr