40 Jahre Panorama - Skandale, Affären, Enthüllungen

von Bericht: Anja Reschke

Panorama ist jetzt genau 40 Jahre alt. 1961 ging das älteste Politikmagazin im deutschen Fernsehen zum ersten Mal auf Sendung. Nun malt Erinnerung ja bekanntlich mit goldenem Pinsel, deshalb ist sie so manches Mal auch mit Vorsicht zu genießen. Dennoch möchten wir Ihnen noch einmal etwas von den guten alten Fernsehzeiten vorführen, von denen viele ja nur mit Sehnsucht in der Stimme sprechen. Damals, als es noch klare Fronten, klare Feindbilder gab und ohnehin alles viel besser war. 40 Jahre Aufklärung, Affären und Agitation.

40 Jahre Panorama - Skandale, Affären, Enthüllungen
Ein Rückblick von 2001 auf 40 Jahre Panorama. 1961 ging das Politikmagazin zum ersten Mal auf Sendung.

Es ist der 4. Juni 1961. Nach einem Vorbild aus dem englischen Fernsehen wird in der ARD eine neue Sendung ausgestrahlt - Panorama. Das ist jetzt 40 Jahre her. Die Moderatoren wechselten - die Angriffslust blieb.

Gert von Paczensky:

Leiter und Moderator 1961-1963

"Nun wollen wir uns noch ein wenig mit der Bundesregierung anlegen."

Rüdiger Proske:

Leiter und Moderator 1963-1964

"Um Panorama hat es in der vergangenen Woche viel Aufregung gegeben."

Eugen Kogon:

Leiter und Moderator 1964-1965

"Die Sendung hat den Sinn, ja, ich möchte sagen, mit Salz die Demokratie schmackhaft zu machen."

Joachim Fest:

Leiter und Moderator 1965-1966

"Guten Abend, meine Zuschauer. Die Wahlen in Bayern sind vorüber."

Peter Merseburger:

Leiter und Moderator 1967-1975

"Guten Abend, meine Damen und Herren. Panorama 1967 ist wachsam und kritisch, aber fair."

Gerhard Bott:

Leiter und Moderator 1975 -1977

"Keine guten Aussichten für Panorama und viele unserer Kollegen, meine Damen und Herren."

Winfried Scharlau:

Leiter und Moderator 1978-1981

"Unfair zu sein, nicht objektiv zu berichten, unfreundlich zu handeln."

Peter Gatter:

Leiter und Moderator 1981-1987

"Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich verspreche Ihnen anstrengende, aber politisch spannende 45 Minuten."

Joachim Wagner:

Leiter und Moderator 1987-1997

"Guten Abend, meine Damen und Herren. Es ist eine gute Tradition im deutschen Journalismus, grundsätzlich nicht über das Privatleben von Politikern zu berichten."

Patricia Schlesinger:

Moderatorin 1997-2001

"Guten Abend, willkommen zu einer neuen Ausgabe von Panorama."

Panorama - eine Sendung, die immer schon viel Ärger machte, auch den Justitiaren und Intendanten des NDR - und den Politikern sowieso. Um viele Ausgaben gab es Aufregung.

Als Panorama in den 60ern einen Beitrag die Bildzeitung kritisierte, schoss die zurück, wetterte fast täglich gegen die angebliche Fernsehdiktatur von Panorama. Die Angriffe von Bild richteten sich vor allem gegen den Moderator Gert von Paczensky, mit der Forderung: Der Spitzbart muss weg.

Worauf Gerd Paczensky meinte: "Das fand Bild geschmackvoll und witzig, mit ihrem ‚Der Spitzbart muss weg' nicht Ulbricht zu meinen, sondern Paczensky, jedenfalls solange das in Panorama so lief."

1962 die Spiegelaffäre. Panorama zeigte, wer hinter dem Maulkorb für Spiegelchef Rudolf Augstein steckte, griff damit die Regierung und deren Minister Franz Josef Strauß an. Das war zu viel: Panoramachef Paczensky musste gehen. Sein Nachfolger, Rüdiger Proske informierte in der nächsten Panorama-Ausgabe über alle Einzelheiten: "Der Vertrag meines Kollegen Gert von Paczensky lief am 31. Oktober dieses Jahres aus. Der Intendant des NDR wollte Paczensky einen Anschlussvertrag geben. Dazu bedurfte er, da Paczensky leitender Angestellter ist, der Zustimmung des Verwaltungsrates. Unter Nutzung bestimmter Vorschriften der Geschäftsordnung lehnte der der CDU zugehörende oder zuzurechnende Teil des Verwaltungsrates des Norddeutschen Rundfunks eine Verlängerung des Vertrages für Paczensky ab. Der Eklat war da."

Der nächste Eklat. Wieder Franz Josef Strauß. Er hatte öffentlich Demonstranten als Tiere beschimpft - ein Thema für Panorama. Die Redaktion recherchierte und wies Strauß und dem damaligen Bundeskanzler Georg Kiesinger die Nähe zur NPD nach. Damaliger Originalkommentar von Gerhard Bott: "Für Strauß wie auch für seinen Kanzler Kiesinger steht der Feind traditionsgemäß links, auf dem rechten Auge sind sie blind."

Peter Merseburger erinnert sich: "Der hat zu einem wahnsinnigen Wutaufschrei geführt, glaube ich, und dann hat die CDU/CSU verlangt, ich sollte nicht mehr Panorama moderieren."

So weit kam es nicht. Aber dann wurde Panorama die Ausstrahlung eines Beitrags über Abtreibung verboten. Die Autorin war Alice Schwarzer. Ihr damaliger Originalkommentar:

"Während des Eingriffs erklärt der Arzt der Frau jeden Handgriff, denn die psychologischen Umstände sind dabei mindestens ebenso wichtig wie die neue Technik. Frauen sollen dank der Information nicht länger hilflos ausgeliefert sein, sondern verstehen und aktiv mitmachen können."

Die Panorama-Zuschauer sollten diese Bilder nicht sehen. Die Intendanten der ARD fanden allein das Thema unzumutbar. Für die Panorama-Redaktion war das schlicht Zensur. Aus Protest blieb das Studio leer.

Tagesschau-Sprecher Jo Brauner damals: "Peter Merseburger und die Autoren der Sendung betrachten die solchermaßen veränderte Panorama-Sendung nicht mehr als eine, die sie präsentieren und moderieren wollen. Die Moderationstexte werden deshalb verlesen."

Danach hatte der NDR seine größte Krise zu bestehen - wieder einmal ausgelöst durch Panorama. Das Atomkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein war Anlass für Proteste und Panoramaberichte. Panorama kritisierte Polizei und Politiker, hatte viel Sympathie für die Demonstranten, fragte nach der politischen Verantwortung. Ein unerhörter Angriff gegen die Staatsgewalt, fand der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg. Panorama - seiner Ansicht nach zu einseitig.

"Wir stellen in der Wirklichkeit des NDR fest, dass es insbesondere in politisch meinungsbildenden Sendungen, etwa im Fernsehen, doch eine Einseitigkeit in der Grundtendenz gibt, die Überbetonung sogenannter linker gesellschaftskritischer Positionen.", so Stoltenber 1978.

Das klang zwar moderat, aber Stoltenberg meinte es bitter ernst.

Jo Brauner damals: "Kündigung des Staatsvertrages über den Norddeutschen Rundfunk. Die CDU-Landesregierung in Schleswig-Holstein hat ihre Ankündigung wahr gemacht und den Vertrag mit Hamburg und Niedersachsen zum Jahresende 1980 gekündigt."

Niedersachsen, ebenfalls CDU-regiert, zog nach. Auf einen Schlag schien der NDR ein kleiner Hamburger Stadtsender. Die Bevölkerung protestierte. Zwei Jahre später hebt das Bundesverwaltungsgericht in Berlin die Staatsvertragskündigung wieder auf. Der NDR hatte überlebt.

Und immer neue Skandale. 1997, ein Panorama-Beitrag über die Telekom und die Gebührenerhöhung fürs Kabelfernsehen. Die Telekom kündigt auf einen Schlag alle Werbeverträge in Höhe von 30 Millionen Mark mit der ARD. Ihr Vorwurf: Dieser Werbespot sei missbräuchlich verwendet worden. Aber der NDR blieb hart, zog den Bericht nicht zurück und stand auch diese Krise durch.

Panorama und die Politiker - seit 40 Jahren schimpfen Regierende über diese Sendung.

Franz Josef Strauß war damals dieser Meinung: "Es waltet ein Unstern über der Sendung Panorama."

Herbert Wehner (SPD) seinerzeit: "Die Leute, die hier von Panorama sitzen und sich jetzt einen Jux machen, weil sie in nächster Zeit dazu eine Sendung machen wollen, die mögen das ruhig mithören."

Gerhard Bott fragte den CDU/CSU-Medienexperten Hans Hugo Klein: Da ich Sie ganz konkret fragen: Wäre die ARD nach Ihrer Auffassung ausgewogener, wenn es Panorama nicht gäbe?" Klein antwortete: "Das würde ich sagen, ja."

Oskar Lafontaine befindet sich also in guter Gesellschaft. Nach Berichten über die sogenannte Rotlichtaffäre beschimpfte er Panorama-Reporter als "Schweinejournalisten".

Panorama und die unbequemen Fragen. Immer wieder fördern sie überraschende Antworten zu Tage. Zum Beispiel bei Hausbesuchen in Sachsen-Anhalt. Panorama-Fragen an einen frisch gewählten Abgeordneten der rechtsradikalen DVU nach dem Programm seiner Partei:

Interviewerin: "Sie haben jetzt auch politische Entscheidungsbefugnis."

Abgeordneter DVU: "Ja."

Interviewerin: "Was würden Sie denn zum Thema innere Sicherheit tun?"

Abgeordneter DVU: "Sehr viel."

Interviewerin: "Zum Beispiel?"

Abgeordneter DVU: "A-a-aber ich möchte - kein Kommentar."

Interviewerin: "Was bedeutet sehr viel?"

Abgeordneter DVU: "Dass es vor allem auf die Beine - dass es auf die Beine - dass es aufgebaut wird."

Oder zum Thema Zweitwohnungssteuer. Fragen an Abgeordnete, ob sie das getan haben, was sie von jedem Bürger erwarten, sich anzumelden:

Interviewer: "Haben Sie eine Wohnung hier?"

Willy Wimmer: (CDU-Bundestagsabgeordneter) "Ja, sicher, wir wohnen ja alle hier."

Interviewer: "Haben Sie sich schon gemeldet in Berlin?"

Willy Wimmer: "Bitte?"

Interviewer: "Haben Sie sich schon angemeldet?"

Willy Wimmer: "Gemeldet müssen wir sein, ja."

Interviewer: "Wir haben beim Einwohnermeldeamt gefragt, da sind Sie nicht verzeichnet."

Willy Wimmer: "Das ist richtig."

Interviewer: "Warum nicht?"

Willy Wimmer: "Ich muss das nachtragen."

Interviewer: "Haben Sie schon Zweitwohnungssteuer gezahlt?"

Willy Wimmer: "Bitte? Die müssen wir dann zahlen."

Interviewer: "Sie haben ein Jahr keine Zweitwohnungssteuer gezahlt."

Willy Wimmer: "Nee, komm, also jetzt ...."

Oder im Fall Priebke. Panorama wollte von der Staatsanwaltschaft wissen, warum die deutsche Justiz den NS-Verbrecher jahrzehntelang in Ruhe ließ:

Interviewer: "Wäre es nicht sinnvoll gewesen, Herrn Priebke selbst dazu zu vernehmen?"

Hermann Weissing: (Generalstaatsanwaltschaft Hamm, 1996) "Ich teile Ihre Auffassung."

Interviewer: "Aber man hat nichts unternommen, um ihn zu finden."

Hermann Weissing: "Richtig."

Interviewer: "Würden Sie das als Versäumnis ansehen?"

Hermann Weissing: "Ja."

Oder bei Neonazi Manfred Roeder, zum Skandal geworden auch als Gastredner der Bundeswehr, im Panorama-Interview entlarvt als Hetzer gegen das demokratische System.

Der ehemalige Rechtsterrorist Manfred Roeder: "Diese Regierung ist entschlossen, Deutschland umzubringen und abzuschaffen. Die wollen nicht den Dreck unterm Fingernagel für Deutschland tun. Im Grunde haben die alle den Tod verdient, als Vaterlandsverräter, alle wie sie da sind."

Oder die überraschende Erkenntnis, wie süffig Abgeordnete reden können. Nur Panorama zeigte, was im Bundestag lieber totgeschwiegen wurde.

Der Abgeordnete Kleinert: "Liebe Mitglieder dieses Hauses, wir haben hier in den letzten zweifellos durch etwas seltsame und aller - andererseits auch notwendige ...."

Joschka Fischer bemerkte einmal: "Was mir aufgefallen ist, dass da mancher, der einen da lautstark morgens schon anplärrte, mit einer gewaltigen Fahne dies tat."



Panorama gäbe es nicht ohne seine Autoren, die manchmal auch durch Panorama berühmt wurden. Beispiele:

Sebastian Haffner, Theo Sommer, Gerd Ruge, Peter Scholl Latour, Horst Stern, Ulrike Meinhof, Luc Jochimsen, Alice Schwarzer, Stefan Aust, Christoph Lütgert oder Klaus Scherer.

Panorama klagte auch an. Patricia Schlesinger berichtete über den Verfall von Auschwitz und den Judenhass in Deutschland, gestern wie heute. Ihr Originalkommentar: "Auschwitz - das Grauen verblasst, zerspringt, bröckelt, bricht zusammen, rostet. Deutschland ....."

Demonstranten: "Judenpresse, Judenpresse, Judenpresse ...." Ein Jugendlicher schrie: "Hau ab, du Wichser."

Nach dem Film eine Flut von braunen Briefen, wie dieser: Ihr linkes Saupack gehört mit dem Ausländerdreck totgeschlagen.

Panorama und der NDR baten um Spenden - gegen das Vergessen. Bis heute sind es 2,7 Millionen Mark Spendengelder.

Es sind oft auch die starken Bilder, die Panorama ausmachen, wie zum Beispiel der Film von einer Häuserräumung in Berlin, bei der der Demonstrant Jürgen Ratthey überfahren wird. Oder aber das Amateurvideo von heimlichen Wehrsportübungen der Neonazis. Oder Bilder von prügelnden Polizisten bei der Anti-Brokdorf-Demonstration in Klewe.

Panorama macht weiter. Rüdiger Proske wusste schon damals: "Panorama wird es weiter geben, kritisch nach allen Seiten, so wie bisher."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.06.2001 | 21:00 Uhr