Versagen bei Brustkrebs-Vorsorge - Ein Modellprojekt scheiterte

von Bericht: Edith Heitkämper
Eine medizinisch-technische Radiologieassistentin betrachtet in Hannover in dem Mammografie Screening Zentrum eine Aufnahme einer Brust. © dpa Foto: Angelika Warmuth

Diagnose Brustkrebs - der Alptraum für jede Frau. Er ist der häufigste Krebs bei Frauen. 18.000 sterben deshalb jedes Jahr in Deutschland. Jede dritte - das belegen Untersuchungen - könnte durch das sogenannte Screening gerettet werden. Das heißt Vorsorgeuntersuchung für alle Frauen unter sehr hohen Qualitätsvorschriften, längst erprobt und bewährt beispielsweise in Holland, Schweden und England.

Zwei Jahre vor dieser Sendung hatte Panorama schon einmal darüber berichtet. Damals gab es eine Stadt, die bereit war, ein solch flächendeckendes Screening durchzuführen: Aachen. Es sollte das erste bundesweite Modellprojekt sein. Was ist daraus geworden, fragt Panorama?

Bilder, die über Leben und Tod entscheiden - Brustkrebs. Viele Radiologen entdecken den Tumor auf einer Mammographie erst viel zu spät. Einer, der sich auf das Lesen dieser Bilder spezialisiert hat, ist der Radiologe Dr. Toni Birtel. Er beschreibt den Alltag:

"Ich erlebe teilweise Frauen, die haben sechs-, sieben Zentimeter große Krebse, und man kann praktisch kaum etwas von außen tasten. Das fällt nur auf durch ganz feine, streifige Strukturen auf den Bildern."

Nur die wenigsten deutschen Radiologen erfüllen die strengen europäischen Leitlinien für eine gute Qualität. Irrtümer bei der Mammographie können tödlich sein.

Christel Hennig hat erlebt, was es bedeutet, einen Tumor zu übersehen. Seitdem sie fünfzig war, ging sie regelmäßig zur Mammographie. Trotzdem musste ihre linke Brust amputiert werden, weil der Tumor zu spät entdeckt wurde. Den linken Arm kann sie nur mit Mühe bewegen - eine Folge der Amputation.

"Zuerst war das wie so ein Schlag", schildert Christel Hennig. "Also ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen in der ersten Situation. Sicherlich hat der untersuchende Radiologe sein Möglichstes getan, aber das Mögliche ist dann vielleicht nicht genug."

Christel Hennig wohnt in Aachen. Eigentlich sollte dort die Brustkrebs-Früherkennung mittlerweile vorbildlich sein. Aachen war als erste Modellregion für ein Screening geplant, eine Reihenuntersuchung mit hohen Qualitätsstandards von Frauen zwischen 50 und 70. Zunächst unterstützten auch noch die Radiologen das Projekt.

So sagte Helmut Altland vom Berufsverband der Deutschen Radiologen am 27.8.99 noch:

"Grundsätzlich begrüßen wir die Projekte. Es ist ja klar, dass wir alles dafür tun müssen - gerade die Radiologen sind hier gefordert -, um die Früherkennungsrate des Brustkrebs´ in Deutschland zu verbessern."

Damals große Einigkeit. Doch trotzdem ist das Modellprojekt in Aachen gescheitert. Nach den Gründen fragte PANORAMA beim Radiologenverband. Vizechef Altland, zwei Jahren zuvor noch glühender Verfechter des Projekts, verweigert jetzt ein Interview.

Keine Erklärung für das Scheitern. Die Reporterin trifft ihn in einer Tiefgarage: "Eine Frage nur."

Die Reaktion von Helmut Altland: "Sie bekommen Schwierigkeiten mit meinen Anwälten. Ich habe Ihnen klipp und klar gesagt, dass Sie kein Interview von mir bekommen, und das ist rechtswidrig, was Sie hier machen. Sie haben widerrechtlich hier das Haus betreten."

Ende eines Gesprächsversuchs. Vorab hatte er am Telefon auf die Fragen nur ausweichend geantwortet.

Weshalb Altland vor der Kamera nichts sagen will, weiß ein anderer: Der Gynäkologe Dr. Peter Paul Hombach vom Berufsverband der Frauenärzte war damals bei den Verhandlungen dabei. Er kennt die Gründe für das Scheitern:

"Es ging dann später um die Umsetzung, und dann haben die Radiologen das wohl durchgerechnet und gesagt: Nein, also das rechnet sich nicht für uns, und wir gehen ein zu großes, finanzielles Risiko ein, und deswegen machen wir da nicht mehr mit und sind aus diesem Grund ausgestiegen."

Sofort fragt die Reporterin nach: "Und an die Frauen hat da keiner gedacht?"

"Das ist eine gute Frage", erwidert Paul Hombach. "Doch, wir schon, wir Gynäkologen hätten das weitergetragen. Aber wir waren in dem Moment nicht diejenigen, die das umzusetzen hatten, das waren die Radiologen."

Profit statt Qualität. Viele Radiologen aus der Region Aachen wollten in der eigenen Praxis weiter mammographieren. Mit 100 Mark pro Aufnahme ein gutes Geschäft - für die meisten Radiologen ein Viertel ihres Umsatzes. Doch höchste Qualität können nur Hightech-Zentren garantieren. Privatpraxen sind für diese Früherkennung ungeeignet.

Angela Spelsberg vom Tumorzentrum Aachen schildert das Problem: "Es muss eine Doppelbefundung organisiert werden, die also unabhängig voneinander stattfindet. Es muss ein Mengenkontingent erreicht werden. Es müssen tägliche Geräteprüfungen stattfinden. Alles diese Dinge sind für ein Einzelpraxis also nicht zu leisten."

Elf Radiologen unterschrieben den Antrag für das Modellprojekt. Fast zwei Jahre lang gab es Vorbereitungen und Arbeitsgruppen. Doch kurz vor dem Start war von ihnen plötzlich keiner mehr zu sehen.

"Es hat eine Sitzung gegeben", berichtet der Gynäkologe Peter Paul Hombach." Und in dieser Sitzung sind die Radiologen dann teilweise auch verschwunden, sie haben den Sitzungssaal verlassen und waren nicht mehr gesehen."

Auf die Frage der Reporterin, warum die Radiologen verschwunden seien, sagt es weiterhin: "Ja, weil sie sich dieser Verantwortung wohl auch nicht stellen wollten."

"Und das war die entscheidende Sitzung?", will die Interviewerin wissen. "Das war die entscheidende Sitzung", so Hombach "und danach ist keine Sitzung mehr gewesen, weil das Ganze eben gestorben war."

Die meisten der Aachener Radiologen, die damals an dem Screening-Projekt beteiligt waren, verweigern nun ein Interview vor der Kamera. Keine Erklärung für das Scheitern. Das Wohl der Frauen scheinbar Nebensache. Neue Modellprojekte in anderen Regionen sind zudem verzögert.

Helga Ebel von der Krebsberatungsstelle Aachen ist empört: "Sie müssen mal rechnen. Also in den zwei Jahren, die vergangen sind, bis die drei Modellregionen begonnen haben, da sind 7.000 Frauen unnötig gestorben. Und wenn man jetzt die Modelle abwartet, so wie es vorgesehen ist bis 2005, das sind dann 25.000 Frauen insgesamt in sieben Jahren. Also das ist nicht hinzunehmen."

Seit ihrer Operation plant Christel Hennig nur noch wenige Monate im voraus. Sie weiß, dass sie den Krebs noch nicht besiegt hat. Wäre der Tumor früher erkannt worden, wären ihre Überlebenschancen erheblich höher.

Einem Arzt traut sie nicht mehr: "Wenn ich jetzt zu einem Arzt zur Nachsorge gehe, und der sagt mir: Ja, ist alles okay, dann möchte ich das auch glauben können. Und heutzutage habe ich immer Zweifel. Ich denke dann immer: Ist es in Ordnung, oder hat er es nicht gesehen."

Diese quälende Unsicherheit könnte den Frauen erspart bleiben: mit einem Screening-Programm wie in anderen europäischen Staaten. Auch die Krankenkassen befürworten eine systematische Brustkrebsvorsorge, doch dafür benötigt man Spezialisten. Doch Jörg Bodanowitz von der DAK weiß: "Die Bereitschaft der Radiologen, sich zu spezialisieren, ist nicht besonders groß. Das liegt daran, dass es hier einen Verteilungskampf gibt um den Kuchen Mammographie. Hier geht es um sehr viel Geld, und hier möchten alle Radiologen partizipieren. Aber im Interesse der Patienten sollten sich die Radiologen unbedingt spezialisieren."

"Das deutsche Gesundheitssystem ist ja eines der teuersten der Welt", konstatiert Angela Spelsberg vom Aachener Tumorzentrum. "Wir sind ja mit unseren Ausgaben an dritter Stelle überhaupt. Was aber die Ergebnisse angeht, muss man sagen, bekommen wir nur mittelmäßige Qualität zurück. Wenn man jetzt überlegt, daß für die Mammographien, die jetzt gemacht werden, pro Jahr etwa 500 Millionen ausgegeben werden, dann muss man sich fragen: Also warum soll dann kein Geld für Screening da sein? Die Einführung eines Screening-Programmes würde weniger Geld kosten als das, was wir jetzt pro Jahr für die Mammographie aufwenden."

Qualität, die langfristig sogar billiger ist. Doch die Selbstverpflichtung der Ärzte macht ein Umdenken schwer. Die Aachener Frauen setzen deshalb auf politischen Druck. Sie fordern ein Gesetz, das die mammographierenden Ärzte zu mehr Qualität zwingt.

Dazu Helga Ebel von der Krebsberatungsstelle Aachen: "Beim Tiermehlfütterverbot waren sofort Gesetze, oder bei den Kampfhunden war über Nacht eine Verordnung da. Da sehen wir doch nicht ein, warum man hier immer weiter das verhindert und verzögert. Das ist doch eine ganz wichtige, lebensrettende Maßnahme für die Frauen in diesem Land. Und dass es geht, das sehen Sie ja in zwölf anderen europäischen Ländern. Also es müssen doch unterschiedliche Interessen hier vorliegen, und die sind ethisch nicht zu vertreten."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 19.07.2001 | 21:00 Uhr