Betrogen durch Betreuer - wenn alte Menschen hilflos werden

von Bericht: Gregor Petersen, Dörte Schipper

Wenn die Kräfte nachlassen, wenn der Körper immer schwächer wird, wenn das Gedächtnis plötzlich Aussetzer hat, wenn wir unser Leben aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen können, also wenn wir alt werden, dann stellt sich irgendwann die Frage: Was wird aus uns?

Auch Unfallopfer mit Langzeitschäden müssen sich, oft auch schon in jüngeren Jahren, mit diesem Problem auseinandersetzen. In vielen Fällen wird dann vom Vormundschaftsgesetz eine gesetzliche Betreuung angeordnet.

Früher wurden solche Menschen entmündigt, heute wird ihnen jemand zur Seite gestellt, der sich um Geld, Papiere, um Einkäufe, Versorgung und so weiter kümmern soll. Zur Zeit sind es rund 900.000 Menschen in Deutschland, denen ein amtlich bestellter Betreuer zugewiesen wurde - nicht immer zum Besten der Bedürftigen, wie Dörte Schipper und Gregor Petersen dokumentieren.

Emkendorf in Schleswig-Holstein. Seit über vierzig Jahren lebt die 86-jährige Agnes Bednarz in diesem Haus. Im letzten Jahr musste die alleinstehende alte Frau ins Krankenhaus. Ihr Horrortrip beginnt. In der Klinik erscheinen ein Amtsrichter und ein Arzt.

Der Amtsrichter. Er beschließt: Über das Vermögen und die Bleibe von Frau Bednarz soll in Zukunft eine amtliche Betreuerin entscheiden. Was die Betreuerin mit ihr vorhatte - Agnes Bednarz sagt, sie wusste von nichts: "Sie hat nicht mal ein Wort mit mir gesprochen, nicht ein Wort. Sie hat nur da gesessen, und bestimmt, sie hat nichts gesagt, nie."

Die Betreuerin veranlasst: Vom Krankenhaus wird sie ins dreißig Kilometer entfernte Rickert gebracht, ein Therapiezentrum für Schädel-Hirn-Verletzte und Komapatienten. Warum ausgerechnet hierher?

Agnes Bednarz bekommt starke Beruhigungsmittel. Die Tropfen, sagt sie, mischt sie irgendwann unter ihre Essensreste. Und den Tabletten misstraut sie auch. Viel habe sie nicht genommen, sie habe die Tabletten unter's Bett geschmissen. Sie bekamen ihr nicht und außerdem wurde sie immer so dusselig danach, fährt sie fort.

Die Nachbarin Ingeborg Kuchenbecker will Frau Bednarz im Heim besuchen, aber sie darf nicht rein. In der schriftliche Begründung wird ihr per Fax mitgeteilt, dass Frau Bednarz aus gesundheitlichen Gründen drei Wochen keinen Besuch erhalten darf. Mit freundlichem Gruß von Frau Tiedtke unterschrieben. Aus gesundheitlichen Gründen - aber sie war ja nicht krank, ihr fehlte ja nichts, weiß die Nachbarin.

Die Verfasserin des Faxes, Betreuerin Tiedtke, gibt ein Interview, aber nur mit ihrem Anwalt.

Auf die Frage, warum Frau Bednarz eigentlich keinen Besuch empfangen durfte, erklärt, Bettina Tiedtke, dass dies nicht stimmen würde.

Wieso dann das Fax mit Ihrem Absender, wollen wir wissen. Barbara Tiedtke: "Das ist eine gute Frage, da fällt mir so schnell auch nichts zu ein." Auch der Anwalt weiß nicht so recht.

Der Bürgermeister. Die Nachbarin erzählt ihm vom Besuchsverbot. Er schaltet die Heimaufsicht ein, powert so lange, bis er und die Nachbarin Agnes Bednarz endlich besuchen dürfen.

Ein andere Nachbarin macht derweil merkwürdige Beobachtungen am leerstehenden Haus von Frau Bednarz. Ständig kommen die Betreuerin und ein Begleiter. Sie wird misstrauisch, fängt an, Buch zu führen. Achtmal in drei Wochen sind sie im Haus. Suchen die da drin nach Wertgegenständen, Bargeld, Sparbüchern? Und dann machen sie auch noch Fotos. Die Nachbarin Annemarie Ramm erinnert sich: "Da dachte ich, nun wird alles verkauft, nun wird sie alles los, wo sie so sehr gehangen hat und das sie auch nicht hergeben will."

Gerade zwei Wochen ist die alte Frau im Heim, da stellt Betreuerin Tiedtke beim Amtsgericht den Antrag auf Hausverkauf. Unverständlich: Agnes Bednarz ist doch nur zur Kurzzeitpflege im Heim, will zurück nach Hause, das sagt sie immer wieder.

Der Amtsrichter stimmt schließlich einem Betreuerwechsel zu, auf Veranlassung des Bürgermeisters. Mittlerweile ist Agnes Bednarz wieder zu Hause. Was ihr fehlt, ist Geld vom Sparbuch. Angeblich hat Betreuerin Tiedtke unter anderem für 1.000 Mark im Second-Hand-Laden Klamotten für sie gekauft.

Doch Agnes Bednarz weiß: "So wie ich dahin gekommen bin, so bin ich auch wieder nach Haus gekommen. Keine Jacke, kein Hemd, ich hab' nichts bekommen, gar nichts.

Dass Frau Bednarz sagt, dass sie diese Kleider hat nie bekommen habe und wo die eigentlich geblieben geblieben seien, hört Barbara Tiedtke zum ersten Mal und möchte dazu eigentlich auch nichts zu sagen.

Dieselbe Betreuerin, ein anderer Fall. Ehepaar Kruse aus Hamburg. Ein Jahr war Barbara Tiedtke die Betreuerin von Gerd Kruses Mutter. Dann kam es zum Streit, und der Sohn hat die Betreuung seiner Mutter selbst übernommen. Angefangen hat alles damit, dass dem zuständigen Amtsgericht die Stundenabrechnung von Betreuerin Tiedtke zu hoch erscheint. Der Rechtspfleger streicht 3.000 Mark Honorar. Barbara Tiedtke meldet sich daraufhin bei Kruses.

Gerd Kruse erinnert sich: "Wir erhielten ein Schreiben von Frau Tiedtke, in dem sie klar zum Ausdruck brachte, dass wir doch diese Beträge, die Differenz, die das Amtsgericht also nicht gezahlt hat, übernehmen sollten."

Kruses sind dazu nicht bereit. Seit er Betreuer ist, hat Gerd Kruse Einblick in die Akte seiner Mutter. Als Erstes stolpert er über diverse Barabhebungen von Betreuerin Tiedtke. Insgesamt, sagt er, waren es 6.500 Mark, sechs Barabhebungen, fünf à 500 Mark und eine à 4.000 Mark, für die es nicht in irgendeiner Form Belege gebe.

Weiter geht es mit Märchenstunden, die Gerd Kruse so kommentiert: "Sie hat hier eine Aufstellung gemacht über angebliche Vorlesestunden einer Marion und rechnet insgesamt, inklusive Fahrkosten, hier über einen einfachen Rechenstreifen 887,06 Mark ab, mit dem Vermerk: Bar bezahlt."

Ohne Quittung und Marion ohne Nachnamen, ohne Adresse. Gerd Kruse übergibt die Akte seinem Rechtsanwalt und stellt Strafanzeige. Insgesamt, sagt der Anwalt, beläuft sich die strittige Summe auf mindestens 10.000 Mark. Irritierend findet er vor allem, dass die Belege vom Rechtspfleger des Amtsgerichts nicht beanstandet wurden.

Der Anwalt Einart von Harten hat kaum Verständnis: "Es ist kaum verständlich, weil hier doch einige Dinge sehr offen zu Tage treten, dass etwas nicht in Ordnung sein kann. Und das gehört natürlich auch zu den Aufgaben des Rechtspflegers beim Amtsgericht, solchen Dingen nachzugehen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass hier etwas nicht richtig abgerechnet worden ist.

In der Nähe von Rendsburg sind die Kruses zu Besuch bei der Mutter im Altenheim. Die Strickjacke, die ihr der Sohn anlegt, findet Maria Kruse sehr hübsch.

Die Akte seiner Mutter hat Gerd Kruse extra mitgebracht, denn da gibt es noch ein Schreiben, angeblich von seiner Mutter unterschrieben, gerade zwei Tage, nachdem sie im Heim eingeliefert wurde: "Ich, Maria Kruse, wünsche, dass Frau Tiedtke wöchentlich zu Besuch kommt. Ihre dafür aufgewendete Zeit soll sie sich aus meinem Vermögen mit 60 Mark je Stunde bezahlen." Auf die Frage, ob die alte Frau Kruse zu dem Zeitpunkt überhaupt in der Lage gewesen sei, so etwas zu unterschreiben, antwortet Helga Pstrong, die Pflegeleiterin: "Das halte ich für unmöglich, zumal eben Frau Kruse auch dieses Schulter-Arm-Syndrom hatte, weswegen sie gekommen ist, und das betraf die rechte Schulter und den rechten Arm. Von daher kann sie schon mal körperlich gar nicht in der Lage gewesen sein, denke ich, das zu unterschreiben. Sie konnte nicht essen, sie musste gefüttert werden. Und von daher, denke ich, kann man dann auch keine Unterschrift leisten.

Knapp 2.000 Mark, kassiert von einer wehrlosen alten Frau, zusätzlich zu dem Betreuerhonorar.

Dies war der letzte Besuch für Gerd Kruse bei seiner Mutter. Wenige Tage später stirbt sie. Aber für den Sohn ist die Geschichte noch nicht vorbei. Er kämpft weiter gegen die Betreuerin und für das Recht seiner Mutter.

Barbara Tiedtke, die herzlose Betreuerin, ist übrigens nach wie vor im Dienst und betreut - "betreut" - weiterhin Bedürftige.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.01.2001 | 21:00 Uhr