Interview
"Privatheit wird zur Ware"

Wendet sich gegen naive Fortschritts- und Technikgläubigkeit: Evgeny Morozov.
Der Fahrtenvermittler Uber ist inzwischen mehr als 40 Milliarden US-Dollar wert. Für nationale Gesetze interessiert er sich nicht besonders. Für den weißrussischen Publizisten Evgeny Morozov, Autor des Buches "Smarte neue Welt" und profilierter Kritiker des Silicon Valley, ist das kein Zufall. Nach seiner Einschätzung versuchen Uber und andere Firmen der sogenannten Sharing Economy wie Airbnb, ein neues wirtschaftliches Modell durchzusetzen, bei dem Marktkräfte die Gesetze ersetzen.
Herr Morozov, Unternehmen wie Uber und Airbnb kommen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Woran liegt das?
Firmen wie Uber wollen das alte Regulierungsmodell überwinden, bei dem es Gesetzte gibt, die regeln, was Firmen dürfen und was nicht. Sie streben stattdessen ein Modell an, das allein auf das Feedback der Marktkräfte setzt.
Uber-Fahrer und -Passagiere sind dazu angehalten, sich unaufhörlich gegenseitig zu bewerten. Das gleiche gilt für Gäste und Gastgeber bei dem Apartment-Vermittler Airbnb.
Genau. Verhält sich ein Uber-Fahrer falsch, bekommt er eine schlechte Bewertung des Passagiers. Für Uber und Co sind andere Formen der präventiven staatlichen Regulierung unnötig, etwa bestimmte Lizenzen. Gesetze werden durch den Markt ersetzt. In diesem Sinne verkörpern Uber und andere Firmen perfekt die neoliberale Logik.
Sie sind die Avantgarde, wenn es darum geht, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass es vorteilhaft ist, den neoliberalen Ansatz komplett zu übernehmen. Dies soll beispielsweise billigere Fahrten als im Taxi ermöglichen. Das hat gravierende Auswirkungen nicht nur für die Uber-Fahrer, sondern auch für die Passagiere.
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Warum sollten wir nicht einfach alles miteinander teilen? Unsere Wohnung, unser Auto, unser Privatleben. Im Silicon Valley bei San Francisco setzt eine ganze neue Industrie auf dieses hehre Prinzip.
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Mit unseren Smartphones sollen wir alles bestellen, alles regeln, alles organisieren können - schnell und ressourcenschonend. Ein eigenes Auto? Braucht man nicht, es gibt ja Taxi-Apps. Hotels? Lieber ein Privatzimmer über eine Plattform gebucht. Und essen gehen tut man längst nicht mehr in Restaurants.
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Boris Lauser ist Rohkostchefkoch, gibt Seminare, berät Restaurants - und bietet zuhause Dinner an - über die Plattform "Eatwith". Dass er dabei Einblick in seiner Privatssphäre gibt, stört ihn nicht ...
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"Die Leute kommen rein, sehen wo ich schlafe, sehen, was ich in meinem Badezimmer stehen habe. Für mich ist das überhaupt kein Problem, weil ich bin ein Mensch, der sehr offen, sehr freizügig ist. Es geht ums Teilen in die Richtung, dass ich z.B. einfach auch meine Privatsphäre teile", erzählt Lauser.
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Star-Ökonom Jeremy Rifkin ist von der Idee begeistert: "Wir teilen unsere Autos, unser Zuhause, unsere Kleidung, unsere Werkzeuge - mit allen Menschen und immer wieder. Das bedeutet, nichts wird mehr weggeschmissen. Mehr Menschen brauchen weniger Ressourcen. Wir schaffen einen Kreislauf. Dasist ein historischer Moment!"
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Auch Joe Gebbia, Gründer der Übernachtungsplattform Airbnb ist euphorisch: "Airbnb will dabei helfen, dass Menschen überall dazugehören. Wir meinen damit, dass Du - egal wo du in der Welt bist- hinreisen kannst und begrüßt wirst und dort jemand Dich willkommen heisst."
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Katharina Korbjuhn und Amelie Heimann betreuen in Berlin Ferienwohnungen, die über Sharing-Portale angeboten werden. Katharina erzählt: "Die Grundidee war ja, dass man andere Leute kennen lernt und privat wohnt ..."
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Mit der kurzfristigen Vermietung von Wohnungen lässt sich mehr Geld verdienen als mit langfristigen bindenden Mietverträgen. Fast ganze Häuserblöcke finden sich schon im Airbnb-Angebot wieder und werden zu Touristenhochburgen. Die Stadt Berlin hat deshalb die systematische Vermietung von ganzen Wohnungen auf Übernachtungsplattformen verboten.
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Engelbert Lütke-Daldrup vom Stadtbauamt Berlin begründet dies so: "Wir müssen als Städte verhindern, dass uns massiv Wohnraum entzogen wird. Wir reden über 10 000 Ferienwohnungen, die in aller Regel nicht zulässig sind."
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Über solche Gesetze ärgern sich die Unternehmen des Silicon Valley in ihren Luxusbüros. Die meisten Regelungen seien vorsintflutlich und kämen schlichtweg aus einer Zeit, in der es noch kein Internet gab.
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Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) werden geradezu erpresst: Wer in der schönen neuen Welt mitspielen will, müsse gefälligst Gesetze nach dem Gusto des neuen Marktes machen.
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Doch auch Insider wie die Datenanalystin Yvonne Hofstätter bezweifeln, dass man Regeln abschaffen muss. Sie arbeitete selbst im Silicon Valley. Ihr Eindruck: Es geht vor allem um die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten.
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Jenn Guidry aus Boston verkauft sich über mehrere Sharing-Plattformen. Sie fährt für den Taxi-Konkurrenten Uber, erledigt für Task Rabbit Gelegenheitsjobs.
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Jenn erzählt: "Manchmal arbeite ich 30 Stunden in Zeitraum von 48 Stunden. Dann bin ich müde, aber nicht genervt - busy halt."
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Für den Digitalexperten und Blogger Sascha Lobo klingt das eher nach einer Horrorvision: "30 Stunden innerhalb von 48 Stunden zu arbeiten, das kann mal eine interessante Erfahrung sein. Es hört sich für mich aber eher an wie irgendwann im 19. Jahrhundert, im späten Manchester-Kapitalismus."
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Für Sigmar Gabriel ergibt sich daraus eine klare Aufgabe für die Politik: "Wie verhindere ich, dass Arbeit und Leben immer mehr miteinander so verwächst, dass die Arbeitszeit kein Ende mehr hat? Eigentlich ist das ein ganz erzkapitalistisches Modell, bei dem nichts anders passiert, als das der Mensch bis in seine letzte Regung verwertbar gemacht wird."
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Shannon Bitzer hat genau das erlebt: Seit einem Jahr fährt er für den Fahrdienst-Vermittler Uber. Der 25jährige verdiente gut. Doch plötzlich halbierte Uber die Rate per Meile. Er sagt: "Sie nennen uns Partner, aber das ist eine Lüge."
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Die rüden Methoden von Uber haben Fahrer wie Bitzer inzwischen ihrer Illusionen beraubt. Er glaube nicht mehr so Recht an den freien Markt, meint der junge Fahrer.
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Mittlerweile wehrt sich Bitzer mit klassischen Methoden: Andere Fahrer und er haben sich gewerkschaftlich organisiert. Gewerkschafter Joseph DeWolf Sandoval meint, die Firmen missachteten die Rechte der Arbeiter und nutzten das Sharing System nur für sich.
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Der Publizist Evgeny Morozov, ist einer der profiliertesten Kritiker des naiven Fortschrittsglaubens. Er sagt: "Für Uber und Co ist staatliche Regulierung unnötig, etwa bestimmte Lizenzen. Gesetze werden durch den Markt ersetzt. Ich weiß aber nicht, warum es für Passagiere vorteilhaft sein soll, wenn sie ihrem Fahrer nur einen Stern anstelle von fünf geben können, wenn er übermüdet in eine Wand kracht."
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Der Milliardär Peter Thiel investiert in die Sharing Economy. Er spricht der Politik die Gestaltungsfähigkeit weitgehend ab: "Natürlich denken die Politiker, dass das was sie tun, wichtig ist - und dass die Politik all die wichtigen Fragen der Gesellschaft entscheidet. Ich bin eher der Meinung, dass wir eine bessere Welt bauen, viel mehr durch die Technologie, als durch die Politik."
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Jaron Lanier, Informatiker und Internet-Pionier, glaubt, wir erleben im Moment nicht den Beginn einer neuen Welt der Gemeinnützigkeit - sondern ihr Ende: "Das hier ist eine Fake Economy. Rechte, die über Generationen erkämpft wurden, werden durch Fake Rechte ersetzt - und die nützen nur ein paar Milliardären."
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Schöne neue Welt? Oder 18 Stunden arbeiten, für sich und andere einkaufen, das Auto teilen, die Wohnung untervermiten - und keine Privatssphäre mehr haben - um halbwegs über die Runden zu kommen? Wie die Geschichte weitergeht, hängt von uns allen ab.
Uber und andere Firmen argumentieren, dass die Bewertungsmechanismen sehr effektiv sind. Wo sehen Sie die Gefahren?
Einige Uber-Fahrer fahren 18 Stunden pro Tag, um halbwegs über die Runden zu kommen. Ich möchte nicht der Passagier von einem Fahrer sein, der bereits 17 Stunden gefahren ist.
Ich weiß nicht, warum es für Passagiere vorteilhaft sein soll, wenn sie ihrem Fahrer nur einen Stern anstelle von fünf geben können, wenn er übermüdet in eine Wand kracht. Übrigens zeigt Uber in der App nicht an, wie lange der Fahrer schon fährt. So viel zu der angeblichen Transparenz der Plattformen.
Soziale Netzwerke wie Facebook übernehmen für Plattformen wie Uber und Airbnb die Funktion, die Glaubwürdigkeit einer Person zu bestimmen. Wer bei Airbnb ein Zimmer einstellen will, ist angehalten, sein Facebook-Konto mit der Plattform zu verknüpfen.
Facebook und andere soziale Netzwerke sind ein essenzieller Stützpfeiler der Sharing Economy. Die Nutzer sollen immer mehr über sich preisgeben, um die Dienste nutzen zu können. Die Logik ist dieselbe wie bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Der Unterschied ist, dass im Falle des Banksystems zahlreiche Schutzvorrichtungen eingebaut wurden, um sicherzustellen, dass gewisse Domänen unseres Lebens dem Zugriffe der Banken und Kreditinstitute entzogen sind. Sie dürfen nicht bespitzeln, was ich unter der Dusche singe und dieses Wissen auch nicht für ihre Entscheidung nutzen, ob ich einen Kredit bekomme oder nicht.
Bei der Sharing Economy sind dagegen die meisten dieser Sicherheiten verschwunden. Das liegt unter anderem daran, dass sie sich auf Mittelsmänner wie Facebook verlassen bei der Frage, wer wir sind. Und Facebook hat natürlich keine Grenzen, wenn es darum geht, welche Daten über uns in die Profilbildung einbezogen werden.
Es gab bereits Berichte über Personen, die zu wenig Facebook-Freunde hatten. Deswegen konnten sie zunächst kein Zimmer über Airbnb buchen. Indem die Plattformen auf Facebook und andere soziale Netzwerke wie Linkedin als Reputationsmechanismen setzen, wird es für Personen zunehmend schwierig, dort nichts über sich preiszugeben.
Ich denke, letztendlich läuft es darauf hinaus, dass wir nicht nur unsere physischen Dinge teilen. Wir werden alles teilen, was über uns gespeichert wird - selbst kleinste Details unseres Verhaltens. Es wird jemanden geben, der sich dafür interessiert, welche Songs Sie unter der Dusche singen. Früher war es unmöglich, da es weder die Sensoren dafür gab noch die Vernetztheit, um alles aufzuzeichnen. Aber da es nun möglich ist alles zu erfassen und zu katalogisieren, wird es vielleicht auch einen Shampoo-Hersteller geben, der in Echtzeit diese Informationen kaufen will.
In diesem Sinne wird unser gesamtes Leben zu einem gigantischen Marktplatz. Die Marktbeziehungen greifen über auf unser alltägliches Leben. Es kommt zu einer kompletten Finanzialisierung des Alltags, da alles, was Sie nun machen, erfasst und profitabel verkauft werden kann. Die Kräfte des Marktes dringen in die intimsten Lebensbereiche ein.
Das klingt nach dem Ende der Privatheit.
Nicht unbedingt. Die Privatheit muss keineswegs sterben. Das Problem wird eher sein, dass sie zunehmend nur noch für wenige Personen zugänglich ist, die sie sich leisten können. Es werden nur reiche Leute sagen können: Ich kümmere mich nicht um Airbnb und wohne in einem hübschen Hotel und fahre mit einer Limousine herum.
Die Privatheit wird zu einer Ware, für die man zahlen muss wie für alles andere auch. Wer reich ist, kann sich Suchmaschinenoptimierung kaufen, vollkommen verschlüsselte Telefone anschaffen oder sich einen Privatsphäre-Assistenten anstellen, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass die Person unterhalb des Radars bleibt. Alle anderen werden permanent durchleuchtet werden.