Von Mutter Courage zu Oma Raffzahn - Die Karriere einer Staatssekretärin

von Bericht: Andreas Cichowitz und Andreas Lange

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Kirchenglocke © dpa

Wenn es um Ehrlichkeit geht, haben Menschen ja bekanntlich eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung. Das gilt wohl in besonderem Maße für so einige Politiker, die bestimmte Dinge später gar nicht gewusst haben wollen, sich nicht erinnern können, gar nicht dabei waren und so weiter - wir kennen das. Man mag zugute halten, dass das Amt, das politische Geschäft, die Menschen verändert, korrumpiert, dass vielleicht auch nicht alles ans Licht der Öffentlichkeit gehört. Aber wenn eine Frau, die früher parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium war, Beraterhonorare in Millionenhöhe kassiert, und zwar von Firmen, die erfolgreich um Rüstungs- und andere Aufträge mit der Kohl-geführten Bundesregierung verhandelt haben, dann sollte man schon mal Fragen stellen. Erst recht, wenn es sich dabei um eine Frau handelt, die früher von CDU-Partei-Kollegen respektvoll "Mutter Courage" genannt wurde, weil sie als warmherzig und politisch sehr geschickt galt. Umso erstaunter sind ihre politischen Freunde nun über ihre so gut bezahlte Tätigkeit, von der bisher niemand so genau weiß, wie sie eigentlich aussah, was man für so viel Geld denn so tun musste. Und auch in ihrer Gemeinde, in ihrer Familie ist man erstaunt, aber auch erbost über die Frau, die Millionen scheffelte.

Frau Raffzahn: Agnes Hürland-Büning
Agnes Hürland-Büning gilt als Schlüsselfigur in der CDU-Spendenaffäre, Panorama berichtet 2000 über dubiose Geschäfte.

Andreas Cichowitz und Andreas Lange waren dort.

KOMMENTAR:

Die Glocken von St. Bonifatius, dem Barmherzigen, rufen zur Morgenandacht - vergangenen Sonntag in Dorsten im Ruhrgebiet. Hier hat die gläubige Katholikin Agnes Hürland-Büning vor über dreißig Jahren segensreich gewirkt, als Krankenpflegerin und Lokalpolitikerin. Einigen ist sie noch immer als "Mutter Courage" in Erinnerung.

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GEMEINDEMITGLIED:

"Wir waren eine sehr arme Gemeinde und sind es immer noch, und wir haben zwei Glocken damals nur gehabt. Und sie hat also mit einer - wie wir hinterher erst erfahren haben - mit einer großzügigen Spende uns zu dieser dritten Glocke verholfen. Da sind wir also immer noch dankbar für."

KOMMENTAR:

Agnes Hürland-Büning, die "Mutter der Kompagnie". Als Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium knüpfte sie Kontakte. Die brachten ihr später viel Geld ein, zum Beispiel 8,5 Millionen Mark von Thyssen. Wofür, ist unklar. Beraterhonorar, heißt es lapidar. 3,5 Millionen davon will sie weitergereicht haben.

Zu Hause steht die barmherzige Agnes seither ohne Heiligenschein da. Mutter Courage hat einen neuen Namen:

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FRAU:

"Frau Raffzahn, Frau Raffzahn."

INTERVIEWER:

"Was denkt man da, wenn man das hört?"

FRAU:

"Das ist schlimm, so was. Wenn man liest, was in den Zeitungen steht, dann erschrickt man."

MANN:

"Das ist mit Sicherheit nicht okay, müssen andere lange für arbeiten, für so viel Geld. Also da ist sicherlich im Hintergrund etwas anderes gelaufen."

MANN:

"Ich war selbst Unternehmer mal eine Zeitlang, als Schreiner, und hab` für sie was gemacht, und ich musste halt ein halbes Jahr hinter meinem Geld hinterherlaufen, wo ich dann höre, sie hat soundso viel Beraterhonorar gekriegt."

FRAU:

"Ja, natürlich wundert man sich, toll, so was kriegt man! Mir hat niemand was geschenkt, ich musste mein Leben lang arbeiten und muss heute noch arbeiten, nein, man kann es nicht glauben."

KOMMENTAR:

Aber das ist ja noch nicht alles. Agnes Hürland kassierte auch von der früheren Thyssentochter Rheinstahl-Technik rund 340.000 Mark - "Beraterhonorar", wofür genau, ist unbekannt.

Zwölf Uhr mittags. Heile Welt in der Einfamilienhaus-Siedlung. Hier wohnt Agnes Hürland-Büning, unauffällig und zurückgezogen. Wir wollen wissen, wofür die üppigen Millionenhonorare genau bezahlt wurden, und klingeln. Doch die Tür bleibt verschlossen. Auch auf schriftliche Anfragen reagiert die ehemalige Staatssekretärin nicht. Dafür reden die Nachbarn. Agnes Hürland-Büning hat dafür gesorgt, dass die Menschen hier mit Politik nur noch Machtmissbrauch und Raffgier verbinden.

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NACHBAR:

"Das war ja eigentlich schon immer so, ob das jetzt war oder vor hundert Jahren. Politiker sind doch irgendwo immer die Abzocker."

KOMMENTAR:

Aber auch das ist ja noch nicht alles. Auch die Bremer Firma Brucker zahlte, bis heute rund 500.000 Mark. Und wofür? Natürlich Beratung.

In der Schule um die Ecke: das Wahllokal. Hier sollte Agnes Hürland-Büning ihre Stimme für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen abgeben. Aber die millionenschwere alte Dame blieb zu Hause und ersparte sich so die wenig schmeichelhaften Kommentare.

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FRAU:

"Wenn Bezahlungen in der Höhe kommen, dann erwarte ich, dass da auch wirklich Qualifikation hinter steht und dass nicht bezahlt wird für Beziehung oder Verbindung oder für irgendwelche Lobbyarbeit, die man da leistet."

KOMMENTAR:

Vor dem Untersuchungsausschuss erklärt Agnes Hürland, dass ihre Millionen für barmherzige Zwecke eingesetzt wurden. Zitat:

"Ich habe schließlich vier Kinder und sieben Enkelkinder. Da können Sie sich ja vorstellen, wo das Geld geblieben ist."

KOMMENTAR:

Die Millionen kam aber offenbar nicht bei allen an.

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PAULUS HÜRLAND:

(Sohn von Agnes Hürland-Büning)

"Sicher, ich war stinkig, ich war sauer, weil diese Aussage überhaupt nicht zutrifft und in meinem Bekanntenkreis und in unserem Bekanntenkreis immer gesagt wurde oder gedacht wurde, dass wir lügen, wenn wir sagen, wir haben nichts. Wir haben wirklich nichts, und das ist halt so."

KOMMENTAR:

Vom plötzlichen Reichtum der Agnes Hürland wissen Sohn Paulus und Enkel Heiko nur aus der Zeitung. Heiko lebt von Sozialhilfe. Dabei hatte Oma Hürland ihm viel Geld versprochen, zum Geburtstag.

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HEIKO HÜRLAND:

(Enkel von Agnes Hürland-Büning)

"Ich sollte an und für sich einen Sparvertrag kriegen, mit ca. 20.000 Mark wahrscheinlich. Und da habe ich keinen gekriegt. Und ich hab` etwas später, verspätet halt, einen Geburtstagsbrief gekriegt mit 100 Mark statt dessen."

KOMMENTAR:

Auch Enkelkind Silvia muss für sich und ihre Tochter Isabel jeden Pfennig umdrehen. Eine weitere Enkeltochter lebt vergessen im Frauenhaus. Oma Agnes habe sie nie finanziell unterstützt.

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SILVIA FIX:

(Enkelin von Agnes Hürland-Büning)

"Ja, ich war ein bisschen erschrocken, weil das nicht die Wahrheit ist und meine Oma eigentlich immer davon - also uns erzogen hatte, die Wahrheit zu sagen auch. Und ich habe nichts von den Millionen, die sie bekommen hat, bekommen. Ich lebe seit acht Jahren von der Sozialhilfe. Und das hat mich ein bisschen schockiert, dass meine Oma so dreist lügt. Und dann noch vor einem Ausschuss, wo man eigentlich die Wahrheit sagen sollte. Es geht ja auch um was Wichtiges, ist ja nicht eine Kleinigkeit, es geht ja um viel Geld."

KOMMENTAR:

Allenfalls Almosen habe es gegeben, die Honorar-Millionärin knauserte.

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SILVIA FIX:

"Meine Tochter hat zur Geburt ein Handtuch geschenkt bekommen, was von meiner Tante überreicht wurde."

KOMMENTAR:

Dabei kassierte Agnes Hürland-Büning nicht nur üppige Millionenhonorare, sie wurde auch vom Staat, genauer gesagt: vom Steuerzahler, großzügig versorgt. Den Abschied aus dem Bundestag versüßten ihr 380.000 Mark. Und seit Jahren kassiert sie eine Pension von inzwischen 13.600 Mark monatlich. Insgesamt macht das bis heute über eineinviertel Millionen Mark, so Berechnungen des Bundes der Steuerzahler.

Wahlabend im Dorstener Rathaus. Mit Spannung erwartet die CDU die ersten Hochrechnungen. Die Abzockerei von Parteimitglied Hürland-Büning bringt die Partei richtig in Schwierigkeiten.

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WERNER NIERMANN:

(CDU-Verband Dorsten)

"Ich war natürlich erstaunt und erschüttert darüber und bin natürlich auch da sehr stark mit betroffen, weil wir inzwischen auch von der Bevölkerung anonyme Briefe erhalten, die wirklich sehr schlimm sind, und wir schon befürchten müssen, dass da Übergriffe noch entstehen. Und so weit darf so was nicht kommen."

KOMMENTAR:

Frau Raffzahn lässt das kalt. In den letzten zehn Jahren hat sie sage und schreibe 10,6 Millionen Mark gescheffelt, der größte Teil Beraterhonorare. Wofür die genau bezahlt wurden, will Agnes Hürland-Büning nicht sagen. Und wer meint, das sei doch ein bisschen viel, den belehrt sie so: "Ich habe verhältnismäßig wenig gekriegt".

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

"Verhältnismäßig wenig ...". Am Wochenende wurde ja in Nordrhein-Westfalen gewählt, mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte des Landes. Es ist die Raffgier solcher Amtsträger wie Frau Agnes Hürland-Büning, die dazu beiträgt, die Redlichkeit der Politiker, der Politik in Verruf zu bringen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.05.2000 | 21:00 Uhr