Vergessen und Verdrängen - Wahrheitssuche der CDU im Spendensumpf

von Bericht: Mathis Feldhoff und Andreas Lange

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

"Nach vorne blicken", "wieder den Kampfanzug anziehen", "sich weniger mit sich selbst beschäftigen". Aufbruch-Parolen. Die CDU ist wieder da - das möchte sie sich selbst und uns glauben machen. Heute wurde im Spenden-Untersuchungsausschuss das Kapitel "Aufklärung des illegalen CDU-Finanzgebarens" erstmal beendet. Und nun setzt die Union nach bewährter Manier auf Zeit und hofft, dass Medien und Wähler das Interesse an dieser Affäre verlieren werden. Ein wirklich perfektes Beispiel dafür liefert auch Roland Koch, der hessische Ministerpräsident. Aussitzen, vertuschen, mit der Hoffnung auf das große Vergessen. Auf die Frage nach seinen Vorbildern hat er einmal geantwortet: Hannibal, Kolumbus und Kohl. Zumindest letzterem ist er in übler Tradition verbunden. Denn weder er noch Helmut Kohl und schon gar nicht die CDU haben sich je ernsthaft und nachhaltig um umfassende Aufklärung der Spendenaffäre bemüht. Mathis Feldhoff und Andreas Lange über eine Partei zwischen Affäre und Aufbruch.

Verdrängen: Wahrheitssuche der CDU im Spendensumpf
Das Kapitel "Aufklärung des illegalen CDU-Finanzgebarens" im Spenden-Untersuchungsausschuss wurde erstmal beendet.

KOMMENTAR:

Ab jetzt wird alles anders. Die Einweihung der CDU-Parteizentrale gestern in Berlin: für Angela Merkel ein schönes Symbol für einen Neuanfang. Aufklärung - das war gestern. Heute ist Party. Ein Prosit auf die neue CDU. Die hat jetzt zwar Millionen Schulden, aber für Häppchen reicht es noch. Viel Spaß hat hier auch der Spezialist für Schwarzgeldkoffer: Walther Leisler Kiep, mit ihm begann die Spendenaffäre. Alle freuen sich, dass er da ist - endlich zurück im Schoß der Partei.

O-Ton

WALTHER LEISLER KIEP:

(ehem. Bundesschatzmeister)

"Ich habe mich sehr gefreut, dass ich eingeladen wurde. Und bin der Einladung sehr gerne gefolgt.

O-Ton

INTERVIEWER

"Ein Stück Normalität?"

O-Ton

WALTHER LEISLER KIEP:

(ehem. Bundesschatzmeister)

"Ich mußte mich nicht zwingen zu kommen."

Sie alle verbindet eins: die tiefe Sehnsucht nach dem Schlußstrich.

O-Ton

FRIEDRICH MERZ:

(CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender)

"Die Partei hat getan, was sie tun konnte. Angela Merkel an der Spitze. Wir haben sie alle dabei unterstützt. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, uns ständig mit uns selbst zu beschäftigen."

O-Ton

RUPRECHT Polenz:

(CDU-Generalsekretär)

"Wir haben aufgeklärt, wir haben politische Konsequenzen gezogen, haben einen personellen Neuanfang gemacht, das ist das, was man als Bevölkerung auch zu Recht erwarten hat. Jetzt schauen wir nach vorne und wir greifen an."

KOMMENTAR:

Die Bevölkerung sieht das ganz anders. Sie erwartet mehr. Im Auftrag von Panorama fragte infratest dimap: Wie weit ist die Spendenaffäre aufgeklärt?

Nur 4 Prozent der Deutschen halten die Affäre für vollständig aufgeklärt. Eine Mehrheit von 53 Prozent sagt dagegen, dass fast gar nichts aufgeklärt ist. Weitere 38 Prozent sind der Meinung, dass zwar einiges aufgeklärt ist, die wichtigsten Fragen aber immer noch offen sind.

Sogar unter den CDU/CSU-Anhängern halten nur 12 Prozent die Affäre für aufgeklärt. Aber 55 Prozent meinen, dass fast gar nichts aufgeklärt ist. Und 25 Prozent der Unionsanhänger glauben, dass wichtige Fragen noch offen sind.

Er könnte sie beantworten. Will es aber nicht. Helmut Kohl, vorgestern, bei seiner Rückkehr in die Fraktion. Nach 10 Monaten nimmt er wieder seinen Platz zwischen den Unionsabgeordneten ein. Herzlich begrüßt von allen Seiten. Helmut Kohl ist wieder da.

Dabei will ihn die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht mehr im Bundestag haben. Auf die Frage, ob Helmut Kohl sein Bundestagsmandat abgeben soll, antworteten 54 Prozent der Befragten mit "Ja". 41 Prozent sagten "Nein".

Es sind die entscheidenden Fragen, die auch nach 10 Monaten Spendenaffäre unbeantwortet sind: Von wem hat Kohl die Spenden? Und: War die Regierung käuflich?

Zuständig für heikle Fragen dieser Art ist eigentlich Andreas Schmidt, Chefaufklärer der CDU im Untersuchungsausschuss. Und der hatte sich viel vorgenommen.

O-Ton

ANDREAS SCHMIDT:

(Obmann Untersuchungsausschuss)

"Wir wollen aufklären und darüber auch Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen, das ist unser Ziel und unsere Aufgabe, die wir als Union so sehen und ich will darauf hinweisen, dass wir als Union der Einsetzung des Untersuchungsausschusses auch zugestimmt haben."

KOMMENTAR:

Doch die CDU wollte offenbar nur eins: Verhindern, dass Kohl die Wahrheit sagen muss. Kein Problem, solange die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Kanzler ermittelt. Damit hat Kohl im Ausschuß ein Schweigerecht und braucht die Spendernamen nicht zu nennen. So weit, so gut. Und so lange war für die CDU die Rolle Kohls eindeutig.

O-Ton

FRIEDRICH MERZ:

(CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender)

"Der Untersuchungsausschuss ist nicht der Bundesgerichtshof. Helmut Kohl ist nicht Angeklagter sondern Zeuge."

KOMMENTAR:

Zeuge und nicht Angeklagter - monatelang die klare Linie der CDU. Doch nun heißt es, das Verfahren der Staatsanwaltschaft gegen Kohl werde eingestellt. Das Schweigerecht im Untersuchungsausschuss wäre weg. Und prompt ändert die CDU ihre Linie: sie macht aus dem Zeugen Kohl den Beschuldigten Kohl. Der dürfte damit weiterschweigen.

O-Ton

ANDREAS SCHMIDT:

(Obmann Untersuchungsausschuss)

"Helmut Kohl ist sicherlich nach unseren Regeln, die wir im Untersuchungsausschuss haben, ist die Position des Beschuldigten zuzubilligen."

O-Ton

INTERVIEWER:

"Sie wollen aber aufklären, sie wollen Fragen von Herrn Kohl beantwortet bekommen, sie sind doch nicht der Rechtsanwalt von Herrn Kohl?"

O-Ton

ANDREAS SCHMIDT:

"Nein, das ist richtig. Aber wenn ein Untersuchungsausschuss darüber berät, ob ein Zeuge ein Aussageverweigerungsrecht oder ein Schweigerecht hat, dann muss man natürlich die verschiedenen Rechtsstandpunkte diskutieren und austauschen."

KOMMENTAR:

Und CDU-Chefaufklärer Schmidt nimmt dabei wie selbstverständlich den Rechtsstandpunkt von Helmut Kohl ein.

Vertuschung statt Aufklärung? Die Meinung der Bevölkerung ist eindeutig: nur 18 Prozent der Bevölkerung sagt, die CDU habe die Aufklärung unterstützt. Dagegen meinen 69 Prozent, die CDU habe die Aufklärung eher behindert.

Sogar unter den Wählern der Union sagen nur 37 Prozent, die CDU habe die Aufklärung eher unterstützt. 45 Prozent meinen, die CDU habe die Aufklärung eher behindert.

Als brutalstmöglicher CDU-Aufklärer war auch er angetreten: Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Mittlerweile weiß man: der Mann hat gelogen. Seitdem klammert er sich mit brutalstmöglicher Beharrlichkeit an sein Amt. Die Bevölkerung mag das zwar nicht - aber die Parteibasis dankt es ihm.

Sportflugplatz Heppenheim in Hessen am letzten Wochenende. Im Flugzeughangar feiert der CDU-Ortsverband das jährliche Sommerfest.

Wurst, Brezeln und Sülze zur Stärkung am bayerischen Buffet. Vor Monaten gab es hier auch noch nachdenkliche Stimmen. Doch davon ist nichts geblieben. Von Spenden oder Spendern will man nichts mehr wissen. Die Parole: Schluss mit der Aufklärung, wird hier ganz selbstbewusst vertreten.

O-Ton:

"Also, wissen Sie, jetzt reicht's. Alle Leute, selbst keine CDU-Leute haben gesagt, ich kann es nicht mehr hören."

KOMMENTAR:

Aufklärung - das kann der Partei doch nur schaden, glauben die Heppenheimer.

O-Töne

"Ich meine, es wäre genug aufgeklärt. Man rührt nur immer wieder in der gleichen Sache herum."

"Ich würde sagen, dass das Wesentliche bestimmt schon heraus ist. Was jetzt noch gemacht wird, jetzt wird halt in allen Ecken noch gesucht, ob sie irgendwo noch was finden, nur um die Partei in Mißkredit zu bringen."

"Das Parteiengesetz ist nicht anders als in der Straßenverkehrsordnung das Parkverbot: entweder ich werd´ erwischt und dann bezahl ich die doppelte Summe und dann ist Feierabend! Das war doch kein Verbrechen in dem Sinn!"

KOMMENTAR:

Die Spendenaffäre als Bagatelldelikt - in der CDU ist mittlerweile jedes Unrechtsbewusstsein verloren gegangen. Da verwundert es nicht, dass die CDU bisher keinen der Täter zur Verantwortung gezogen hat.

Hans Terlinden, ehemaliger Hauptabteilungsleiter der CDU schweigt zu den schwarzen Kassen. Er ist weiterhin Mitglied der CDU.

Uwe Lüthje, Generalbevollmächtigter der CDU-Schatzmeisterei. Sorgte dafür, dass die schwarzen Kassen immer gut gefüllt waren. Die CDU hält zu ihm.

Agnes Hürland-Büning: Die ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, hat vor dem Untersuchungsausschuss gelogen. Das CDU-Parteibuch musste sie nicht abgeben.

Manfred Kanther hat jahrelang von den illegalen Konten der hessischen CDU gewusst und es der Öffentlichkeit verschwiegen. Der ehemalige Innenminister ist immer noch Mitglied der CDU.

O-Töne

ANDREAS SCHMIDT:

(Obmann Untersuchungsausschusses)

"Ich kann nicht wenn einer mal einen Fehler gemacht hat, auch wenn er gravierend ist, dann schmeiß' ich ihn nicht gleich raus."

"Sie haben der Partei nicht nur geschadet. Sie haben der Partei auf einer anderen Ebene - nicht in dieser Sache - sicher auch genutzt."

RUPRECHT POLENZ:

(CDU Generalsekretär)

"Die Zeiten, wo jemand für vogelfrei erklärt wurde oder wo man jemand geächtet hat, als besonderes Maß von Strafe oder jemanden zur Unperson erklärt hat, die sind glücklicherweise seit dem Mittelalter vorbei."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.09.2000 | 21:00 Uhr