Fluchthelfer: Gestern Helden, heute Kriminelle
Das Einreißen von Grenzen ist dieser Tage Gegenstand feierlicher Erinnerung. Dass der Mauerfall sich nun zum 25. Mal jährt, lässt das Glücksgefühl plötzlich gewonnener Freiheit bei den Deutschen und anderen Europäern noch einmal intensiv aufleben. Es ist indes eine Illusion, dass Grenzen damit gänzlich aus unserer Welt verschwunden sind. Sie sind für uns Deutsche nur weniger sichtbar.
Fluchthelfer: Gestern Helden, heute Kriminelle
Zur Zeit des Eisernen Vorhangs waren sie Helden - nun gelten sie vielen als Kriminelle: Fluchthelfer.
An den Außengrenzen des Kontinents hat Europa, unter kräftigem Antrieb von Deutschland, neue und schwer überwindbare Sperranlagen errichtet. Flüchtlinge sollen daran gehindert werden, europäischen Boden zu erreichen. In Zeiten von Krieg und Chaos im Zweistromland und in Teilen Afrikas gewinnt diese Politik eine akute, oft tödliche Bedeutung. Trotzdem und trotz der eigenen Geschichte stimmen viele dieser Politik zu.
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Dr. Burkhart Veigel ist Arzt. Früher in seinem Leben hat er auch mal krumme Sachen gemacht. Als Fluchthelfer für Menschen in Not. Heute würde man ihn Schleuser nennen.
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Mit solch einem Auto hat er Menschen durch den Eisernen Vorhang geschleust. Er hat das Auto so umgebaut, dass sich ein Flüchtling hinter dem Armaturenbrett verstecken konnte.
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Das war eng, sehr eng. Aber machbar. Und weil das Versteck so nah am Motor war, haben die Hunde an der Grenze - wohl wegen des Öl- und Benzingeruchs - nicht angeschlagen.
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Drei bis vier Stunden musste man manchmal an der Grenze ausharren - eine Tortur für den Flüchtling im Handschuhfach.
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Ute Henkel war in eben diesem Handschuhfach versteckt, 1967 im November. Sie wollte zu ihrem Freund, der in West-Berlin lebte.
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Die illegale Ausreise bedeutete eine wahre Odyssee: Von Ost-Berlin ging es nach Prag, dann nach München und schließlich mit dem Flugzeug nach West-Berlin.
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Gekostet hat diese Flucht etwa 18.000 DM - ihr Fluchthelfer Veigel hat damit Geld verdient, sogar eigens Verträge dafür aufgesetzt: "Es kommt darauf an, dass man seinen Job gut macht. Ein guter Arzt, ein guter Rechtsanwalt nimmt auch Geld von Menschen, die in Not sind", erzählt er.
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Auch Hasso Herschel war damals Fluchthelfer. Auch er hat damit Geld verdient, Pässe und Kennzeichen gefälscht: "Ich selber bin nie bestraft worden für solche Sachen. "
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Im Gegenteil: In Anerkennung der für die BRD und die Menschen in diesem Land erbrachten Leistungen wurde ihm und Burkhart Veigel das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
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Auch Mohammad Darwish ist Fluchthelfer.
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Er hat Menschen aus dem Krieg in Syrien gerettet, wie die 16-jährige Gaure.
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Auch er hat dafür Dokumente - einen polnischen Pass - gefälscht. Und Geld bekommen: 3.000 bis 3.500 Euro pro Flüchtling. "200 bis 300 sind davon für mich übrig geblieben", erzählt er.
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Dafür hat Mohammad Darwish eine dreijährige Haftstrafe erhalten. Und er muss sich auf eine noch höhere Strafe gefasst machen, weil ein weiteres Verfahren gegen ihn läuft.
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Gute Fluchthelfer damals, böse Schleuser heute? Der alte Haudegen Veigel lehnt die Bestrafung seiner "Erben" ab: "Wir brauchen Menschen, die was tun. Und der Mann hat was getan. Der hat anderen Menschen geholfen. Der muss ja nicht das Bundesverdienstkreuz kriegen, aber der hätte hoch geehrt weiter leben sollen. Und nicht in den Knast gehen."
Noch härter gegen Fluchthelfer?
Wie sich unsere Perspektive verschoben hat, kann man an nichts besser ablesen als an unserer Art, mit der Figur des Schleusers umzugehen. Wir haben den Flüchtlingen von heute gesagt: "Visa gibt es nicht. Eure Einreise nach Europa und Deutschland ist illegal, Ihr müsst draußen bleiben!" Dass trotzdem welche kommen, ist auch auf die Existenz von Schleusernetzwerken zurückzuführen. Diese kriminellen Banden "erdreisten sich", die souveräne politische Entscheidung Deutschlands und Europas zu unterlaufen und trotzdem Flüchtlinge bei uns einzuschmuggeln. Deshalb will etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizière "diese Kriminellen noch entschlossener bekämpfen", wie er neulich im Bundestag sagte.
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Damals Helfer - heute Kriminelle
Aber wie war es noch gleich vor dem Fall der Mauer? Damals gab es auch Schleuser, die Menschen in Not halfen, trickreich und heimlich den Eisernen Vorhang zwischen Ost und West zu überwinden. Sie brachen Gesetze und ließen sich von den Flüchtlingen bezahlen, genau wie die Schleuser von heute. Dennoch gelten die "Fluchthelfer" bis heute als die heimlichen Helden der Freiheit. Deutschland verleiht ihnen das Bundesverdienstkreuz, während wir die Schleuser von heute ins Gefängnis sperren.
Panorama hat die "Fluchthelfer" von damals und die "Schleuser" von heute getroffen und festgestellt, dass sie viel gemeinsam haben. Für die Flüchtlinge, die in Sicherheit und in Freiheit wollten, waren und sind sie die einzige Chance. Nur beurteilen wir sie vollkommen unterschiedlich.