Terrorist von Ansbach: IS-Kämpfer oder Psychowrack?

von Johannes Edelhoff, Philipp Hennig, Fabienne Hurst, Johannes Jolmes, Kaveh Kooroshy, Esra Özer

Der Selbstmordanschlag von Ansbach - seit Tagen bestimmt er die Schlagzeilen deutscher Medien. Der Schock sitzt tief, ein Anschlag der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) mitten in Bayern? Doch was waren die Motive des Täters, den der IS in einer über das Internet verbreiteten Erklärung als seinen "Soldaten" bezeichnet? Wer diese Frage stellt, landet irgendwann zwangsläufig in Lindau am Bodensee.

Terrorist von Ansbach: IS-Kämpfer oder Psychowrack
Seit dem Anschlag von Ansbach scheint der Terror in Deutschland angekommen. Der Täter war in psychologischer Behandlung. Panorama hat mit seinem Therapeuten gesprochen.

Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörungen

Auch Mohammad Daleel, der Täter, war oft in Lindau. Nicht als Tourist, sondern als Patient. Bis Anfang dieses Jahres war der spätere Attentäter hier regelmäßig bei der Therapie. Seine Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörungen und damit einhergehende Depressionen. Abgeschirmt von der Straße durch eine hohe Hecke befindet sich das Büro von Axel von Maltitz, einem Heilpraktiker und Traumatherapeuten. Wenn er auf Mohammad Daleel zu sprechen kommt, wirkt er nüchtern und abgeklärt. Er betrachtet den Attentäter von Ansbach als Patient: "Er war traumatisiert, er war schwerst traumatisiert. Und das beschäftigt einen Menschen Tag und Nacht. Der hat Albträume, der schreit im Schlaf. So jemand ist psychisch nicht in Ordnung."

Axel von Maltitz hat mit Mohammad Daleel viel Zeit verbracht, viel geredet. Insgesamt 40 mal haben sie sich getroffen. 40 mal rund 90 Minuten gesprochen. Trotzdem kennt er den 27-jährigen nur als Patienten: "Ich meide private Kontakte. Weil entweder bin ich Therapeut oder ich bin privat." Ob Mohammad Daleel regelmäßig gebetet hat, was er politisch dachte - darüber haben die beiden nie groß gesprochen. Für Maltitz gehört das nicht in eine Therapie. Nur, dass sein Patient gerne Rad fuhr und viel rauchte, daran erinnert sich der Therapeut.

Eine Zeitlinie voller Steine

Seine Krankengeschichte kennt er dafür umso besser. Maltitz behandelt seine Patienten mit der Narrativen Expositionstherapie. Bei so einer Behandlung soll sich der Patient bewusst werden, dass sein Leben eine Zeitlinie ist, auf der sich das traumatisierende Ereignis einordnen lässt. Das beginnt bei Axel von Maltitz ganz spielerisch: Eine auf dem Boden ausgelegte Schnur symbolisiert das Leben des Patienten. Einschneidende schöne oder schlimme Ereignisse werden nun in ihrer Reihenfolge an die Schnur angelegt. Für schöne Ereignisse wird eine Blume an die Schnur gelegt, für schlimme ein Stein. An der Schnur von Mohammad Daleel lagen viele Steine. Mehr Steine als Blumen.

Ein Leben aus Krankenakten erzählt

Erzählt er vom späteren Attentäter und dokumentiert in den Krankenakten, liest sich sein Leben so: Aufgewachsen als eines von drei Kindern einer reichen Familie, geriet Mohammad Daleel in den Arabischen Frühling. Aufgrund seiner Opposition zum Assad-Regime wurde er mehrmals verhaftet und gefoltert. Er berichtet von anderen Gefangenen, die von Wärtern mit Säure übergossen werden. Immer wieder kaufte sein Vater ihn frei. Schließlich zieht Daleel mit Frau und Kind in den Teil Syriens, der nicht von Assad beherrscht wird. Im April 2013 sterben seine Frau und sein Kind durch eine Bombe. Er flieht. Erst in die Türkei, später nach Bulgarien. Auch hier wird er verhaftet, weil er sich im Land nicht als Flüchtling registrieren will. Im Gefängnis wird er geschlagen und schlecht behandelt. Nach seiner Freilassung lebt er auf der Straße, zieht weiter nach Österreich und schließlich nach Deutschland. Er hat Angst vor der drohenden Abschiebung nach Bulgarien.

Hier endet die Aufzeichnung in den Krankenakten - die genehmigten Therapiestunden waren ausgeschöpft. Bevor es weitergehen konnte, sprengt sich Mohammad Daleel in die Luft.

"Für ihn war der Tod eigentlich ein Freund"

All diese Angaben beruhen auf den Aussagen Daleels während seiner Therapie. Einige lassen sich überprüfen, andere nicht. Axel von Maltitz glaubt den Erzählungen seines Patienten. Er habe sich bei den Gesprächen nie in Widersprüche verwickelt, seine Geschichte sei schlüssig. Vor allem die Folter in den Gefängnissen Assads, der Tod seiner Frau und seines Kindes, aber auch die Behandlung im bulgarischen Gefängnis hätten Daleel schwer traumatisiert - davon ist Maltitz überzeugt: "Er hatte keinen Lebenswillen. Er fand am Leben nichts mehr. Für ihn war der Tod eigentlich ein Freund. Das kann man auch zu seinen Schilderungen von diesen Folterkellern in Syrien sagen, dass er mehrfach sagt, dass die Leute auf den Tod als Erlöser gewartet haben." Die Gefahr eines Suizides im Fall einer Abschiebung nach Bulgarien hielt der Therapeut zwar für erheblich, einen Terroranschlag oder erweiterten Suizid traute er ihm nicht zu.

Keine Kenntnis von möglichem IS-Kontakt

Zu einem möglichen Kontakt zum IS sagen die Akten nichts. Verständlich - beruhen sich doch fast ausschließlich auf den Aussagen Daleels. In den Medien wird jetzt viel spekuliert, Geschichten machen die Runde. Der IS habe ihn in Bulgarien angeworben und ihm den Flug nach Deutschland bezahlt. In den Gesprächsprotokollen aus seiner Therapie liest sich das anders. Eine ältere Dame, die ihn aufgrund von Verletzungen auch schon ins Krankenhaus gefahren habe, sei für den Flug nach Österreich aufgekommen. Was richtig ist? Das werden vielleicht die Ermittlungen zeigen.

Der Kontakt zwischen Axel von Maltitz und Mohammad Daleel brach Anfang dieses Jahres nach Ablauf der Therapie ab. Eine neue Therapie war schon lange beantragt, die Übernahme der Kosten für "weitere Therapiephasen" zugesichert. Dazu kam es nie. Was im vergangenen halben Jahr mit Mohammad Daleel passiert ist, weiß Maltitz nicht. Aber eins ist für ihn klar: "Der Gedanke, nach Bulgarien zurückzugehen, das war ganz schlimm für ihn. Das stand meines Erachtens für ihn schon fest, dass er dort nicht hingeht. Er hat das anders formuliert und gesagt, dann gehe ich gleich nach Syrien, dann sollen sich mich doch gleich nach Syrien schicken. Weil in Bulgarien, das ist kein Leben für mich." Am 1. August 2016 hätte Mohammad Daleel endlich seine Therapie fortsetzen können. Zu spät.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.07.2016 | 21:45 Uhr