Stand: 13.10.16 12:00 Uhr

Prozess gegen syrischen Flüchtling wegen Kriegsverbrechen

von Stefan Buchen & Oliver Schröm

Backnang bei Stuttgart, 17. Januar 2016: Vermummte Beamte nehmen Suliman al-S. fest. Er ist der erste Flüchtling, der in Deutschland wegen Kriegsverbrechen in Syrien angeklagt wird. Der syrische Flüchtling und anerkannte Asylbewerber hatte über Monate in einem schwäbischen Städtchen an einer Schule Deutsch gelernt und mit Unterstützung syrischer Freunden im Rems-Murr-Kreis einen Job und eine neue Heimat gefunden.

Prozess gegen syrischen Flüchtling wegen Kriegsverbrechen
Der mutmaßliche Al-Kaida-Terrorist Suliman al-S. soll in Syrien einen UN-Mitarbeiter aus Kanada entführt haben. Kommende Woche steht er in Stuttgart-Stammheim vor Gericht.

UN-Mitarbeiter entführt

Aber an dem Sonntag im Januar holt Suliman al-S. die Vergangenheit ein, zumindest aus der Sicht der deutschen Ermittler: Danach hatte er sich einst unter dem Aliasnamen Abu Adam der Terrororganisation al-Nusra angeschlossen, dem syrischen Ableger von al-Qaida. Und Suliman al-S. gehörte zu der Terroreinheit, die im Februar 2013 in Damaskus den UN-Mitarbeiter und kanadischen Staatsbürger Carl Campeau entführte. Für die Freilassung des Kanadiers verlangten die Terroristen sieben Millionen Dollar Lösegeld. Doch weder die UN noch der Staat Kanada waren bereit zu zahlen. Nach acht Monaten Geiselhaft gelang Campeau die Flucht.

In Deutschland kamen Ermittler durch einen Tipp der Nachrichtendienste auf die Spur von Suliman al-S. Gegenüber deutschen Behörden identifizierte Campeau dann den jungen Syrer als einen seiner Bewacher. Er habe immer eine selbstgebastelte Handgranate an einer Halskette vor seiner Tarnweste getragen. "Mir hat man erklärt, dass er die Handgranate zünden wolle, falls er gefasst werde", sagt der UN-Mitarbeiter dem Magazin "Stern" und Panorama.

Prozess mit enomer politischer Bedeutung

Ab kommenden Donnerstag sitzt Suliman al-S. in Stuttgart-Stammheim auf der Anklagebank. In dem Prozess geht es "unter anderem um erpresserischen Menschenraub, um mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und um Kriegsverbrechen", sagt Stefan Biehl von der Bundesanwaltschaft.

Entführter UN-Mitarbeiter in Syrien. © NDR/ARD

Entführungsopfer: Carl Campeau.

Der Prozess hat eine gewaltige politische Dimension. Suliman al-S. gibt dem ungeprüft eingereisten Flüchtling ein Gesicht, vor dem sich manche Deutsche fürchten: das eines Terroristen. Ein Fall, aus dem sich leicht Kapital schlagen lässt. Panorama "Stern" haben im Fall Suliman al. S. alias Abu Adam Vernehmungen, Protokolle von Hausdurchsuchungen und Mitschnitte von Telefonaten ausgewertet. Reporter konnten mehrfach mit Carl Campeau sprechen und mit Menschen, die Suliman al-S. aus Deutschland kennen. Der Angeklagte selbst schweigt.

Nach Informationen von stern und Panorama stützt die Bundesanwaltschaft ihre Anklage nicht nur auf die Aussage des UN-Mitarbeiters Carl Campeau, der im Prozess als Zeuge geladen ist. Die Ermittler stießen in sozialen Medien auf Einträge, in denen Suliman al-S. als "Abu Adam" angesprochen wird - von unterschiedlichen Personen.

Suliman al-S. wollte zunächst "im Dschihad sterben"

Schon bevor die Geisel Carl Campeau im Herbst 2013 aus der Gefangenschaft entkommen konnte, ist auch Suliman al-S. aus Syrien ausgereist. Im August 2014 erreicht er dann Italien - von Libyen aus mit einem Motorboot - und wenig später per Zug Deutschland. Während seiner Flucht äußert sich Suliman al-S. auf Facebook erst einmal radikal. "Meine Absicht ist, im Dschihad zu sterben, um mich von meinen Sünden reinzuwaschen", schreibt er auf Facebook. Auf der Seite eines Bekannten gibt er einem Foto mit der Fahne der al-Nusra-Front ein "like". Später postet er auf seiner Facebookseite, dass der Weg zu Gott lang sei und man "wie eine Schildkröte" voranschreite. "Der Zweck ist es nicht, am Ende des Weges anzukommen, sondern während des Weges zu sterben."

"Der war doch der Traum aller Schwiegermütter."

In Deutschland lebt Suliman al-S. zuerst in einer Flüchtlingsunterkunft bei Kaiserslautern und zieht im März 2015 in den Rems-Murr-Kreis. Im Deutschkurs fällt er als disziplinierter Schüler auf. Die Leiterin der Schule ist nicht grundsätzlich gut auf Schüler aus dem arabischen Raum zu sprechen. Suliman al-S. aber, erzählt sie Panorama am Telefon, habe sie als "höflich und eher zurückhaltend" wahrgenommen. Seine Festnahme hat sie überrascht: "Der war doch der Traum aller Schwiegermütter."

Suliman al-S. holte im August 2015 mit Hilfe von Schleusern seinen Vater und seine drei Schwestern nach Deutschland. Und die Ermittler stoßen auf Chats, die nahe legen, dass Suliman al-S. in Deutschland ein neues Leben begonnen hat. Anhaltspunkte dafür, dass Sulaiman al-S. in Deutschland Terrortaten plante, gibt es nicht. Einem Freund, der vom Leben im Jenseits schwärmt, antwortet er: "Gut, dass du mich nicht siehst, während ich Hasch rauche oder mit einem Mädchen ...!" Dahinter setzt er einen Smiley und schreibt: "Es ist so gewollt!"

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.10.2016 | 21:45 Uhr