Die Akte Joschka Fischer - Eine Journalistin auf Wahrheitssuche

von Bericht: Andreas Cichowicz, Volker Steinhoff

Außenminister Joschka Fischer ist angeschlagen. Nun werden ihn die Taten seiner Vergangenheit vermutlich nicht das Amt kosten. Über 80 Prozent der Deutschen, das belegen Umfrageergebnisse, wollen ohnehin, dass er es behält. Aber er wird moralisch und politisch daran gemessen, wie er jetzt mit der Wahrheit umgeht.

Denn von Joschka Fischer, dem deutschen Polit-Liebling, erwarten wir Aufrichtigkeit und genaues Erinnern, eben weil er kein glatter Karrierist ist, sondern ein Mann mit Brüchen im Lebenslauf, eben weil er auch gegen die Lebenslügen und das Verdrängen der Kriegsgeneration einmal auf der Strasse war. Und weil uns doch die Idee einer richtig gelungenen Resozialisierung oder auch die eines erfolgreiches Marsches durch die Institutionen so gut gefällt, fast ebenso wie die Idee, in einem Staat zu leben, in dem eine solche Biographie überhaupt möglich ist.

Aber wie immer, wenn es um seine Person, seine Vita geht, geht es gar nicht nur um ihn, sondern um eine Generation und ihren Umgang mit der Vergangenheit. Und damit beschäftigt sich eine Frau schon seit Jahren: die Tochter der Terroristin Ulrike Meinhof, Bettina Röhl. Sie behauptet, sie ertrage die gepflegte linke Schönrednerei nicht, in der zwar grundsätzlich Fehler von damals eingeräumt, aber die einzelnen Gewalttaten möglichst dem Vergessen anheim gegeben werden. Wie besessen verfolgt sie den Außenminister und konfrontiert ihn mit seiner Vergangenheit. Was treibt diese Frau, die auch vor zweifelhaften Methoden nicht zurückschreckt?

www.auswaertigesamt.de - Joschka Fischers offizieller Lebenslauf im Internet. Geboren 1948, das ist bekannt, doch dann: erst 1982 der nächste Eintrag. Die 34 Jahre dazwischen leer. Stattdessen jetzt Fotos aus jener Zeit - der heutige Außenminister als brutaler Schläger. "Das war ich" - Fischer scheint geständig.

Und die Frau, die Joschka Fischer auf den Fotos von 1973 entdeckt hat, ist die Journalistin Bettina Röhl: "Also, ich habe eine ganze Menge Interviews gemacht mit Weggefährten von Fischer, und das Wissen dort liegt eigentlich auf der Straße. Es dauerte nicht lange, bis irgendjemand ein Foto hervorzog und mir sagte: Ja, das sei auf diesem Foto Fischer."

Jetzt wird sie hart kritisiert, weil sie für diese Fotos viel Geld verlangte.

Das jedoch dementiert Bettina Röhl vehement: "Ja, es ist absolut falsch, das gehört zu den Verleumdungen, die so passieren. Ich bin niemals mit Fotos zu irgendwelchen Verlagen gegangen, sondern ich bin mit einer riesigen Geschichte gegangen."

Bettina Röhl entdeckte auch einen Film zu den Bildern von Fischers Prügelattacke in der Tagesschau, in dem der heutige Außenminister 1973 beim Zusammenschlagen eines Polizisten zu sehen ist. Der Polizist duckt sich, Fischer schlägt zu, wieder und immer wieder. Dann geht der Polizist zu Boden. Fischer tritt nach. Heute ist ihm das Ganze peinlich.

Joschka Fischer bekennt sich am 4. Januar 2001: "Ich denke, dazu muss ich stehen, dazu will ich stehen, dazu bin ich auch immer gestanden. Ich habe nie den Eindruck erweckt, dass es sich bei mir um einen Oberministranten gehandelt hat, der jetzt einer erstaunten Öffentlichkeit was anderes erzählen muss."

Dann noch eine Entschuldigung, doch Bettina Röhl reicht das nicht, sie will abrechnen - mit Joschka Fischer als Vertreter der 68er Generation, und zwar nicht nur journalistisch. Sie erklärt: "Ich habe eine politisches Anliegen. Ich finde, es wird nichts - da ist der Fall Fischer sozusagen exemplarisch - es ist ja fast so, als wenn bestimmte linke Vergangenheiten nicht, einfach nicht beleuchtet werden dürfen, nicht sollen, weil es bestimmte hohe Herren auch nicht so gerne sehen. Und ich denke mal, diese Mauer von Schweigen oder diese Mauer von Gemauschel zu durchbrechen, das wäre schon eine gute Sache."

Ob das, was sie jetzt als Journalistin tue, nichts mit ihrer Mutter zu tun habe, wollen wir wissen. Bettina Röhl ganz selbstverständlich: "Ich finde, das hat mit meiner Mutter natürlich gar nichts zu tun."

Bettina Röhl als Kind, im Schatten ihrer Mutter. Jene, die Deutschland in diesem Jahrhundert entzweit hat wie wenige andere Frauen: Ulrike Meinhof, Ikone der RAF. Erst eine Studentenaktivistin, dann linke Journalistin, kämpfte die hochintelligente Frau schließlich in der Baader-Meinhof-Gruppe. Die Karriere einer Terroristin. Das Ende: Selbstmord im Gefängnis.

Jetzt recherchiert ihre Tochter, damals ein Kind, die Sünden der Linken. Die einstigen Mitkämpfer ihrer Mutter - für sie keine Vorbilder. Im Gegenteil - Bettina Röhl: "Ich bin mit 14 Jahren schon gefragt worden: Ja, Bettina, du musst jetzt kämpfen. Und ich habe damals schon gesagt: Moment mal, also meine Mutter ist gerade in diesem Kampf gestorben, und bevor ich irgendetwas mache, bevor ich irgendwie einfach hinterherplapper, dass der Staat schlimm ist, da möchte ich erst mal länger überlegen."

Überlegung, Distanz, Aufarbeitung - deshalb Spurensuche bei den Frankfurter Aktivisten aus den 70er Jahren. Bettina Röhl hatte damals gerade die Grundschule verlassen, ein anderer war schon erwachsen, militant und links: Joschka Fischer. Wie viele aus seiner Generation protestierte auch er gegen den Vietnam-Krieg, alte Nazis in der Regierung und Grundstückspekulanten in den Innenstädten. Wer protestierte galt als Politrocker, bekam schnell mal einen Polizeiknüppel ab, wurde zum Buhmann, vogelfrei für den Pöbel.

Ein Mann hat da eine ganz persönliche Meinung: "Die gehören ins Arbeitshaus bzw. mit Knüppeln runterjagen. Anders sind die gar nicht mehr totzukriegen. Bei Adolf hätte es so was nicht gegeben."

Auch Fischer wurde militant, griff zu Steinen und Knüppeln gegen die Staatsgewalt, weil er selber verprügelt wurde. Fischer: "Zuerst mal ging es uns darum, aus der Opferrolle rauszukommen, das heißt: zu versuchen durch Organisationen, wie wehrt man sich dagegen, dass man immer nur verdroschen wird."

Vom Anarcho zum Außenminister - auf dem Weg dahin hat er einiges verdrängt, behauptet Bettina Röhl und erhebt neue Vorwürfe: "Ich finde es nicht normal, Molotow-Cocktails zu werfen, und ich finde es noch weniger normal, wenn es möglich sein könnte, dass unser Außenminister mal welche geworfen hat. Das ist alles."

Ihr Verdacht: Fischer habe Molotow-Cocktails auf dieser Demonstration zum Tod von Ulrike Meinhof, Bettinas Mutter, geworfen. Beweise dafür nennt sie nicht. Unbestritten aber der Ablauf dieser Demonstration. Rücksichtslose Angriffe auf Polizisten mit Brandbomben, Molotow-Cocktails. Der Polizist Jürgen Weber wird getroffen, überlebt nur knapp, mit schwersten Verbrennungen. Sein damaliger Vorgesetzter erinnert sich:

Der damalige Hundertschaftsführer Horst Breunig erinnert sich: "Dann kam das ganz Fürchterliche: Das dritte oder vierte Geschoss schlug in den Streifenwagen, der sich an einem Betonpfeiler festgefahren hatte, ein. Herr Weber schrie ganz fürchterlich, ich habe noch nie einen Menschen in seiner Todesangst schreien hören vorher. Und mir ist heute noch in Erinnerung, wie er zu dem Kollegen schrie: Klaus, Klaus, erschieß mich, ich halte die Schmerzen nicht aus."

Damals unter Verdacht wegen versuchten Mordes: Josef Martin Fischer.

Fischer wird gefasst, doch kurz darauf wieder freigelassen: keine Beweise. Immerhin, das Ganze ist bis heute nicht verjährt. Fischer bestritt die Tat damals, und er bestreitet sie heute. "Ich bin es nicht gewesen", versicherte er dem SPIEGEL. Aber seit zwei Jahren wird spekuliert, Fischer sei an der Vorbereitung der Molotow-Attacke beteiligt gewesen. Auch das bestreitet er energisch.

Fischer im Interview: "Das, was mir da vorgeworfen wird, das, habe ich gesagt, kann ich aus meiner Erinnerung, soweit mein Erinnerungsvermögen reicht, ausschließen, weil es nicht weder vom Stil her, noch das, was ich getan habe, war."

Diese Aussage konnte bis heute keiner widerlegen, obwohl viele Journalisten nach Zeugen suchen. Mit dabei Bettina Röhl: "Ich glaube, dass Joschka Fischer Angst hat, weil er natürlich ganz genau die Situation kennt, und er weiß ja auch, was er getan hat, und er weiß ja auch, welche unglaubliche Masse von Leuten aus der früheren Szene ein bisschen was wissen über ihn - und nicht nur ein bisschen, sondern auch sehr viel. Und das ist ein bisschen, würde ich mal sagen, ein offenes Schachspiel."

Und in diesem Schachspiel schreckt Bettina Röhl vor keiner Attacke zurück. Sie wendet sich an den Bundespräsidenten, bittet um Unterstützung, kündigt Strafanzeigen an, erhebt immer neue Vorwürfe, kündigt weitere Enthüllungen an. Die zunehmende Kritik irritiert sie nicht.

Bettina Röhl über die Öffentlichkeit: "Ich finde, die Medien, das ist eine Hetzkampagne, die ist objektiv da. Ich kann nur sagen, es ist alles falsch, kein Mensch hat mich gefragt, und gegen diese Psychose, die da losgeht, kann ich auch nichts machen."

Sie sucht fast fanatisch weiter nach Beweisen und Zeugen von damals. Es gibt viele, die mit Fischer Kontakt hatten, auch Elisabeth H., damals eine Hausbesetzerin im Frankfurter Kettenhofweg.

Noch 1973 forderte Elisabeth H.: "Wir wollen, dass dieses Haus erhalten bleibt. Wir wollen, dass keine Luxuswohnungen gebaut werden."

Das ist Elisabeth H. heute. Seit Jahren lebt sie im Ausland. Dort hat Bettina Röhl sie entdeckt. Elisabeth H. hat an Joschka Fischer gute Erinnerungen.

Die ehemalige Hausbesetzerin Elisabeth H. erklärt: "Ich habe keine unsympathischen Gefühle gehabt gegenüber Joschka Fischer, weil ich ihn als einen sehr interessanten und wichtigen politischen Denker ja auch erlebt habe damals."

Sie erinnert sich aber auch an ihre Auseinandersetzungen mit Joschka Fischer zur Gewaltfrage. Als die Räumung ihres Hauses bevorstand, wollten sie und ihre Bewohner keine große Schlacht mit der Polizei. Eine Truppe um Joschka Fischer sah das anders. Nur mit Barrikaden hätten die Besetzer wenig Chancen. Er und seine Mitstreiter hätten erstmals für den Einsatz von Molotow-Cocktails plädiert, erinnert sich Elisabeth H.. Sie wurde zu ihnen geschickt, mit dem Ziel, dies zu verhindern.

Elisabeth H. erinnert sich: "Für uns war der Einsatz von Molotow-Cocktails eine Schwelle, die wir nicht überschreiten wollten. Das war etwas, was wir nicht wollten, auf keinen Fall."

Auf die Frage von Bettina Röhl, wer denn ihr Hauptgesprächspartner war, antwortet H.: "Joschka Fischer." Für was genau er sich eingesetzt habe, will die Journalistin wissen. Elisabeth H. erinnert sich weiter: "Ja, dass das Haus mit - unter anderem mit Gewalt noch zu verteidigen sei. Ja, der Vorschlag war, bis - so weit zu gehen, auch Molotow-Cocktails einzusetzen, um das Haus zu verteidigen. Sie wollten als Gruppe eine Art Verteidigungs-Avantgarde bilden. Also die wollten nicht, dass wir uns bewaffnen, die wollten als Gruppe, ja, wenn man so will, diesen Dienst tun."

Schließlich gaben die Militanten um Fischer nach: keine Molotow-Cocktails.

Elisabeth H. fährt fort: "Das war sehr lang, die Diskussion dauerte also mindestens vier Stunden, wenn ich mich richtig erinnere. Es war nicht leicht, sie zu überzeugen."

Im Klartext: Diese Frau erinnert sich an Vorgänge, die Fischer noch vor einer Woche im SPIEGEL heftig dementierte. "Können Sie denn ausschließen, dass Sie für Molotow-Cocktails waren?" Fischer: "Das hat nicht meiner Haltung und Überzeugung entsprochen, insoweit kann ich das ausschließen."

Die ehemalige Hausbesetzerin gab dieses Interview nur, weil sie den aktuellen Streit um Fischer nicht kannte, sie wohnt im Ausland. Als sie jetzt Kenntnis von der Kontroverse um Fischer erhielt, wollte sie, dass "Panorama" ihre brisanten Erinnerungen nicht ausstrahlt. Dies teilte sie - rechtlich unbegründet - der Reaktion per Fax mit. Bettina Röhl aber wittert noch mehr.

Die Journalistin: "Dazu muss man einfach wissen, dass, wenn Fischer so dafür plädiert, natürlich eine Logistik da gewesen sein muss. Und das habe ich wiederum auch von vielen anderen gehört, die mir auch erlaubt haben, das zu sagen, auch wenn ich jetzt im Moment ihre Namen noch nicht sagen möchte."

Bettina Röhl eilt zum nächsten Termin. Sie wird sich wieder kritischen Fragen stellen müssen, über ihre umstrittenen Methoden, ihr verbissenes Engagement, ihre Vergangenheit und über ihre selbstgewählte Rolle als Frau, die Joschka Fischer jagt.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema:

Autobiographie von Joschka Fischer:

"Mein langer Lauf zu mir selbst", Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1999

Buchtipp:

Christian Schmidt: Wir sind die Wahnsinnigen...". Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang, Econ Verlag, München 1998

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.01.2001 | 21:00 Uhr