Unbequeme Erinnerung - Eberswalde und das Nazi-Opfer

von Bericht: Thomas Berndt, Antonio Cascais

Eine Gedenktafel markiert den Ort, an dem Amadeu Antonio von fünfzig Jugendlichen zu Tode getreten wurde - sie nannten es "Neger klatschen". An diesem Ort aber zeigt sich immer wieder Hass. Hass auf Ausländer, in Eberswalde auch zehn Jahre nach der Tat.

Unbequeme Erinnerung - Eberswalde und das Nazi-Opfer
1990 wurde in Eberswalde Amadeu Antonio von 50 Skins gehetzt und zu Tode getreten. Der Hass ist 2000 immer noch da.

Die Gedenktafel, immer wieder beschädigt und beschmiert. Hass auf Neger, so die Botschaft neben der Erinnerungsstätte.

Das Gedenken an Amadeu Antonio - für die Stadt wird es langsam lästig. Bürgermeister Reinhard Schulz über das Imageproblem: "Wir haben eben seit zehn Jahren mit diesem Problem zu tun, dass wir immer wieder darauf hingewiesen, dass es vor zehn Jahren diese schreckliche Tat gab. Wir sind da nicht glücklich drüber."

Viele Menschen in Eberswalde haben die Tat inzwischen verdrängt. Und viele Täter von damals sind ungeschoren davongekommen. Nur vier wurden verurteilt. Einer von ihnen ist Steffen Hübner, verurteilt zu vier Jahren Jugendstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Er war dabei, hat zugetreten, doch von Reue keine Spur. Er gibt sich unbelehrbar, spielt den Märtyrer:

"Für mich ist die Sache gegessen. Ich bin heute noch der Meinung, und ich weiß es, dass ich unschuldig war, ich wurde zu Unrecht von diesem Staat dafür verurteilt. Dafür bin ich extrem sauer. Extrem sauer auch auf die Presse, weil die die Sache so hochgebauscht hat."

Die Presse? Alles hochgebauscht? Zehn Jahre danach noch immer kein Mitgefühl für die Opfer.

Wenige Straßen entfernt wohnt der kleine Amadeu. Er ist fast genau zehn Jahre alt, lebt immer noch in Eberswalde. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt, denn er wurde geboren an dem Tag, an dem die Leiche seines Vaters nach Angola überführt wurde. Der Familie ist nicht viel geblieben - außer Erinnerungen an Amadeu Antonio.

"Was mir geblieben ist von Amadeu", klagt Gabriele Mukendi, die Mutter des kleinen Amadeu. "Erstens sein Kind, was ihm ja sehr ähnelt, was auch seinen Namen trägt, eine Kassette und ein Foto."

Die Angehörigen von Amadeu Antonio, die Mutter, eine Schwester, mehrere Brüder leben in einem Armenviertel der angolanischen Hauptstadt Luanda. Viel ist auch ihnen nicht geblieben, außer ein paar Erinnerungsstücken. Warum Amadeu Antonio sterben musste, verstehen sie bis heute nicht.

"Aus Deutschland habe ich nichts gehört, keine Information. Das tut weh," sagt seine Mutter Helena und sein Bruder Manuel erzählt: "Damals kam einfach der Sarg mit der Leiche meines Bruders. Kein Beileidsschreiben war dabei, nur eine Plastiktüte mit diesen Dokumenten hier auf dem Tisch. Da standen wir nun, mittellos, und mussten irgendwie die Leiche begraben. Aus Deutschland hat sich bei uns niemand gemeldet, kein Wort der Trauer, kein Wort des Mitgefühls."

Noch einmal Mutter Helena Antonio: "Wenn Amadeu doch noch leben würde. Ich denke oft an ihn, und ich denke oft an meinen Enkel, den Sohn von Amadeu Antonio. Leider habe ich ihn noch nie gesehen. Ich würde ihn so gern besuchen, aber für die Reise nach Deutschland habe ich kein Geld."

Zurück in Eberswalde. Der kleine Amadeu wiederholt gerade die dritte Klasse. Mit seiner Geschichte, dem Tod des Vaters, kommt er einfach nicht zurecht. Er hat psychische Probleme, muss deswegen in der Landesklinik behandelt werden. Auch zehn Jahre nach dem Mord ist für ihn in Eberswalde kein normales Leben möglich, jedenfalls nicht mit seiner dunklen Hautfarbe. Viele Stadtteile meidet er inzwischen - aus Angst: "Die standen an der Bushaltestelle, da kamen zwei, und einer hat gesagt: Negerbastard."

"Amadeu wird älter", sagt seine Mutter. "Ich denke, er denkt viel im Stillen an seinen Vater. Und jetzt die Anfeindungen ihm gegenüber, das macht ja ein neunjähriges Kind fertig. Amadeu ist auch sehr nervös, zappelig, unruhig."

Anfang des Jahres - zehn Jahre nach dem Tod von Amadeu Antonio - haben Eberswalder Neonazis den Afrikanische Kulturverein in Brand gesteckt. Hier haben sich die Freunde von Amadeu Antonio immer getroffen.

Die Angst der Afrikaner ist groß, nur in der Gruppe fühlen sie sich noch sicher. In die Innenstadt gehen sie schon lange nicht mehr. Dort, das wissen sie genau, erwartet sie der alltägliche Spießrutenlauf.

Cabelo Maleca: "Die Leute sehen uns als Neger, als Abschaum, als Kriminelle. Und das ist traurig." Antonio Januario: "Immer wieder kommt es vor, dass Kinder in Begleitung ihrer Eltern auf der Straße mit dem Finger auf uns zeigen und sagen: Schau mal, Papa, ein Affe. Und die Eltern widersprechen nicht, sie applaudieren ihren Kindern."

Früher lebten über 600 Afrikaner in der Stadt, Vertragsarbeiter aus DDR-Zeiten. Heute sind es gerade noch 16. Geblieben sind sie nur wegen ihrer deutschen Frauen und ihrer deutschen Kinder. Eberswalde - kaum ein Ausländer lebt heute noch in der Stadt. Doch für die Täter von damals sind es immer noch zu viele.

"Ich finde nicht, dass das weniger geworden sind", sagt der Täter von damals, Steffen Hübner. "Ganz im Gegenteil, ich möchte sagen, es sind noch mehr, vor allem Jüngere. Damals waren die Arbeiter hier 30, 40 Jahre alt, heute sind es Jüngere, viele Jüngere."

Gemeint sind Kinder wie Amadeu Antonio. Und der wird auch noch von den Behörden im Stich gelassen. Seit dem Mord an seinem Vater bekommt er nur eine karge Opferentschädigung: 170 Mark im Monat - und das nur unter Vorbehalt. Der Grund: Nach zehn Jahren haben es die Behörden noch immer nicht geschafft, die Vaterschaft zu klären, haben Zweifel, ob der kleine Amadeu wirklich der Sohn des Ermordeten ist. Die Akten schlummern im Eberswalder Amtsgericht. Schwerfällige Ermittlungen, fehlende Gewebeproben des toten Vaters, hilflose Juristen.

Norbert Knabenbauer vom Amtsgericht Eberswalde: "Wir haben hier nur die schwierige Situation, dass dieser Fall möglicherweise nicht aufklärbar sein könnte." "Das liegt daran, dass kein Originalmaterial in einem Zustand vorhanden ist von dem Verstorbenen, dass eine sichere Aussage erlaubt."

In Angola könnte man den Fall leicht aufklären - bei der Familie des ermordeten Amadeu Antonio. Eine Blutprobe könnte alle Zweifel über die Vaterschaft endgültig klären. Doch nichts ist passiert. Und für eine Reise nach Deutschland auf eigene Faust fehlt der Familie das Geld.

"Wir sind bereit, alles zu tun, um meinem Enkelkind zu helfen", versichert Helena Antonio. "Natürlich würden wir auch Blutuntersuchungen machen lassen und dafür auch nach Deutschland kommen. Wir würden alles tun, damit es meinem Enkelkind gut geht. Es ist doch unser Fleisch und Blut."

Aber Geld für eine Reise nach Deutschland ist nicht da, versichert ihr Sohn Manuel: "Was ich verdiene, reicht kaum zum Überleben. Es heißt ja immer, Deutschland ist ein zivilisiertes Land, da müsste es doch möglich sein, diese Sache irgendwie zu regeln."

Auf dem Friedhof am Stadtrand von Luanda liegt Amadeu Antonio begraben. Ein Haufen Sand, ein Haufen Erde. Für ein richtiges Grab aus Stein hat das Geld der Familie nicht gereicht. Ein paar aufgeschichtete Steine markieren das Grab. Deshalb der Appell der Schwester: "Sagen Sie bitte in Deutschland, dass wir Hilfe brauchen, um wenigstens einen Grabstein für meinen ermordeten Bruder aufzustellen."

Die Leiden der Familie von Amadeu Antonio, zehn Jahre nach dem Mord. Doch in Eberswalde hat der Täter Steffen Hübner ganz andere Sorgen: "Zum Wohlsein von Eberswalde sollte man die Tat vergessen, dass endlich mal Ruhe in die Stadt reinkommt. Det wär' meine Meinung."

Die Familie von Amadeu Antonio verlässt übrigens jetzt Eberswalde, zieht weg. Da hat die Stadt es nun noch einfacher, zu vergessen, zu verdrängen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.12.2000 | 21:00 Uhr