Grölende Nazis, hilflose Polizisten - Kapitulation am Ostseestrand

von Bericht: John Goetz und Volker Steinhoff

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Nahaufnahme von Springerstiefel © picture alliance Foto: Bernd Thissen

Jede zweite Gewalttat an Ausländern passiert im Osten, obwohl nur jeder sechste Deutsche in Ostdeutschland wohnt. Hetzjagden auf Schwarze, zu Tode getrampelte Familienväter, erstochene Asylbewerber - Alltag. Diesen "ethnischen Säuberungen" im eigenen Land versucht zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern entgegenzutreten, mit "akzkeptierender Jugendarbeit", mit "kritischer Integration", wie das genannt wird, und mit Polizei-Sondereinheiten. Es geht hier längst nicht mehr um orientierungslose Jugendliche, um Einheitsopfer und Einzelfälle. Diese meist noch jungen Menschen haben eine Orientierung, und zwar eine ganz genaue, ganz scharfe und ganz offene: gegen Ausländer, gegen Schwule, gegen Behinderte, gegen Linke und Liberale, was immer sie darunter verstehen mögen.

Grölende Nazis, hilfloser Rechtsstaat
Es wird 2000 gezeigt, wie Akteure der rechtsextremen Szene mit dem Rechtsstaat, der Polizei und den Medien umgehen.

John Goetz und Volker Steinhoff waren mit der Polizei unterwegs.

KOMMENTAR:

Einsatz in Rostock. Die Polizisten gehören zur Einheit MAEX, das heißt Mobile Aufklärung Extremismus. Grund für die Kontrolle: die Musik mit diesem Text:

"Juden, Linke und Ausländerwahlrecht"

"Wir von Macht und Ehre verachten sie"

"In den Graben hinein mit dem dreckigen Vieh".

Zwar stellen die Jugendlichen gleich die rechtsradikale Musik ab, zeigen auch den MAEX-Polizisten ihre Ausweise, doch aus ihrer Gesinnung machen sie keinen Hehl.

0-Ton

MÄDCHEN:

"Die ganzen Türken und so, was wollen die hier? Die nehmen uns die ganzen Arbeitsplätze weg. Das ist unser Land."

INTERVIEWER:

"Und wenn die einfach bleiben, was macht man dann?"

MÄDCHEN:

"Naja, dann bombardieren oder so. Nee, echt, die haben hier nichts zu suchen."

MÄDCHEN:

"Jeder hat doch sein eigenes Land, was wollen die denn hier?"

INTERVIEWER:

"Waren Sie jemals dabei, als ein Ausländer zusammengeschlagen wurde?"

MÄDCHEN:

"Ja, das war geil."

KOMMENTAR:

Die MAEX-Polizisten beschlagnahmen die CDs und nehmen die Personalien auf, zur weiteren Ermittlung. Das war’s.

Nächster Einsatz der Polizisten, diesmal am Strand von Warnemünde. Andere Jugendliche, dieselben Parolen. Begeisterung für Adolf Hitler.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Warum feierst du Adolf Hitlers Geburtstag?"

JUGENDLICHER:

"Ja, das kann ich Ihnen sagen, weil ich stolz auf ihn bin."

INTERVIEWER:

"Was ist daran, stolz zu sein, er hat Millionen von Menschen umgebracht."

JUGENDLICHER:

"Ja, hat er. Ich kann Ihnen auch genau sagen, warum er das gemacht hat, weil die Menschen das nicht verdient haben, weil das eine minderwertige Rasse war, die meiner Meinung nach nichts zu suchen hat hier. Und deswegen feier‘ ich Adolf sein Geburtstag, weil ich stolz auf ihn bin, weil er was erreicht hat mit seinen Reden, mit allem, sein ganzes Umspringen."

INTERVIEWER:

"Also würden Sie es genauso machen, die Ausländer hier umbringen?"

JUGENDLICHER:

"Ich würde sie nicht umbringen, ich würde erstmal versuchen, das vernünftig zu regeln, auf meiner Basis. Und wenn das nicht klappt, ja, dann würde ich sie entweder töten oder umbringen, so sieht’s aus."

JUGENDLICHE:

"Abschieben, und wenn sie dann nicht gehen, dann werden sie getötet, ganz einfach. Wir wollen sie abschieben, aber wenn sie nicht freiwillig gehen, dann müssen sie umgebracht werden, was wollen sie denn hier?"

KOMMENTAR:

Die Stimmung am Strand wird aggressiver. Deshalb die Anordnung: MAEX zieht sich zurück, denn wer am Strand bleibt, bestimmen die Nazis. Die Polizisten haben Angst.

O-Ton

DETLEV SCHROEDER:

(Leiter MAEX-Einsatzgruppe)

"Der Alkoholspiegel ist bei einigen von denen schon so hoch, dass wir das nicht unter Kontrolle mehr. Wenn Sie in der Gruppe sind, dann haben Sie auch Angst. Sie können ja schauen, das ist ein Potential, die haben keine Angst vor uns."

KOMMENTAR:

Die Rechtsradikalen können angstfrei feiern, die Sondereinheit fährt weiter, zum nächsten Einsatz. Gerade mal dreißig Polizisten arbeiten für die MAEX in Mecklenburg-Vorpommern.

Ulrich Hinse koordiniert die MAEX-Polizisten. Sein Land liegt bundesweit mit an der Spitze bei fremdenfeindlichen Gewalttaten. Doch ein Ausländerfeind ist noch lange kein Rechtsradikaler, so zumindest die offizielle Erkenntnis.

0-Ton

ULRICH HINSE:

(LKA Mecklenburg-Vorpommern)

"Wir haben fremdenfeindliche Straftaten, die mit einer rechtsextremistischen Gesinnung nichts zu tun haben, wo die handelnden Täter nur Fremde nicht mögen, ohne eine politische Unterlegung ihres Handelns überhaupt zu haben. Ihnen sind Fremde suspekt, sie mögen sie nicht, haben da verschiedene Argumente, die allerdings keine politische Ausrichtung haben."

KOMMENTAR:

Einsatz am Bahnhof Rostock. Das immer wieder beschworene Motto der MAEX-Polizisten lautet: "Kritische Integration". Diesmal geht es um das gemeinsame Engagement für einen Jugendraum. Die Rechtsradikalen treten wegen unserer Kamera nur vermummt auf.

0-Ton

RECHTSRADIKALER:

"Wir haben mehrfach versucht einen Raum zu kriegen für uns, das einzige, was wir bekommen haben, war eine Absage gewesen, weil wir halt nicht wahlberechtigt sind angeblich, weil wir Stiefel tragen, kurze Haare und unsere Einstellung so haben, und das finde ich echt zum Kotzen so was."

TORSTEN STENZEL:

(MAEX-Einsatzgruppe)

"Ja, das finde ich auch nicht so gut. Aber was hältst du davon, wenn wir beide dieses Problem angehen, also ihr und wir als MAEX versuchen, was auf der kommunalen Ebene zu erreichen?"

RECHTSRADIKALER:

"Ich wäre damit einverstanden, wenn wir endlich mal einen Raum bekommen, und die Zusammenarbeit würde auch klappen, solange Ihr uns jetzt nicht ....."

TORSTEN STENZEL:

"Ja, super, ich denk‘ mal, da bleiben wir am Ball."

KOMMENTAR:

Anteilnahme und Dialog, so wollen sich die MAEXler Ansehen verschaffen. Einer von ihnen scheint dabei ganz besonders erfolgreich zu sein. Nicht nur seine Frisur gefällt den vermummten Rechten.

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ANDRE BILICKI:

(MAEX-Einsatzgruppe)

"Kurze Haare habe ich schon länger, die trage ich zwei Jahre schon, das einzige, was dazu gekommen ist, ist die Jacke."

RECHTSEXTREMIST:

"Und wir haben gedacht, du bis ein Kamerad von uns."

INTERVIEWER:

"Dann hört man das manchmal, oder?"

ANDRE BILICKI:

"Ja, wie gesagt eben schon, manchmal kommt man dann in eine Situation, da muss man eben schon mal den Jungs die Bierdose halten."

RECHTSEXTREMIST:

"Im Endeffekt haben wir dann doch begriffen, dass er nicht so ist, wo er dann nach den Ausweisen gefragt hatte, da wussten wir denn, dass er nicht einer von uns ist. Aber Bierdosen durfte er doch schon öfters mal halten."

0-Ton

INTERVIEWER:

"Da gab es die Formulierung: Man muss den Rechten dann auch schon mal das Bier halten - geht das nicht zu weit?"

ULRICH HINSE:

(LKA Mecklenburg-Vorpommern)

"Ja, das geht natürlich zu weit. Ich denke, das ist auch eine sehr laxe Darstellung gewesen. Es bedeutet aber, dass man sich mit den rechten Jugendlichen auch unterhält, und in der Regel stehen sie nun einmal da und trinken ihr Bier, und man muss sich eben erst mal mit dazustellen. Das bedeutet nicht, dass man ihnen die Dose Bier festhält, aber dass man eben dabei steht und versucht, mit ihnen in Dialog zu kommen."

KOMMENTAR:

Die Neonazis zu überzeugen, energisch zu verfolgen, das hält diese Sondereinheit für hoffnungslos.

0-Ton

TORSTEN STENZEL:

(MAEX-Einsatzgruppe)

"Die MAEX ist dahingehend auch gegründet worden, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken. Also meine Aufgabe ist es nicht, den gänzlich Rechtsextremen, der in seinem Glauben gefestigt ist, umzudrehen, das schaffe ich gar nicht."

KOMMENTAR:

Neuer Einsatz. Im staatlich finanzierten Jugendtreff Vietow bei Rostock wird gerade Adolf Hitlers Geburtstag gefeiert, wie übrigens in vielen Dörfern hier in der Gegend.

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NTERVIEWER:

"Warum feiert ihr den Geburtstag von Adolf Hitler?"

RECHTSRADIKALER:

"Weil ich stolz bin, Deutscher zu sein."

INTERVIEWER:

"Aber was hat das mit Adolf Hitler zu tun?"

RECHTSRADIKALER:

"Ja, ich sag‘ mal: Er hat viel geschafft."

KOMMENTAR:

Hitlers Geburtstag als Familienfest. Auch die Eltern sind zum Jugendtreff gekommen. Für die MAEXler Alltag, kein Grund zum Einschreiten. Erstaunliche Erkenntnisse bei der Abfahrt.

0-Ton

DETLEV SCHROEDER:

Leiter MAEX-Einsatzgruppe)

"Ganz wichtig war für mich als Erkenntnis aus diesem Einsatz, dass sie sehr wohl darauf bedacht sind, nicht als Neonazis hingestellt zu werden. Sie sind rechts, das haben sie alle geäußert, sie sind stolz, Deutsche zu sein, das haben sie auch alle geäußert, aber Neonazis sind sie nicht."

KOMMENTAR:

Keine Neonazis? Nachfrage im Jugendtreff. Zwar ist Hitlers Geburtstagsfeier vorbei, aber die Begeisterung ist geblieben.

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RECHTSRADIKALE:

"Ich meine, das war ja nun nicht alles Scheiße, was Hitler gemacht hat."

"Das ist ja das Gute an ihm, er hat das Volk ja mehr oder weniger im Griff gehabt."

BIRD DRESE:

(Sozialarbeiter)

"Ich hab‘ zu der Zeit auch nicht gelebt, also ich kann mir da auch nichts groß drunter vorstellen."

KOMMENTAR:

Mittendrin ein Sozialarbeiter.

RECHTSRADIKALER:

"Hättest du gelebt, hättest du auch mitgemacht?"

BIRD DRESE:

"Das bringt die Zeit mit, ist ja ganz normal. Du läufst dann auch mit."

KOMMENTAR:

Solange die Neonazis gute Laune haben und nüchtern sind, dulden sie die MAEX-Einsätze. Doch das kann sich schnell ändern. Personenkontrolle an einer Tankstelle in Krakow am See.

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TORSTEN STENZEL:

(MAEX-Einsatzgruppe)

"Hast du einen Ausweis?"

RECHTSRADIKALER:

"Klar hab‘ ich einen Ausweis."

TORSTEN STENZEL:

"Kann ich den mal sehen?"

RECHTSRADIKALER:

"Wer berechtigt Sie dazu?"

TORSTEN STENZEL:

"Haben Sie ihn nun mit oder nicht?"

RECHTSRADIKALER:

"Nein, wie oft denn noch?"

TORSTEN STENZEL:

"Ich möchte jetzt deinen Namen wissen. Also klipp und klar noch mal, letzte Aufforderung."

RECHTSRADIKALER:

"Erst mal möchte ich Namen und Dienstnummer von dir haben.

TORSTEN STENZEL:

"Mein Name ist Torsten Stenzel, ich komme von der MAEX."

RECHTSRADIKALER:

"Die genaue Dienstnummer."

TORSTEN STENZEL:

"Ich kann dir meinen zeigen, vielleicht zeigst du mir dann deinen."

KOMMENTAR:

Langsam eskaliert die Lage. MAEX bereitet den Rückzug vor, mal wieder.

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ULRICH HINSE:

(LKA Mecklenburg-Vorpommern)

"Wenn eine Horde, von der Anzahl her, stark angetrunkener Jugendlicher auf zahlenmäßig stark unterlegene MAEX-Leute trifft, dann ist diese Lage nicht einfach für diese Kollegen zu bewältigen. Und daraus ergeben sich auch Angstgefühle. Es wäre vermessen zu glauben, sie hätten dann keine Angst. Aber damit müssen sie umgehen auch, mit dieser Angst, das lernen sie auch. Und das ist das, was ich eben mit taktischem Verhalten gesagt habe: Dann zieht man sich zurück, und man bekommt schon wieder die Möglichkeit, entsprechend zu agieren, wenn es der, ja, Alkoholpegel dann wieder erlaubt."

0-Ton

RECHTSRADIKALER:

"Du hast gesagt, ich bin ein mieser Penner."

TORSTEN STENZEL:

"Bleib‘ mal ganz ruhig."

KOMMENTAR:

Immerhin zeigt er noch den Ausweis, doch dann muss sich der MAEX-Polizist zurückziehen. Jetzt befehlen die Nazis wieder: Filmen verboten. Das Ende eines Polizeieinsatzes.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Nur nüchterne und gerade mal gut gelaunte Neonazis lassen die Polizisten also gefahrlos an sich heran. Wenn die Demokraten aufgeben oder so weit nachgeben, dann haben nur noch Dumpfbacken das Sagen. Und das wird gefährlich, genaugenommen ist es das schon, denn zu einer demokratischen Gesellschaft gehört es eigentlich, dass sich jeder, jeder frei bewegen kann. Das ist in vielen Städten im Osten längst nicht mehr der Fall. Viele dieser jugendlichen Nazis fühlen sich als Herrenmenschen und genießen das sichtlich.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.07.2000 | 21:15 Uhr