Wozu Demokratie? Aufruhr in Minideutschland
Im idyllischen Haßloch sind viele Menschen unzufrieden: Die Politiker seien unfähig, Probleme überall, die Verhältnisse ungerecht, heißt es hier. Haßloch - kein Ort ähnelt Deutschland in seiner Sozialstruktur so sehr wie Gesamtdeutschland. Warum ist die Demokratieskepsis auch in diesem "Minideutschland" angekommen?
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Haßloch gilt als durchschnittlichster Ort Deutschlands. Lange schieden sich die Geister hier nur zwischen CDU und SPD. Bis zur letzten Wahl: Über 18 Prozent haben die AfD gewählt.
Zweifel an der Demokratie
Überall in Deutschland verliert die Demokratie an Vertrauen: Laut einer Studie bezweifeln 48 Prozent der Deutschen, dass das System zurzeit wirklich funktioniert. Und elf Prozent wünschen sich sogar einen Führer, der das Land mit starker Hand regiert. Außerdem verlieren die Volksparteien nicht nur Mitglieder, sondern auch an Zustimmung. Das Gefühl "Die da oben machen doch eh, was sie wollen" grassiert - und mit ihm der Protest gegen das Establishment. Wie konnte es zu diesem Vertrauensverlust kommen?
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Das beschauliche Haßloch in Rheinland-Pfalz gilt als durchschnittlichster Ort Deutschlands. Bislang erhielten CDU und SPD die große Mehrheit der Stimmen. Bis die AfD bei der vergangenen Wahl 18,8 Prozent erhielt.
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Diese Frau hat das Gefühl, dass die Politik an ihr vorbei entscheidet: "Die da oben machen, was sie für richtig halten und nicht, was das Volk für richtig hält".
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"Die Leute wollen gefragt werden" - sagt der SPD-Ortsvorsitzende Dieter Schuhmacher. Mit einer Bürgerbefragung will er das Vertrauen in die Politik zurückholen.
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Dieser Haßlocher ist skeptisch: "Wir können doch reden, was wir wollen und so weiter, und werden doch nicht angehört."
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Der CDU-Mann Jürgen Vogt will verstehen, warum er ausgerechnet im bürgerlichen Viertel so viele Stimmen verloren hat. Mit seinem Kollegen von der SPD macht er Hausbesuche bei den Unzufriedenen.
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Über die Fehler der Politik könne er ein ganzes Buch schreiben, sagt dieser Mann.
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Für Nurretin Uckan bedeutet Demokratie vor allem eins: Menschenrechte. Er lebt seit 20 Jahren in Haßloch. "Die Menschen hier sind frei. Sie können ihre Meinung sagen, über Religion, Freiheit, das Leben."
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Lothar Lorch ist der Bürgermeister von Haßloch. Er will fragen, zuhören, mit den Bürgern reden, auf Augenhöhe, und verlegt darum sein Büro auf den Marktplatz.
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Die Menschen beschweren sich bei ihm über falsche Straßenbeschilderung oder mangelnde Kontrollen in 30er-Zonen.
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Friede, Freude, Eierkuchen also? "Machen, was das Volk will" ist gar nicht so einfach: 59 Prozent der Haßlocher wollen modernisieren, so das Ergebnis der Bürgerbefragung zur Zukunft des Badesparks - trotz Loch in der Haushaltskasse. Damit hatte Herr Hinz, der ehemalige Polizist, nicht gerechnet. Woher das Geld kommen soll? Dafür ist dann wieder die Politik zuständig.
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"Die Bürger fordern und andere sollen es tun" - für diese Zwiespältigkeit hat Jürgen Vogt noch keine Lösung gefunden.
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"Es gibt nichts Schwierigeres als Demokratie. Da müssen viele dran arbeiten", sagt SPD-Mann Schumacher.
Ursachensuche in "Minideutschland"
Um das herauszufinden, hat sich ein Team von Panorama ein halbes Jahr lang in Haßloch in der Pfalz umgehört - in dem deutschen Städtchen, das sich selbst nostalgisch "Dorf" nennt, trotz der 21.000 Einwohner. Es ist der Ort, in dem die soziale Struktur der gesamtdeutschen am ähnlichsten ist. Das Verhältnis von arm und reich, jung und alt kommt dem deutschen Durchschnitt hier sehr nahe. Viele neue Produkte werden deshalb in Haßloch getestet.
18,8 Prozent wählten die AfD
Jahrelang war alles wie immer: Mal regierte die SPD, mal die CDU, mal regierten beide - aber in den Grundzielen war man sich einig. Doch dann, bei der vergangenen Landtagswahl, wählten 18,8 Prozent die AfD. Die Lokalpolitiker verstehen seither die Welt nicht mehr. Ausgerechnet im idyllischen "Minideutschland" sind die Menschen so unzufrieden?
Zwischen Bürgerbefragung und Marktplatz-Büro

Haßlochs Bürgermeister Lothar Lorch hat seinen Schreibtisch auf den Marktplatz gestellt um zu hören, was die Stadt für ihre Bürger tun kann.
Die Lokalpolitiker wollen kämpfen. Der Film begleitet diejenigen, die ihre Wähler nicht aufgeben - und die nicht hinnehmen wollen, dass die repräsentative Demokratie plötzlich als verzichtbar behandelt wird. Sie lassen sich allerlei einfallen, um das Vertrauen ihrer Bürger zurückzuerobern: von Hausbesuchen bei Unzufriedenen über eine Bürgerbefragung zur Zukunft des Schwimmbads bis hin zum Bürgermeister-Büro auf dem Marktplatz. Manches geht gnadenlos schief, anderes überrascht und funktioniert viel besser als gedacht.
Ein Film über das Selbstverständnis und den Wert von Demokratie.