Dauerskandal um BSE - die Chronik des politischen Versagens

von Bericht: Nicola von Hollander, Stephan Stuchlik

Der Rinderwahnsinn hat uns neue Minister beschert. Die Opposition hatte die Rücktritte von Fischer und Funke schon lange gefordert. Aber bevor sich die Neuen nun ans Regieren machen, möchten wir noch einmal daran erinnern, wie es die Regierung denn in den vergangenen Jahren so gehalten hat mit der Rinderseuche. Denn BSE fiel ja bekanntlich nicht plötzlich vom Himmel, auch wenn jetzt gern von der "Katastrophe" geredet wird oder von einer "Tragödie". Nichts dergleichen ist richtig. Es ist einfach das Ergebnis einer ignoranten, zum Teil auch skrupellosen Landwirtschaftspolitik, die auch in dem Bundesland gepflegt wurde, in dem bisher die meisten BSE-Rinder gefunden wurden, in Bayern. Dort haben die zuständigen Minister ebenfalls nicht zum richtigen Umgang mit der Seuche gefunden. Aber dort blieb man bisher weitgehend unbeeindruckend. München ist eben nicht Berlin, sagt Herr Stoiber.

Dauerskandal um BSE: Chronik des politischen Versagens
Die EU sei Schuld, behaupten fast alle Minister. Und das Ausmaß des BSE-Risikos sei erst seit kurzem bekannt. Beides ist falsch.

Berlin, Dienstagabend, 18 Uhr. Andrea Fischer tritt zurück - persönliche Konsequenz aus ihren Fehlern in der BSE-Krise. In München findet zur selben Zeit ein Panorama-Interview mit der bayerischen Gesundheitsministerin Barbara Stamm statt. Auf die Frage, ob das für sie nicht auch eine Konsequenz wäre, die sie ziehen müsste, antwortet Frau Stamm: "Ich bin meiner Verantwortung und meiner Pflicht nachgekommen. Ich habe zu dem Zeitpunkt immer das gemacht, was ich wusste."

Berlin, 19.30 Uhr. Landwirtschaftsminister Funke geht - Konsequenz aus eigenem Fehlverhalten. Am gleichen Abend in Wildbad-Kreuth: Schuld waren andere. Der bayerische CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber: "Ich glaube, dass München nicht Berlin ist und Berlin nicht München ist."

Rinder auf einer Weide © dpa

Also keine Konsequenzen. Dabei gehen mittlerweile sogar die bayerischen Bauern gegen ihre Landesregierung auf die Straße. Bayern ist das Bundesland mit den meisten BSE-Fällen. Aber bei der Regierung Stoiber keine Selbstkritik, im Gegenteil: Schuld haben die, die auf Mängel hinweisen.

Der Ministerpräsident weiter: "Es ist, gelinde gesagt, wirklich eine Unverschämtheit, dass die Europäische Union in einem nicht autorisierten Bericht Dinge, die sie selbst mit zu verantworten hat, alleine den bayerischen Vollzugsbehörden in die Schuhe schiebt."

Stoiber will vom verheerenden Zeugnis ablenken, das ihm die EU noch im September ausgestellt hat:

Hierzu einige Zitate: "Es ist einfach unverständlich, wie in Bayern mit dem BSE-Problem umgegangen wird." Und: "Diese Praktiken haben im Ergebnis sicher dazu geführt, dass jetzt mehrere Rinder in Bayern mit BSE infiziert sind."

Die Europäische Union ist nicht nur für die bayerische Regierung ein willkommener Buhmann in Sachen BSE. Dabei war es die EU, die seit Jahren von den Mitgliedsländern Vorsorgemaßnahmen gegen BSE fordert. Doch gerade die deutschen Minister haben solche Vorstöße gerne blockiert, wie beipielsweise 1996 das Separatorenfleisch.

Die Industrie verwende sogar die Fleischfetzen, die beim Zerlegen noch am Knochen hängen bleiben. Diese Reste werden später mit Maschinen von den Knochen gefräst, das sogenannte Separatorenfleisch. Vor diesem Fleisch warnen Wissenschaftler der EU in einem Papier von 1996: BSE-Infektionsgefahr.

Als außerordentlich problematisch werde daher die Praxis einiger Mitgliedsländer eingeschätzt, in denen dieses Fleisch zu Wurstwaren weiterverarbeitet werden darf.

Doch in Deutschland kommt trotz dieser Warnung Separatorenfleisch weiterhin in die Wurst. Das Gesundheitsministerium hätte schon damals die gefährliche Abfallverwertung stoppen können.

Dagmar Roth-Behrendt, von 1996 bis 1997 Mitglied im BSE-Untersuchungsausschuss berichtet: "Jeder Mensch, ich auch habe seit 1996 gesagt: Separatorenfleisch, das heißt: Mechanisch abgefrästes Fleisch von den Knochen ist gefährlich. Das hat niemand hören wollen, das hat Herr Seehofer nicht hören wollen."

Der ehemalige Gesundheitsminister aber unternahm damals nichts, trotz dringender Warnungen von deutschen und europäischen Experten. Ein Interview zu diesem Versagen lehnt Seehofer ab.

1979 - Risikomaterial: In Großbritannien muss bei jeder Schlachtung Rückenmark und Hirn entfernt werden. Diese Vorschrift wollte die EU-Kommission auf ganz Europa erweitern.

"Die Kommission schlägt vor, Gewebe, die bei BSE oder Scrapie-infizierten Tieren mit hoher Wahrscheinlichkeit infektiös sind, vollständig aus der Nahrungs- und Futtermittelkette zu entfernen."

Risikomaterial entfernen, dagegen sträubte sich der damalige Landwirtschaftsminister. Dagmar Roth-Behrendt erinnert sich: "Deutschland war an vorderster Front oder an erster Stelle derer, die gesagt haben: auf keinen Fall Entfernung von Risikomaterial. Und das hat die frühere Regierung messerhart vorangetrieben."

Jochen Borchert, fünf Jahre Landwirtschaftsminister, sagte ein bereits zugesagtes "Panorama"-Interview zu diesem Thema wieder ab. Borchert verhinderte noch mehr, wie zum Beispiel 1998 den Schnelltest. Vor zwei Jahren schon hielt die EU flächendeckende Tests auf BSE für dringend erforderlich. Die Kommission empfohl, den Schnelltest in der gesamten EU einzusetzen. Aber wieder blockierte Borchert in Brüssel - auch dazu kein Interview.

August 2000 - Bayern gegen Brüssel: Die Vorschrift zur Entnahme von Risikomaterial wird endlich europaweit vorgeschrieben, Deutschland ist überstimmt. Aber immer noch gibt es deutsche Minister, die so etwas verhindern wollen. So die bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm. Sie forderte die Bundesregierung im August gar auf, gegen Europa zu klagen.

Auf die Frage, ob es ihr im Nachhinein leid tue, antwortet Barbara Stamm: "Ich glaube, das habe ich jetzt nicht nur einmal, sondern wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ich im Nachhinein einmal einen solchen Inhalt eines Briefes, was das Risikomaterial anbelangt, nicht mehr schreiben würde." Im August hätte aber auch in München längst klar sein müssen, dass Bayern nicht BSE-frei sein kann. Doch die Staatsregierung blockierte weiter.

Dazu Friedrich Graefe zu Baringdorf von den Bündnis 90/Die Grünen und von 1996 bis 1997 Mitglied im BSE-Untersuchungsausschuss: "Frau Stamm, die noch im Oktober in Brüssel - und das ist protokollarisch belegt - gesagt hat: Bayern wird keine Maßnahmen gegen BSE ergreifen, weil wir kein BSE-Problem haben."

Auf dieses Versagen angesprochen - eine eindeutige Reaktion von Barbara Stamm: "Wissen Sie, ich mag jetzt nicht mehr, tut mir schrecklich leid."

Edmund Stoiber hat sich heute noch einmal vor seine Minister gestellt. Das hat Gerhard Schröder bei seinen beiden Ministern auch ziemlich lange gemacht, bis er sie zum Rücktritt zwang. Schau'n mer mal.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.01.2001 | 21:00 Uhr